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Manuel Avallone

Er war der erste Vizepräsident ohne roten Pass

Bevor Manuel Avallone Vizepräsident wurde, war er fast neun Jahre für SBB Infrastruktur zuständig.

Nach 21 Jahren Mitarbeit beim SEV als Gewerkschaftssekretär und Vizepräsident geht Manuel Avallone Ende März vorzeitig in Pension. Effektiv endet seine Tätigkeit beim SEV wegen Zeitabbau und Ferien schon Ende Januar. Im Abschiedsinterview blickt er zurück auf besondere gewerkschaftliche Herausforderungen und Erlebnisse.

SEV-Zeitung: Wie bist du Gewerkschafter geworden?

Manuel Avallone: Während meiner Lehre als Hochbauzeichner Anfang 80er-Jahre kam ein Sekretär der damaligen Gewerkschaft Bau und Holz (heute Unia) in die Gewerbeschule, um die GBH vorzustellen. Ich fand das sofort eine gute Sache. Am nächsten Tag fragte ich beim «Znüni» im Beisein der Chefs, ob jemand des Architekturbüros gewerkschaftlich organisiert sei? Als dann die Chefs begannen, über die Gewerkschaften herzuziehen, war für mich klar, dass ich beitreten musste. Seither zahle ich meine Beiträge bei der Unia, aber auch beim SEV.

In deiner Zeit als SEV-Vizepräsident hat die SBB einiges falsch gemacht, z. B. bei der Personalplanung: Hat der SEV geschlafen?

Wenn jemand geschlafen hat, dann die SBB und sicher nicht der SEV. Wir haben immer auf die verschiedenen Personalunterbestände, nicht nur beim Lokpersonal, aufmerksam gemacht. Doch die SBB ignorierte unsere Bedenken standhaft und kurbelte mit dem Sparprogramm «Railfit» die Abwärtsspirale noch zusätzlich an. Das Resultat ist jetzt allen bekannt. Der neue CEO und später auch der alte haben sich dafür entschuldigt. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass beim Personal gespart wurde, also am falschen Ort.

Warum hat der SEV mit dem GAV 2011 ein Lohnsystem akzeptiert, mit dem viele Mitglieder nicht zufrieden waren?

Ich glaube, dass ToCo schon lange verarbeitet ist und es schlussendlich doch gut gekommen ist. Wir dürfen nicht vergessen, um was es damals ging: Die SBB wollte Branchenlöhne einführen, was mindestens sechs Lohnkurven zur Folge gehabt hätte. Mit ToCo haben wir zwei Lohnkurven und ein einheitliches Funktionsbewertungssystem. Und unsere Bedingung für die Einführung von ToCo war, dass niemand eine Lohneinbusse hinnehmen muss, dank Lohngarantien. So konnten wir ToCo auch etwas Positives abgewinnen. Später haben wir sogar erreicht, dass Kolleg/innen mit Lohngarantien von generellen Lohnmassnahmen die Hälfte bekamen. Trotz aller Kritik an ToCo bin ich überzeugt, dass es, wenn es richtig angewendet wird, ein transparentes, gerechtes System ist, das Willkür der Vorgesetzten beim Verteilen von Lohn weitgehend verhindert.

Als Leiter der Verhandlungsgemeinschaft von SEV, VSLF, Transfair und KVöV führtest du bei den GAV-Verhandlungen mit der SBB vor allem Abwehrkämpfe …

GAV-Verhandlungen sind immer auch Abwehrkämpfe. Verhandlungen basieren auf dem Prinzip von Geben und Nehmen. Dabei liegt die Schwierigkeit bei der Beurteilung, ob für das Geben gleichwertiges Nehmen resultiert. Das gilt auch für die Unternehmung. Im SEV haben wir mit unseren Gremien wie der GAV-Konferenz immer alles versucht, um auch bei so genannten Abwehrkämpfen Fortschritte zu erzielen wie z. B. die «Zukunftsmodelle» (für Frühpensionierungen und eine Lebensarbeitszeit).

2015 vereinbarte der SEV mit der SBB, dass sie Temporärmitarbeitenden nach vier Jahren eine feste Stelle anbieten musste, doch beendete sie dann in vielen Fällen die Zusammenarbeit einfach schon vorher. War der SEV naiv?

Ja, in einem gewissen Sinn waren wir naiv. Auch wenn die SBB uns im Vorfeld immer wieder zugesichert hatte, dass sie das nicht machen würde, wurde es immer wieder gemacht. Das Prinzip von Treu und Glauben wurde an einigen Orten stark strapaziert. Auch wurde mir bewusst, wie charakter- und respektlos die Schwächsten in der Hierarchie von Vorgesetzten behandelt werden.

Du hast vor und nach dem Vizepräsidium auch kleinere Unternehmen (KTU) betreut. War dort die Rolle als «Sektionscoach» dankbarer als bei der SBB, wo die Basisarbeit mit Unterverbänden und Personalkommissionen koordiniert werden muss?

Es ist weder dankbarer noch einfacher, es ist anders. Klar, der Koordinationsaufwand ist bei der SBB sehr hoch. Das erzeugt aber auch Synergien, die man zu nutzen wissen muss. Inhaltlich gibt es aber keine Unterschiede. Unsere Mitglieder erwarten zu Recht, dass wir uns überall voll für ihre Sache einsetzen. Da hat die Grösse einer Unternehmung keine Rolle zu spielen.

Du hast auch die Migrant/innen im SEV betreut. Sind diese heute gut integriert?

Als ich 1999 zum SEV kam, sprach man noch von Ausländern, und es gab für diese keine Kommission. Mittlerweile hat der SEV eine Migrationskommission. Ich bin der Meinung, dass wir gut integriert sind und die Sensibilität auch in Bezug auf Migrationsthemen gestiegen ist. Ich weiss übrigens nicht, in wie vielen Gewerkschaften ein Secondo ohne Schweizer Pass Vizepräsident war. Doch eigentlich muss sich der ganze SEV die obige Frage regelmässig stellen.

Was waren für dich im SEV die schönsten Erlebnisse?

Ich habe im SEV so ziemlich alles mitgemacht. Wir sind durch schwierige Zeiten gegangen, geprägt von Todesfällen von lieben Kollegen. Wir hatten aber auch Zeiten, die wir genossen, weil wir auf den SEV stolz sein konnten. Das Wichtigste war und ist, dass ich mich immer ehrlich und respektvoll behandelt fühlte. Vor allem die Zeit als Vizepräsident und Mitglied der Geschäftsleitung war für mich sehr anspruchsvoll. Diese Verantwortung für den SEV übernehmen zu können, hat mich sehr geehrt und mit Stolz erfüllt. Ich möchte nochmals allen, mit denen ich eng und weniger eng zusammengearbeitet habe oder in irgendeiner Form zu tun hatte, ganz herzlich danken und alles Gute wünschen. Und vor allem: Blibet xsund!

Was sind deine Zukunftspläne?

Ich habe noch keine Pläne. Ich hoffe schwer, dass das Coronavirus mit sämtlichen Mutationen endlich verschwinden wird und ich zusammen mit meiner Frau auf Reisen gehen kann. Dann schauen wir weiter.

Fragen: Markus Fischer
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Bio

«Ich bin ein typischer Secondo und seit 2020 ein Schweizer mit Migrationshintergrund», sagt Manuel Avallone. Der Sohn eines Italieners und einer Spanierin wurde in Thun geboren.

  • 1967–1978: Schulen in Thun.
  • 1978–April 1982: Lehre als Hochbauzeichner. Dann Jobs als Reiniger und auf dem Bau.
  • April 1983–April 1985: Zusatzlehre als Maurer. Danach Jobs als Bauzeichner/Bauführer bis Juli 1987.
  • November 1985 bis Juli 1986: Solidaritätsbrigade in Nicaragua und Reise durch Mittel- und Südamerika.
  • 1987–1991: Gewerkschaftssekretär bei der Gewerkschaft Bau und Industrie (heute Unia).
  • August 1991–1994: Lehrer/innenausbildung für Berufsleute in Bern.
  • August 1994–1999: Unterricht an Primar- und Realschulen; daneben ab August 1996 Mithilfe beim Aufbau der Gewerkschaft Unia im Berner Oberland im Bereich Gastgewerbe.
  • Ab August 1999: Gewerkschaftssekretär SEV mit den Tätigkeitsgebieten Lohnteam, SBB Infrastruktur und KTUs im Wallis, ab 2001 Bildung SEV/Vorstand Movendo.
  • 2006–2007: VMI-Diplomlehrgang für Verbands- und NPO-Management.
  • 21. Mai 2008–August 2019: Vizepräsident SEV zuständig für SBB/SBB Cargo; danach wieder verantwortlich für KTUs, Migration, Bildung.
  • Ende März 2021: vorzeitige Pensionierung.

Hobbys: Tauchen, Schwimmen, Velofahren, Wandern usw. in der Natur; mit Freunden zusammen sein. Manuel Avallone wohnt mit seiner Frau Marlyse in der Nähe von Bern.

Kommentare

  • Peter Burkhard

    Peter Burkhard 29/01/2021 09:25:06

    Ich wünsche Manuel alles gute und schöne Grüsse aus dem Wallis /Bitte an Manuel weiterleiten