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SBB-Projekt «Cleaning 4.0»

So geht Reinigung in Zukunft

Weil Konkurrenz- und Kostendruck stets grösser werden, aber auch kurzfristige Betriebsumstellungen zunehmen, soll die Reinigung in Zukunft «bedarfsgerecht» erfolgen – unterstützt durch digitale Hilfsmittel. Wie das geht, zeigt ein Einblick in das Projekt «Cleaning 4.0» in Biel.

Das Reinigungsteam steht auf dem Perron in Biel bereit, auf dem Smartphone-Bildschirm blinkt der Zustand des Zuges in Rot, Orange und Grün: Das WC muss gereinigt werden, die Abfallkübel sind ok, Staubsaugen wäre nötig,... Die Reiniger priorisieren die nötigen Arbeiten, teilen sich auf und machen sich im ankommenden Zug an die Arbeit. «Ziel ist, dass wir genau da reinigen, wo der Impact für die Kunden am grössten ist», erklärt Tobias Strahm, Leiter des SBB-Projekts «Cleaning 4.0».

Der Konkurrenzdruck durch private Firmen ist in der Reinigung extrem hoch, weshalb in den letzten Jahren ständig die Schraube angezogen wurde: Die Cleaning-Teams mussten immer mehr in immer kürzerer Zeit machen. «Dass dieses Prinzip der ‹Zitronenpresse› nicht über eine längere Zeit aufgeht, war ein Grundcredo im Projekt», betont Tobias Strahm.

«Cleaning 4.0» hat den Auftrag, die Qualität und die Effizienz in der Reinigung zu steigern. Damit dies erreicht werden kann, strebt das Projekt eine «bedarfsgerechte», flexiblere Reinigung an –unterstützt von digitalen Hilfsmitteln.

Bislang war es so, dass die Arbeit der Reinigung in einer fixen Jahresplanung festgelegt wurde. Sprich: An BahnhofA wird ZugX gereinigt, an BahnhofB ZugY. Mit diesen starren Tourenplänen kann auf Störungen oder kurzfristige Betriebsumstellungen natürlich nicht reagiert werden, wie ein eindrückliches Beispiel zeigt: Kommt es zwischen BahnhofA und BahnhofB zu einem Umlauftausch – fährt also beispielsweise wegen einer Störung ZugX für die Strecke von ZugY weiter – wird der eine Zug innert Kürze zweimal gereinigt, der andere schlimmstenfalls für 48 Stunden gar nicht. «Mit ‹Cleaning 4.0› soll so ein Fall in Zukunft vermieden werden», erklärt Strahm.

In einer App auf dem Smartphone erhalten die Reiniger/innen neu in Echtzeit alle Informationen zu den ankommenden Zügen und ihrem Zustand. So können sie selber entscheiden, welche Arbeiten an welchen Zügen in der verfügbaren Zeit am meisten Sinn machen.

Ein wichtiges Ziel ist, die Sauberkeit in den Zügen künftig tagsüber auf einem konstant höheren Niveau zu halten. Beschränkte man sich nach einer vertieften Reinigung in der Nacht tagsüber bisher aufgrund der kurzen Zeitfenster auf WCs und Abfall, soll nun immer das gemacht werden, was für den Fahrgast das beste Resultat bringt: Wurden zum Beispiel gerade am letzten Bahnhof alle Abfallkübel geleert, können nun nach dem ersten Pendlerstrom am Morgen auch die Gipfeli-Krümel beseitigt oder verschmierte Fenster gereinigt werden. 

Lieber gut und gründlich

Am Bahnhof in Biel bleibt für das Cleaning-Team neben der Reinigung von WC, Abfalleimern und Haltestangen auch noch Zeit, den Boden und die ersten Sitze zu saugen. «Dabei ist das Credo: Macht lieber nicht alles, aber macht es dafür gründlich und mit guter Qualität, damit ‹Grün› wirklich ‹Grün› ist,» erklärt Tobias Strahm und tippt vor dem Aussteigen in die App ein, was in diesem Zug in welchen Wagen erledigt wurde.

Ob der Zustand der Züge auf Rot, Orange oder Grün gestellt ist, hängt momentan davon ab, was die Cleaning-Teams am letzten Bahnhof eingegeben haben sowie von der Anzahl gefahrener Kilometer seit der letzten Reinigung. Zu Hauptverkehrszeiten oder nachts nach dem Ausgang wird dabei ein zusätzlicher «Verschmutzungsfaktor» miteingerechnet. Zusätzlich fliessen auch Meldungen von Kundinnen und Kunden über die «Repair and Clean App» mit ein. Eine weitere Datenquelle wären auch Sensormeldungen, zum Beispiel über den Wasserstand in WCs – «aber das ist derzeit noch eine nette Zukunftsvision», meint Tobias Strahm.

Das Projekt misst seinen Erfolg an der «Qualitätsmessung mit Testkunden» (kurz: QMT): Diese beurteilen die Sauberkeit in den Zügen anhand eines Checklistenkatalogs. «Wenn dieser Wert stimmt, müsste auch die Kundenzufriedenheit stimmen», erklärt der SBB-Projektleiter. «Cleaning 4.0» wurde bereits an verschiedenen Standorten getestet und wird nun laufend weiter ausgerollt – bis Jahresende schweizweit. Dabei wird auf eine gute Einführung und Begleitung aller Mitarbeitenden, Schicht- und Teamleitenden grossen Wert gelegt. «Wir sind ein agiles Projekt. Das bedeutet, wir gehen Schritt für Schritt vor, nehmen Feedbacks auf und lernen ständig», so Tobias Strahm.

Rückmeldungen des Personals zeigen, dass die neue Arbeitsweise die Teams näher zusammenbringe. Die Jungen, die mit der Digitalisierung besser zurecht kommen, können eine «Superuserrolle» übernehmen und ihre älteren Kolleg/innen unterstützen. Ein weiterer Vorteil: Durch die höhere Abwechslung in den Tätigkeiten wird die Arbeit spannender, dies kommt auch der Gesundheit zugute.

Dennoch gibt es auch Vorbehalte: Kann die SBB die Mitarbeitenden über die App «überwachen»? Strahm verneint: «Die Daten aus der App werden nicht zur Personalbeurteilung herbeigezogen und es werden keine Daten über den einzelnen Mitarbeiter erhoben. Dies würde bei Personal und Führung gleichermassen zu falschen Anreizen führen. Es geht lediglich darum, das Optimum für den Kunden herauszuholen.»

Auch ein Gewinn fürs Personal?

SEV-Gewerkschaftssekretär Christoph Geissbühler freut sich, dass die Projektleitung die Sorgen und Bedürfnisse der Reiniger/innen wahrnimmt: «Endlich ein Projekt, dass nicht von Bern aus dem Büro heraus geplant wurde, sondern die Realitäten vor Ort zu verstehen versucht.» Trotzdem werde man «Cleaning 4.0» als Gewerkschaft weiterhin kritisch mitverfolgen: «Für uns stellt sich vor allem die Frage, wohin die Effizienzgewinne fliessen. Es darf nicht sein, dass nur die SBB davon profitiert – vor allem, weil die Arbeitsbedingungen in der Reinigung sowieso schon prekär sind. Ein Teil des Gewinns muss unbedingt zurück ans Personal fliessen.»

Elisa Lanthaler

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Kommentare

  • Salvatore Nibali

    Salvatore Nibali 25/06/2020 09:14:01

    Sono un affiliato Sev da 35 anni e spero che il sev continui la sua lotta per migliorare le condizioni dei lavoratori come ha sempre fatto grazie di cuore a tutti maggiormente al nostro caro presidente Giorgio Tuti che saluto .