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Noch grösser, noch vielfältiger: Die Transportmesse Innotrans in Berlin bricht erneut alle Rekorde

Alle reden von «4.0» – und zeigen weiterhin Handfestes

Die Digitalisierung macht vor den Transportmitteln nicht halt: Dies ist die Aussage, die an der Innotrans in Berlin wiederkehrend zu hören war. Die Messe selbst zeigte aber ein ganz anderes Bild: Ausgestellt waren Neuerungen im klassischen Bahn- (und Bus-)Bereich. Digitale Elemente spielen eine Rolle, aber die technischen Fortschritte führen nicht zu einem Systemwechsel.

Die Schweizer Bahnindustrie präsentierte sich mit einem imposanten dreistöckigen Pavillon, stand allerdings in direkter Konkurrenz zum weltweit grössten Fahrzeugbauer CRRC aus China.

3000 Aussteller aus 60 Ländern, die innert vier Tagen über 140000 Besucherinnen und Besucher ansprechen wollen: Die Dimensionen dieses zweijährlichen Klassentreffens in Berlin sind gigantisch.

Auf der Suche nach dem allgegenwärtigen Thema «Transport 4.0» führt der Weg allerdings in die Konferenzsäle und nicht in die Messehallen: Bei den Referaten der Politiker und Wirtschaftsführer stand die digitale Revolution im Mittelpunkt, und eine der meist gehörten Aussagen lautete: «Das kommt viel schneller, als alle meinen.» Die Messe selbst zeigt ein komplett anderes Bild: Viele der Weltneuheiten, die in Berlin präsentiert wurden, sind Elemente der klassischen Verkehrsmittel.

Gefälliger «Giruno»

Als Premiere in Berlin zu sehen: Stadlers Gotthard-Zug «Giruno», zumindest 5 der letztlich 11Teile .

Ein typisches Beispiel dafür ist der von SBB bestellte und von Stadler gebaute Gotthardzug namens «Giruno» (wobei Stadler ihn allgemein als EC250 anbietet; der rätoromanische Namen des Mäusebussards dürfte zu wenig verständlich sein). Es handelt sich um den ersten kompletten Niederflur-Hochgeschwindigkeitszug, und bei der Inneneinrichtung fallen ein paar schlaue Elemente auf. So sind Gepäckablagen teilweise innerhalb der Abteile platziert; gut möglich, dass sie dort technisch bedingte Lücken überbrücken, aber sie scheinen sehr nützlich. Auffallend bei der präsentierten Version, dass auch die Sitze der zweiten Klasse verstellt werden können, und zusätzlich zu zwei Toiletten findet sich jeweils auch ein Pissoir – wenn denn die Männer bei Tempo 250 unbedingt im Stehen pinkeln wollen …

Finesse beim Giruno: Anzeige der Wagenbelegung mit kleinen Figuren, wie aus dem Fahrplan bekannt.

Vieles, was an Neuerungen in diesem Zug zu sehen ist, ist selbstverständlich digital, so auch die Anzeige der Wagenbelegung im Display. Der Hersteller könnte diese sehr präzise machen, die SBB beschränkt sich aber auf die drei Männchen, die bereits aus dem Online-Fahrplan bekannt sind. Eine Übertragung dieser Information auf die Anzeigen an den Bahnhöfen erfolgt hingegen nicht.

Langlebigkeit und Wandel

Mit einem Fahrzeug, das eine Lebenserwartung von sicher 40 Jahren hat und einem Tunnel, der gar ein Jahrhundert überdauern soll, ist gut zu erkennen, dass Personentransporte offensichtlich nicht verschwinden, wenn die digitale Revolution die Welt überrennt.

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Suche nach den Angeboten in den beiden öffentlich stark beachteten Bereichen Billettverkauf und Zuglenkung. Während der SOB-Chef (selbstverständlich auch in Berlin) über führerlose Fahrten auf der Strecke des Voralpenexpress fantasiert, zeigen auch in diesem Gebiet die präsentierten Produkte, dass sich die Welt nicht ganz so schnell dreht.

Stolz präsentiert der Regionalverkehr Bern-Solothurn seine neue Leittechnik, die zusammen mit der Fernsteuerung der Stellwerke ein schnelles, automatisches Reagieren bei Fahrplanabweichungen ermöglicht. Erst angedacht ist dabei, dass das System dem/der Lokführer/in elektronisch eine angepasste Fahrgeschwindigkeit empfiehlt; diese Information erfolgt vorerst noch per Funk. Diese Entwicklung soll im Übrigen keinen Personalabbau nach sich ziehen, sondern ermöglichen, dass sich die Fahrdienstleiter auf die komplexeren Aufgaben konzentrieren können und dichterer Verkehr ohne zusätzliches Personal bewältigt werden kann.

Hört man sich um, wird in aller Regel das Jahr 2030 genannt, das als Zielgrösse gilt, um einen Schritt in die Vollautomatisierung zu machen.

Eher «Cibo» als «Bibo»

Bei den Billettautomaten ist offensichtlich, dass es heute zum Standard gehört, auch digitale Träger aufladen zu können, aber angesichts reihenweise ausgestellter Billettdrucker ist ebenso klar, dass die Hersteller weiterhin auf konventionelle Mittel vertrauen. Die neuen Technologien sind stark auf Handyanwendungen ausgerichtet. Sie basieren aber entgegen einem Trend der letzten Jahre nicht mehr darauf, dass sich die Reisenden gar nicht mehr zu erkennen geben müssen. (Unter dem Kürzel Bibo – be in, be out – wurden Systeme angedacht, die im Fahrzeuginnern die Reisenden selbstständig erkennen.) Der aktuelle Trend geht in Richtung «Cibo», was check in, be out bedeutet: Die Reisenden geben sich beim Einsteigen zu erkennen, beim Aussteigen stellt das System selbstständig fest, dass das Verkehrsmittel verlassen wurde. Darauf basiert auch die App, die im Moment in Schweizer Regionen getestet wird.

Bahnland China

Eine interessante Idee aus China: auf der Strasse die Autos, darüber auf Schienen riesige Busse

Offenkundig ist, dass die Zukunft in Asien liegt: Im Zweijahres-Rhythmus trifft man in Berlin nicht nur auf immer mehr asiatische Messebesucher und -besucherinnen (die nach wie vor dadurch auffallen, dass sie bei den vorgestellten Neuheiten jedes kleinste Detail fotografieren – aber das tun andere auch). Deutlich verstärkt ist auch die Präsenz asiatischer Aussteller. Dabei gibt es eine klare Verlagerung nach China; dessen Bahnbauer zeigen sich mit sehr grossen Auftritten in Berlin. Der Länderstand der USA ist hingegen nahezu bedeutungslos.

Elektrisch fahren ist Zukunft

Als Trend erkennbar war die Suche nach neuen elektrischen Antriebsformen: verschiedene Hersteller präsentierten schnell ladbare Elektrobusse, und Alstom stellte beispielsweise einen neuen Regionalzug mit Brennstoffzellenantrieb vor.

In mehreren Versionen gezeigt: schnell ladende Elektrobusse

Eine sehr kleine Ecke der Messe war den Tüftlern vorbehalten. Dort fanden sich Ideen von Kleinfahrzeugen, die sich autonom auf der Strasse bewegen und dann für die langen Strecken zu Zügen geformt werden. Und studiert wird an verschiedenen Orten an Ideen, wie der Luftraum über den Strassen für Massenverkehrsmittel genutzt werden könnte.

Fazit: In den Köpfen findet der «Verkehr 4.0» bereits statt – der Weg zu Schiene und Strasse ist noch lang.

Peter Moor

Die Schweizer Präsenz an der Innotrans

Die Schweiz war wie üblich an der Innotrans mit zahlreichen Ausstellern vertreten. Allerdings bündelten diese dieses Jahr weitgehend ihre Kräfte: Die «Swissrail Industry Association», also die Vereinigung der Bahnindustrie-Unternehmen, war mit zwei grossen Pavillons sehr gut sichtbar. Daneben zeigte sich Stadler Rail sehr aktiv, der direkt neben Swissrail eigenständig seinen Auftritt hatte. Zudem stellte Stadler unterschiedliche Fahrzeuge auf dem Aussengelände vor; neben dem «Giruno» auch Nahverkehrszüge und einen Schlafwagen für die aserbaidschanische Staatsbahn.

Anders als in den vergangenen Ausstellungen verzichtete die SBB vollständig auf eine eigene Präsenz. Mehrfach hatte sie sich mit andern Staatsbahnen einen Wettstreit um den grössten, schönsten, teuersten Stand geliefert – dieses Jahr bleib die SBB komplett weg. Sichtbar war sie natürlich dennoch in den Produkten ihrer Lieferanten: vom ganzen Zug bis zum Billettautomaten oder der Fahrgastanzeige.

Sollte die neue Bescheidenheit einen Zusammenhang damit haben, dass in Bern das Sparprogramm Railfit 20/30 vorgestellt wurde, während in Berlin die Messe andauerte, wäre es immerhin ein Zeichen einer gewissen Weitsicht …

pmo