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SBB Cargo International

Immer mehr Nachtarbeit: Wie umgehen damit?

Bei SBB Cargo International muss das Lokpersonal immer mehr nachts arbeiten, weil tagsüber Trassen fehlen. Damit stellt sich die Frage, wie all diese Nachtarbeit, die gesundheitlich und sozial nachteilig ist, möglichst personalverträglich bewältigt werden kann. Lösungen zeigt eine gemeinsame Umfrage von Personalkommission und Betriebsleitung im Depot Muttenz auf.

Max Weiler, Lokführer bei SBB Cargo International, Peko-Vertreter und SEV-Mitglied, bei der Arbeit.

«Wegen der Zunahme des Personenverkehrs gibt es heute in den Neat-Tunneln ausserhalb der Rand- und Nachtstunden kaum mehr Slots für SBB Cargo International, obwohl die Tunnel primär für den Güterverkehr gebaut wurden, damit weniger Lkw durch die Schweiz fahren», erklärt Lokführer Max Weiler. «Darum ist bei uns die Belastung mit Nachtdiensten enorm gross geworden.» Max Weiler ist in der vierköpfigen Personalkommission (Peko) von SBB Cargo International für das Depot Muttenz zuständig, wo er selber arbeitet und in der zweiten Hälfte 2021 die erwähnte Umfrage mitorganisiert hat. Diese betraf neben der Nachtarbeit weitere Themen wie die Bereitschaft, ausserhalb des Dienstortes zu übernachten, die Ausgestaltung der Touren und die Depotinfrastruktur. Von 89 Lokführenden nahmen rund drei Viertel (68) teil. Von diesen erklärten sich 14 (20,6 %) bereit, nur noch Nacht- und Spätdienste zu fahren, wobei dies einen Nachtarbeitsvertrag nötig machen würde, weil sonst die 15/28-Regel im Artikel 9 des Arbeitszeitgesetzes verletzt würde, wonach innerhalb von 28 Tagen höchstens 15 Arbeitstage mit Nachtarbeit (zwischen 24 und 4 Uhr) eingeteilt werden dürfen.

In der Umfrage erklärten sich zehn Teilnehmende (14,7 %) bereit, nur noch oder grösstenteils Frühdienste (mit Arbeitsbeginn zwischen 24 und 4 Uhr) zu fahren. Vier davon wären sogar zur Aufhebung der 15/28-Regel mittels eines Nachtarbeitsvertrags bereit.

Weil Nachtarbeit mit steigendem Alter in der Regel schlechter vertragen wird, wurden die Teilnehmenden unter 55 speziell gefragt, ob sie bereit wären, mehr Nachtarbeit zu leisten, um die Über-55-Jährigen zu entlasten mit der Perspektive, später mal selber von dieser Entlastung profitieren zu können. Zur Frage wurde präzisiert: «Es wird dadurch nicht mehr Arbeitszeit gefordert, und die 15/28-Regel wird beibehalten. Es können jedoch mehr Nachtdienste anfallen.» Darauf antworteten 69,1 % der Unter-55-Jährigen mit Ja und nur 30,9 % mit Nein. «Diese Solidarität der Jüngeren gegenüber den Älteren hat mich positiv überrascht», sagt Max Weiler.

Entlastung durch Freiwillige

«Aufgrund dieser Umfrageresultate werden wir nun erst mal versuchen, eine Frühdienstgruppe zusammenzustellen», erklärt Max Weiler. «Der Weg dorthin könnte jedoch lang sein.» Denn es braucht nochmals eine Umfrage für die Anmeldungen, eine Evaluation der Interessierten durch den Leiter Lokpersonal, eine medizinische Eignungsuntersuchung und einen Zusatzarbeitsvertrag für dauernde Nachtarbeit. Durch die Verschiebung von Nachtarbeit von den Touren in die Früh- und Spätgruppe ergibt sich so eine Entlastung für die älteren Arbeitskollegen.

Die Idee ist also, dass Freiwillige einen grossen Teil der Nachtarbeit leisten, um die anderen zu entlasten, und dafür mit Zuschlägen in Form von Zeit und Geld entschädigt werden. Eine gewisse Entlastung wird erreicht, wenn der Zeitzuschlag gross genug ist und direkt in die Tourenfolge eingebaut wird. Weil Dauernachtarbeit mit einem gesundheitlichen Risiko verbunden ist, bleibt diese Lösung aus gewerkschaftlicher Sicht eine fragliche Lösung. «Ein wesentlicher Aspekt in diesem Zusammenhang ist, dass klar geregelt und abgesichert sein muss, wie und wann ein Nachtarbeit-Mitarbeiter bei gesundheitlichen Problemen oder ganz einfach, weil er das möchte, wieder eine Stelle im ‹Normalbetrieb› finden kann und nicht einfach vom Unternehmen gekündigt wird, nachdem er wie eine Zitrone ordentlich ausgepresst worden ist», unterstreicht SEV-Gewerkschaftssekretär Thomas Giedemann.

Zusammenarbeit mit Cargo national und Personenverkehr ausbauen?

Ein anderer Ansatz wäre, die Nachtarbeit durch Zusammenarbeit mit SBB Cargo national und SBB Personenverkehr (P) auf mehr Leute zu verteilen. Natürlich ist dies nicht ganz einfach, weil vor allem P andere Triebfahrzeuge und Vorschriften hat und auch andere Strecken fährt, was zusätzliche Prüfungen nötig macht. Dazu kommt die Leistungsabrechnung über Firmengrenzen hinweg. Doch schon jetzt gibt es einen Leistungsaustausch mit SBB Cargo national, der bestimmt noch ausgebaut werden könnte. Und es gibt schon jetzt einzelne Lokführer mit je einem 50 %-Arbeitsvertrag bei SBB Cargo International und bei P.

«Die Peko ist offen für jede personalfreundliche Lösung zur Bewältigung der Nachtarbeit», sagt Max Weiler. «Wir versuchen immer, zusammen mit der Betriebsleitung gute Lösungen zu erarbeiten. Die gemeinsame Umfrage ist ein positives Beispiel dafür.»

Markus Fischer
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Neuer GAV

Zwischen März und Dezember 2021 haben SEV, VSLF, Transfair und KVöV mit SBB Cargo International den bestehenden GAV neu ausgehandelt. Die vom SEV organisierten Versammlungen und die digitale Abstimmung seiner betroffenen Mitglieder zum Verhandlungsresultat standen bei Redaktionsschluss noch aus. Mehr dazu, zum Entscheid der SEV-Mitglieder und zum neuen GAV wird voraussichtlich in der nächsten SEV-Zeitung zu lesen sein.