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Aussen Glanz, innen Gift

Das Geschäft mit gefälschten Pflanzenschutzmitteln

Wenn der Frucht- und Gemüsemarkt in Fondi, Provinz Latinum im südlichen Lazio, morgens um 5 Uhr 30 seine Tore öffnet, stehen die TIR-Lastwagen und Camions bereits Schlange, um ihre Waren abzuladen, die sie vom Land hergebracht haben. Ebenso jene, die diese Waren in die Supermärkte halb Europas transportieren sollen. Der Mercato Ortofrutticolo di Fondi (Mof) ist das grösste Verteilzentrum für landwirtschaftliche Produkte in Italien und funktioniert wie eine Warenbörse: Je früher man kommt, desto besser der Preis, den man erzielt. Im Falle von Frühgemüse und -obst kann das der doppelte bis dreifache Preis sein. Zudem müssen Gemüse und Früchte gleich aussehen, auf Hochglanz poliert sein und eine vordefinierte Grösse haben. Ohne Pestizide, Wachstumshilfen und andere – oft verbotene oder gefälschte – Chemikalien kann man da kaum mithalten.

Auf die Geschichte aufmerksam gemacht wurde ich durch B., einen Italiener, der bei einer der 6000 landwirtschaftlichen Betriebe des Agro Pontino (Ebene im Süden der Region Lazio) angestellt ist. Um mich von der Wahrhaftigkeit seiner Anschuldigungen zu überzeugen, lässt er mich bei einer «Behandlung»– so nennen sie das im Jargon – assistieren und zeigt mir einige Fläschchen. Das erste enthält Afalon, ein Herbizid, dessen Zulassung vom Gesundheitsministerium am 3. Juni 2017 widerrufen wurde. In einem anderen befindet sich Cycocel, ein Wachstumsregulator für Weichweizen, Roggen, Hafer und Gerste. In der Gebrauchsanweisung dazu steht, das Mittel «bewirkt eine kompaktere Entwicklung der Halme und Triebe und begünstigt die Bildung von Pflanzen, die gegenüber Umwelteinflüssen und Parasiten widerstandsfähiger sind». Das BASF-Produkt wurde in Italien 2012 verboten. Das dritte Fläschchen enthält ein legales Stärkungsmittel für Frucht- und Gemüsesamen. Auf dem letzten Fläschchen steht «Adrop». Das ist ein pulverförmiger Wachstumsregler, der bewirkt, dass die Blüte- und Reifezeiten von Früchten vorverlegt werden, bspw. von Äpfeln, Birnen, Pfirsichen, Erdbeeren, Oliven, Tomaten, Zucchini, Peperoni, Auberginen und Zierpflanzen. Adrop ist bereits seit 2009 verboten. Die Herstellerfirma Gobbi lässt wissen, dass das Produkt seit damals nicht mehr im Handel ist und es sich um eine Fälschung handelt.

«Wir finden hier alles, von in Italien nicht bewilligten bzw. vom Markt genommenen Pestiziden über Fälschungen bis zu natürlichen Mitteln, denen verbotene Substanzen beigefügt wurden», erzählt mir Hauptmann Felice Egidio, der die Sektion Agro Pontino der Sondereinheit gegen Lebensmittelverfälschung der Carabinieri leitet. Das am weitesten verbreitete Phänomen sei «der illegale Import chemischer Substanzen aus China, wie etwa Forchlorfenuron und Wasserstoff-Cyanamid, die in den Häfen von Neapel und Gioia Tauro unter Bezeichnungen von nicht verbotenen Produkten angeliefert werden». Ersteres ist der Hauptwirkstoff von Sitofex, einem bewilligten Wachstumsregler, der die Fruchtgrösse und -qualität verbessert und uniformiert, vor allem von Kiwis und Tafeltrauben. AlzChem, die deutsche Herstellerin von Sitofex, hat bei der Staatsanwaltschaft der Region Latina Anzeige gegen Fälscher erstattet, die in geheimen Labors der Gegend Sitofex mit dem ungeprüften chinesischen Wirkstoff herstellen. Wie die Ermittler herausfanden, als sie ein geheimes Labor aushoben, wurde die Fälschung für sieben Euro pro Liter verkauft, während das Original elf Euro kostet.

Wasserstoff-Cyanamid ist der Hauptwirkstoff von Dormex, einem Mittel für das Pflanzenwachstum, das aufgrund seiner kanzerogenen Wirkung in ganz Europa seit 2008 verboten ist. Auch in diesem Fall hat AlzChem den Vertrieb von Fälschungen angezeigt. Und schliesslich gibt es noch das illegal importierte Imazalil, ein Fungizid, das vor allem für Zitrusfrüchte verwendet wird und deren Schale schön glänzend macht. Es ist in Italien nur für Importfrüchte zugelassen, vorausgesetzt, sie sind als «mit Schale nicht essbar» gekennzeichnet.

Das private italienische Politik-Forschungsinstitut Eurispes hat in einem Bericht zur Agro-Mafia festgehalten, dass das Fälschen von Pestiziden eines der zehn profitabelsten Unternehmen der organisierten Kriminalität ist. 2018 haben die diesbezüglichen Straftaten um 58% zugenommen und gemäss OECD ist weltweit jedes vierte Pestizid eine Fälschung. «Der Hauptgrund für die Verbreitung ist, dass die gefälschten Pestizide viel weniger kosten als die Originale, und bei grossen Mengen sind die Preise noch einmal tiefer», erklärt Egidio. Ausserdem haben die Fälschungen oft einen grösseren Anteil des Wirkstoffes als das jeweilige Original, was dessen Wirkung vergrössert – auch punkto Umwelt- und Gesundheitsschäden. «Sie liefern die Schmuggelware aus der Gegend von Neapel und Caserta nachts an. Der Chef kauft es schwarz, führt die ‹Behandlung› durch und verbrennt die Kanister heimlich noch am selben Abend zusammen mit anderem Plastik, falls es etwas Nebel hat, sonst am frühen Morgen», sagt B. Laut Behörden der Provinz Latina wurden 2018 12631 Packungen mit illegalen Produkten beschlagnahmt. In den ersten sechs Monaten 2019 sind es 2095 Packungen. Dabei handle es sich lediglich um die Spitze des Eisberges, das Untergrund-Business ist wesentlich grösser.

Jeden Morgen entnimmt eine Gruppe von Forschern des Mof-Analyselabors Obst- und Gemüseproben und analysiert sie. Wenn die chemischen Rückstände die vorgeschriebenen Limiten überschreiten, wird der Direktion und den Gesundheitsbehörden mitgeteilt, dass die Früchte «nicht konform» sind. Die Ware wird dann aussortiert und auf Kosten der Produzenten zerstört. Nach drei positiven Kontrollen wird dem Produzenten die Verkaufsbewilligung entzogen. Aber über den Markt von Fondi werden jährlich eine Million Tonnen Früchte und Gemüse verschoben. Unmöglich, das alles zu kontrollieren. Oft wird auch ein Gemisch von zugelassenen Stoffen versprüht, von denen keiner den jeweiligen Grenzwert überschreitet. Auf diese Weise werden keine Normen missachtet und das Obst und Gemüse wird legal vergiftet.

Pünktlich um die Mittagszeit fahren die TIR-Lastwagen los, die schon seit Tagesanbruch Schlange stehen. Sie haben die am weitesten entfernten Ziele wie Frankreich, Deutschland und die Schweiz, aber auch Sardinien. Danach kommen jene Richtung Norditalien und am Nachmittag die direkten Lieferungen nach Rom. Das Ziel ist immer das gleiche: Die Ware muss am folgenden Morgen in den Regalen der Supermärkte liegen.

von Angelo Mastrandrea, Übersetzung: Jörg Matter