Werden ältere Busfahrer/innen fahruntauglich, finden sie kaum mehr eine Stelle und geraten so oft in Finanznöte
Entlassung zeigt Versicherungslücke auf
Seit dem 1. März ist der 61 Jahre und 8 Monate alte Busfahrer René Taglang wegen seiner Fahruntauglichkeit arbeitslos. 189 Kolleg/innen forderten in einer Petition seine Weiterbeschäftigung und kreative Lösungen, um ihn «vor dem Abstieg in die Sozialhilfe zu bewahren».
René Taglang wurde unverschuldet fahruntauglich, bedingt durch Tagesmüdigkeit wegen Schlafproblemen. Darauf wurde er im Juni 2014 aufmerksam, weil er sich am Steuer und generell immer müder fühlte. Er ging zur Hausärztin, die ihn ins Zentrum für Schlafmedizin des Regionalspitals Wetzikon überwies. Dort wurde festgestellt, dass er im Schlaf wegen Atemstillständen (Apnoen) keinen Tiefschlaf mehr fand. Er wurde für fahruntauglich erklärt und erhielt eine Atemmaske, dank der er bald wieder besser schlief.
Doch wenn man die Tagesmüdigkeit einmal hat, bringt man sie kaum mehr weg. So durfte er weiterhin keine Busse lenken, bis er im Februar 2015 die Tests im Schlaflabor bestand.
Sich selbst aus dem Verkehr gezogen
Ende Juli 2015 nickte René Taglang am Steuer kurz ein, glücklicherweise ohne einen Unfall zu verursachen. Er liess sich ärztlich untersuchen mit der Folge, dass er erneut ein Fahrverbot bekam.
Die Verkehrsbetriebe Zürichsee und Oberland (VZO) zeigten vorerst Verständnis für den seit 2006 bei ihr tätigen Chauffeur, der seit 2013 auch die SEV-VPT-Sektion VZO präsidiert. Ursprünglich hatte René Metallbauschlosser gelernt, hatte vier Jahre lang Trams und sechs Jahre Postautos gefahren. Dann hatte er zwei Jahre im technischen Dienst eines Spitals gearbeitet, Krankenpfleger und Humanpräparator gelernt und sieben Jahre in Seziersälen gewirkt. Die VZO setzten ihn während seiner Fahruntauglichkeit als Dienstplaner, Instruktor für die Einführung von Kolleg/innen, Moderator des ZVV-Schulbusses zur Sensibilisierung von Schulklassen, als Kundenlenker und für weitere Aufgaben ein. Seitens VZO hiess es stets, sie werde schon eine Lösung für ihn finden. Doch als ihn die Ärzte im Oktober für definitiv fahruntauglich erklärten, kündigten ihm die VZO einen Monat später per Ende Februar.
Starkes Zeichen des Personals
Die SEV-Sektion lancierte umgehend eine Petition, die innert zwei Wochen von 189 der 250 Fahrdienstleistenden unterzeichnet wurde. «Wir sind nicht einverstanden mit der Kündigung», stand darin. «Wir bitten die Geschäftsleitung und den Verwaltungsrat der VZO, nach kreativen Möglichkeiten zu suchen, um René Taglang vor dem Abstieg in die Sozialhilfe zu bewahren.» Und: «Wir fänden es fair, wenn René Taglang seine Anstellung zumindest bis zu dem Zeitpunkt behalten könnte, an dem er mit den zu erwartenden Arbeitslosentaggeldern sein ordentliches Pensionsalter erreichen kann.» Also bis Herbst 2016.
Weiteranstellung und Härtefallfonds gescheitert
Doch die VZO wollten die Entlassung nicht zurücknehmen. Vorstellen konnten sie sich Einsätze auf Abruf etwa im Umfang eines 20%-Pensums. Vor allem aber schlugen sie einen Härtefallfonds nicht nur für René, sondern auch für künftige solche Fälle vor. Sie einigten sich mit dem SEV darauf, dass die Mitarbeitenden 20 Franken pro Monat zahlen sollten und die VZO 30 Franken je Mitarbeiter/in. Eine paritätische Kommission sollte den Fonds leiten. Doch im Januar lehnte das Personal den Fonds mit 60,2 Prozent Neinstimmen ab.
René Taglang strebt nun mithilfe des SEV eine Frühpensionierung aus medizinischen Gründen an, um sich wenigstens eine Rente auf Lebenszeit zu sichern, wenn auch eine reduzierte. Diese Rente würde die Arbeitslosenversicherung voraussichtlich bis zur Erreichung des ordentlichen Pensionsalters auf 80 Prozent des letzten Lohnes aufstocken. Zudem will René bei der IV erneut eine Rente beantragen, weil die Tagesmüdigkeit seine Vermittelbarkeit auch in anderen Berufen beeinträchtigt. Bisher hat die IV geltend gemacht, Fahruntauglichkeit bedeute noch keine Arbeitsunfähigkeit.
Hätte René sein Schlafproblem versteckt und wäre unfallfrei weitergefahren, hätte er seine Stelle wohl heute noch…
Markus Fischer
Arne Hegland: «Intelligente Unternehmungen könnten an einer schweizweiten Branchenlösung interessiert sein»
Weil es immer wieder vorkommt, dass Busfahrer/innen wenige Jahre vor dem ordentlichen Pensionsalter aus gesundheitlichen Gründen fahruntauglich werden, fände es SEV-Gewerkschaftssekretär Arne Hegland sinnvoll, für sie eine Versicherung auf der Basis eines Fonds oder einer Stiftung zu schaffen.
kontakt.sev: Ist das Nein der VZO-Mitarbeitenden zum Härtefallfonds eine Niederlage für den SEV?
Arne Hegland: Nein, denn der Vorschlag für diesen Fonds ist von der Unternehmung gekommen. Sie wollte eine paritätische Finanzierung im Verhältnis von 50:50. Der SEV hat dann in den Verhandlungen ein Beitragsverhältnis von 40:60 erreicht, wie auch eine paritätische Zusammensetzung der Kommission, die über die Fondsgelder bestimmen sollte. Es gab für die Mitarbeitenden aber auch nachvollziehbare Gründe für ein Nein: Den zusätzlichen Lohnabzug von 20 Franken im Monat fanden viele unzumutbar, nachdem in den letzten Jahren die Pensionskassenbeiträge ständig gestiegen sind und sich die Löhne kaum entwickelt haben. 2015 haben die VZO dafür gerade mal 0,3 Prozent der Lohnsumme bereitgestellt und 2016 gar nichts, obwohl die Dienstordnung der VZO jährlich 0,65 Prozent vorschreibt. Zweitens hätten manche gerne genauer wissen wollen, wie der Fonds funktioniert, unter welchen Bedingungen wie viel Geld wie lange ausbezahlt wird usw. Das war noch nicht geregelt, weil schnell abgestimmt werden sollte, um den Fonds rechtzeitig für René Taglang einzurichten. Ein dritter Grund war, dass die Direktion nicht klar für den Fonds Stellung nahm und alle drei Teamleiter der Fahrdienstleistenden dafür umso klarer dagegen.
Du wärst aber hinter dem Fonds gestanden?
Ja, sogar sehr, denn er wäre ein Schritt in eine richtige Richtung gewesen, der für die ganze Branche wegweisend hätte sein können. Es ging nicht nur um das Einzelschicksal von René Taglang, sondern es gibt bei den VZO und in allen Busunternehmungen immer wieder Chauffeure, die unverschuldet aus gesundheitlichen Gründen fahruntauglich werden und altersbedingt kaum Chancen auf eine neue Stelle haben. Daher streben wir vom SEV mittelfristig eine Branchenlösung für Frühpensionierungen an, wie sie das Bauhauptgewerbe kennt oder seit letztem Jahr auch die SBB mit der Stiftung «Valida» für besonders belastende Berufe wie Gleisbauer oder Rangierer.
Ist es realistisch, zu hoffen, dass sich die Busbetriebe zu einer solchen Branchenlösung zusammenraufen?
Ob etwas realistisch ist, weiss man nie zum Voraus. Ich denke, dass auch seitens der Unternehmungen nicht nur Ablehnung kommen wird, weil sie zunehmend mit solchen Fällen konfrontiert sein werden und die soziale Verantwortung für langjährige ältere Mitarbeitende nicht einfach an die öffentliche Hand, sprich an die kommunalen Sozialhilfen, ab- schieben können. Zumal sie selber zu einem grossen Teil mit öffentlichen Geldern finanziert werden. Intelligente Unternehmungen könnten deshalb interessiert sein, dass für diese Versicherungslücke schweizweit eine Branchenlösung gefunden wird. Und nicht zuletzt auch deshalb, weil so für die Belegschaft Sicherheit geschaffen würde.
Markus Fischer