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GAV-Konferenz SBB / SBB Cargo

Verhandlungen: Ja, aber mit klaren Vorgaben

Es war die erste GAV-Konferenz von SBB/SBB Cargo seit Beginn der Coronakrise. Und nebst der Freude, sich endlich wieder einmal zu sehen, waren die Delegierten am 27. August sehr aktiv und haben klare Voten abgegeben. Kritisch waren sie sowohl gegenüber den Sparmassnahmen als auch gegenüber der Weiterentwicklung des Lohnsystems.

Für SEV-Präsident Giorgio Tuti war das Wiedersehen in Fleisch und Blut ein freudiger Anlass: «Seit März haben sich Video- und Telefonkonferenzen durchgesetzt. Es ist aber nicht dasselbe, denn die nonverbale Kommunikation ist sehr wichtig».

In seiner Rede ging er auf die aktuelle Lage ein. «Vor der Coronakrise wurde der öffentliche Verkehr als Teil der Lösung des Klimaproblems angesehen. Dies ist immer noch der Fall, aber die Situation hat sich drastisch verändert, weil die Ertragsausfälle der SBB dazu gekommen sind. Auf der politischen Ebene sehen wir, dass die bundesrätliche Vorlage zur finanziellen Unterstützung des öV nicht ausreicht, da die Ausfälle im Fernverkehr nicht entschädigt werden sollen. Das Unterstützungspaket wird in der Herbstsession vom Parlament behandelt».

Klar ist, dass diese finanziellen Unsicherheiten einen enormen Druck auf die Unternehmen und damit letztlich auf die Arbeitnehmenden ausüben. «Dies ist nicht akzeptabel, denn während der Krise war die Mobilität gewährleistet, aber der Bund hat die Bevölkerung aufgefordert, keine öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen. Ihr habt gearbeitet und die Schweiz zusammengehalten!» sagte Giorgio Tuti, und erhielt zustimmenden Applaus dafür.

In einem solch unsicheren Umfeld sei es besonders schwierig, Strategien zu definieren, betonte der SEV-Präsident: «Man braucht Fakten und Zahlen, das heisst Klarheit. Im Moment ist die Situation aber ungewiss. Dies gilt für den SEV, für Einzelpersonen und Unternehmen. Einige Fakten bestehen. Zum Beispiel, dass ein Drittel der SBB-Mitarbeitenden in den nächsten Jahren in den Ruhestand treten wird. «Das ist eine Gewissheit. Niemand weiss jedoch, wie sich die Gesundheitskrise entwickeln wird.»

Macht es vor diesem Hintergrund Sinn, Mitarbeitende, die hart gearbeitet haben, mit drastischen Massnahmen zu frustrieren?

Angriff auf die Löhne

Vizepräsidentin Barbara Spalinger, die für das SBB-Dossier zuständig ist, legte die nicht ganz einfache Ausgangslage dar. «Das Lohnsystem soll weiter entwickelt werden, dazu hat sich der SEV bei den letzten GAV-Verhandlungen verpflichtet. Die Sanierung des Valida-Fonds für vorzeitige Pensionierungen hat die SBB davon abhängig gemacht, dass ein Abschluss gelingt. Und nun kommt noch ein Sparmassnahmenpaket zu Lasten des Personals dazu. Nur wenn diese beiden Dossiers zu ihrer Zufriedenheit verhandelt werden, ist die SBB bereit, den bis zum 30. April 2022 gültigen GAV SBB zu verlängern.»

Der Inhalt der von der SBB angestrebten Sparmassnahmen: Streichung zweier Ferientage im Jahr 2021, keine Lohnmassnahmen für alle, d.h. auch kein beschleunigter Aufstieg für untere Funktionsstufen und keine einmaligen leistungsabhängigen Zahlungen (ELA). Darauf einzutreten taten sich die Delegierten schwer. Der Zeitpunkt stimmt nicht, da noch vieles unklar ist – oder wie ein Delegierter formulierte: «Das SBB-Schiff ist blindlings unterwegs.» Nach langer, kontroverser Debatte stimmten die Delegierten schliesslich zu, auf Verhandlungen einzutreten. Nicht zuletzt, weil sie die Lage in anderen Branchen kennen. Aber mit klaren Vorgaben: So soll der beschleunigte Aufstieg für tiefe Funktionsstufen und junge Menschen nicht angetastet werden, was auch im Interesse der SBB sein sollte. Und die Delegierten wollen keine Ferientage opfern.

Entwicklung des Lohnsystems

Das andere grosse Thema war die Entwicklung des Lohnsystems. Patrick Kummer, Mitglied des Lohnteams des SEV, stellte die Grundzüge der Anpassung des Lohnsystems der SBB vor (Cargo-Mitarbeitende sind nicht betroffen) und beantwortete alle offenen Fragen. Auch wurde rege diskutiert, welche Forderungen seitens Personal bestehen.

Klar ist für die Delegierten, dass diese Verhandlungen keine Sparmassnahmen beinhalten dürfen. Mit dem neuen Lohnsystem soll niemand schlechter gestellt werden. Auch die Entkopplung der Mitarbeiterbeurteilung von der individuellen Gehaltsentwicklung warf viele Fragen auf. Wie verteilen die Vorgesetzten das Geld und wie werden die Teambudgets festgelegt? Besteht die Gefahr der Willkür?

Zur Struktur des Lohnsystems, insbesondere zur Reduktion der Anforderungsniveaus (AN) von 15 auf 13 zulasten der beiden obersten AN wurde gefordert, dass die niedrigen Löhne angehoben werden müssen und niemand unter Basiswert angestellt werden darf. Ausserdem erachten die Delegierten die Lohnspanne in den einzelnen AN als zu gross und möchten sie stärker aufteilen. Und der Aufstieg über 20 Jahre ist nicht mehr zeitgemäss und muss auf 15 Jahre reduziert werden.

Die Integration der Lokführerkurve in das Lohnsystem ist eine gute Absicht, dabei sollten aber sämtliche Lokführende mit BAV-Ausweis einbezogen werden.

Vivian Bologna
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Cargo auf Abwegen

Schliesslich kam auch die Lage von SBB Cargo zur Sprache. Bei den letzten GAV-Verhandlungen SBB/SBB Cargo hatte sich der SEV verpflichtet, auf Gespräche mit Cargo über abweichende Bedürfnisse einzutreten. Doch statt den SEV zu Verhandlungen einzuladen nahm sich SBB Cargo zunehmend aus einzelnen Geschäften der SBB hinaus. Schliesslich erfuhr der SEV, dass Cargo entgegen der mündlich an Telefonkonferenzen vereinbarten Regelungen der Arbeitszeit während Corona eine eigene – für das Personal wesentlich nachteiligere – Regelung getroffen hatte. «Uns vor vollendete Tatsachen zu stellen statt zu verhandeln oder mindestens das Gespräch zu suchen, widerspricht einer transparenten Sozialpartnerschaft», hält Barbara Spalinger fest. Das Gespräch hat nun am 24. August stattgefunden, und seither ist klar, dass SBB Cargo an den Diskussionen über das Lohnsystem definitiv nicht beteiligt ist. Bei den Sparmassnahmen bleibt es unklar, ob sie sie anwenden. Aber im 2021 sollen Verhandlungen für abweichende Arbeitsbedingungen stattfinden. Keine einfache Ausgangslage! Sicher ist, dass dies einer eigenen GAV-Konferenz bedarf, die bis Ende Jahr durch den SEV gemeinsam mit den entsprechenden Unterverbänden gebildet werden muss.