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Erntehelfer

Der bittere Preis der Tomaten

Wie die italienische Wochenzeitung L’Espresso schreibt, sind in den letzten sechs Jahren über 1500 Erntehelfer ums Leben gekommen. In der allgemeinen Gleichgültigkeit.

Die Werbung für Tomaten und Tomatensaucen ist schmeichelhaft und überzeugend; sie zeigt idyllische Bilder von glücklichen Familien, die um einen Tisch sitzen, während nebenan in der Küche der süssrote Sugo spritzig blubbert. Die warme Frucht der Erde, die an lange Sommerabende erinnert, hat aber eine brutale Kehrseite: Es sind die Menschen – ausländische wie italienische –, die an der Ausbeutung zugrunde gehen.

Die Tomatenernte, aber auch jene der Clementinen, rechnet sich in Toten. Personen, getötet von der Hitze, der Erschöpfung, der Verzweiflung. Aber auch von jenen, die es nicht zulassen, dass die Erntehelfer sich für sich selbst und andere einsetzen. Der malische Gewerkschafter Soumayla Sacko wurde am 2. Juni 2018 in Kalabrien umgebracht, weil er für die Rechte dieser Arbeiter kämpfte. Derweil der Kameruner Jean Pierre Yvan Sagnet – diplomiert am Politechnikum Turin und 2017 von Staatspräsident Sergio Mattarella mit dem Verdienstzeichen geehrt – eine Bewegung gegen die illegale Anwerbung von Landarbeitern im Umfeld des Gutshofs Boncuri angeführt hat, die zur Festnahme von 16 Personen führte. Sie gehörten einer kriminellen Organisation an, die in der Gegend von Rosarno, Nardò und andern Orten in Apulien aktiv war.

Der Fernsehsender «Arte» hat seiner Geschichte einen Dokumentarfilm gewidmet: «Sklaverei in Italien – Yvan Sagnets Kampf für Erntehelfer», die harte Wirklichkeit, aber auch der Kampf für die Menschenrechte. Sagnet erzählt vom Weg der Tomaten von der Anwerbung der Landarbeiter bis auf unseren Tisch. Er deckt die Lebensbedingungen der Erntehelfer auf: baufällige, schmutzige Häuser mit undichten Dächern; 40 Personen zusammengepfercht in einem engen Raum, die auf dreckigen Matratzen schlafen, bei 10 Euro Lohn. «In diesen Gegenden», erläutert Sagnet, «betrachtet man Einwanderer als Tiere. Und alle drücken ein Auge zu, weil es sich um günstige Arbeitskräfte handelt.» Bei der Tomatenernte müssen die Landarbeiter teils Arbeitszeiten von täglich 10 bis 12 Stunden leisten, oft schwarz, unter äusserst beschwerlichen klimatischen Bedingungen. Die Berichte sprechen von verzweifelten Afrikanern, die sich in den düsteren Fabriken aufgehängt haben, und von Erntehelfern, die überfahren wurden, als sie mit dem Velo auf unbeleuchteten Strassen voller Löcher von der Arbeit nach Hause fuhren.

Jean Pierre Yvan Sagnet, der miterlebt hat, wie mehrere Landarbeiter vor Erschöpfung zusammenbrachen, hatte den Mut, die Ausbeuter anzuzeigen. Er liess sich auch von Morddrohungen nicht davon abhalten. Sagnet hat die ethische Marke «No Cap» begründet, aus der dann eine Vereinigung wurde. Unter seiner eigenen Leitung hat die Vereinigung dieses Jahr erstmals Kontrollen zur ethischen Zertifizierung der Landwirtschaftsbetriebe durchgeführt mit dem Ziel, die Qualität der Arbeit und des Produkts zu prüfen. 2018 ist damit das Gründungsjahr des fairen Tomatenpürees «NoCap». «Die Verträge, die die Betriebe unterschreiben lassen, sind noch keine Garantie, dass das Produkt korrekt ist», erklärt Sagnet. «Deshalb wollen wir eine Zusammenkunft, um über die gesamte Produktionskette zu diskutieren.» In Italien wurde 2016 das Gesetz gegen die illegale Anwerbung von Landarbeitern verabschiedet, im Gedenken an Paola Clemente, eine italienische Erntehelferin, die am 13. Juli 2015 bei Andria auf offenem Feld tot vor Erschöpfung zusammengebrochen ist. An diesem Tag hat sich die Welt für die Italiener verändert: «An Erschöpfung sterben nicht nur ‹illegale› Afrikaner. Es trifft auch Leute aus der ‹normalen› Welt: italienische Temporärarbeiter.» Das Gesetz sieht Strafen von bis zu acht Jahren Gefängnis vor. Es richtet sich nicht nur gegen die direkten Vorgesetzten, sondern auch gegen die Unternehmen, Mitwisser der Ausbeutung.

Erntehelfer sterben nicht nur im Sommer. Zwischen Rosarno und Corigliano kommen jeden Winter über zehntausend Landarbeiter aus dem Osten zur Ernte der Clementinen. Eine ebenso dramatische Geschichte der Ausbeutung.

Françoise Gehring/pmo
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SfruttaZero: ein Zeichen der Freiheit

SfruttaZero ist ein Projekt, das die Produktion von Tomatensauce auf gemeinsamer und genossenschaftlicher Basis vorsieht. Es wird von Temporärarbeitern und Migranten in verschiedenen Regionen vorangetrieben. Ein Projekt, in dem alle Beteiligten das Ziel haben, der Ausbeutung, illegaler Arbeitsvermittlung und Grossverteilern entgegenzutreten, und aus dem Angebot der Natur gesunde Arbeit zu schöpfen: Tomaten, die in einer durchgängig kontrollierten, selbstverwalteten und selbstzertifizierten Produktionskette verarbeitet werden. SfruttaZero, eine Marke, eine Herausforderung, ein Symbol der Freiheit, wie die jungen Gründer es nennen. Apulische Vereinigungen haben schon früher soziale Verantwortung übernommen und die Rechte der einheimischen und zugewanderten Arbeiter verteidigt; daraus ist der Wunsch entstanden, noch mehr zu tun, um der Ausbeutung von Migranten und Italienern in der Landwirtschaft ein Ende zu setzen. Die Verpackung zeigt Personen bei der Ernte.

Kommentare

  • Nani Moras

    Nani Moras 20/12/2018 12:34:41

    Super-Beitrag, liebe Françoise
    Hast du Kontakt für Vorbestellungen?
    Hzl nani

  • Nani Moras

    Nani Moras 20/12/2018 12:34:43

    Super-Beitrag, liebe Françoise
    Hast du Kontakt für Vorbestellungen?
    Hzl nani

  • Eggemann-Dann

    Eggemann-Dann 04/12/2020 15:21:35

    Ich habe im Wochenmagazin der Süddeutschen Zeitung 49/2020 von "no cap" und der Arbeit von Yvan Wagner gelesen und bin sehr beeindruckt.
    Ich möchte diese Arbeit gern unterstützen.
    Wo und wie kann man z.B. SfruttaZero beziehen?
    Gibt es in Deutschland (Raum Frankfurt/Main) Initiativen, die sich dafür einsetzen?
    Vielen Dank für Hinweise und gute Erfolge für diese wichtige Arbeit.