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Italienische Lokführer/innen kommen nicht ohne GAV nach Brig

Crossrail braucht Druck

Die Lokführer/innen von Crossrail, die in Brig zu Hungerlöhnen hätten arbeiten sollen, haben ihre Gewerkschaften SEV und UIL beauftragt, bei Crossrail formell die Aufnahme von GAV-Verhandlungen zu beantragen. Zudem hat der SEV Crossrail beim Bundesamt für Verkehr vorsorglich angezeigt.

Besorgte Gesichter an der Personalversammlung in Domodossola

In kontakt.sev Nr. 6/2014 haben wir berichtet, dass das Eisenbahnverkehrsunternehmen Crossrail mit Sitz in Muttenz BL den rund 70 Lokführer/innen ihrer Tochter Crossrail Italy Srl in Domodossola eine Anstellung in Brig zu einem Monatslohn von 3350 Franken (nach Ausbildung – dem SEV liegt ein Arbeitsvertrag vor) angeboten hat. Damit hätten sie mehr verdient als bisher, aber über 2000 Franken monatlich weniger als in der Schweiz üblich. Da bei der SBB der Einstiegslohn für Lokführende 5358 Franken beträgt und 5780 Franken bei der BLS, handelt es sich um einen krassen Fall von Lohnunterbietung. Daran ändert wenig, dass die Crossrail inzwischen gegenüber der «Basler Zeitung» ihr eisernes Schweigen gebrochen hat und in der BaZ-Ausgabe vom 10. April angab, ihrem Lokpersonal im Anschluss an eine fünfmonatige Ausbildung rund 4000 Franken netto bezahlen zu wollen – wobei dieses sich im Gegenzug für 48 Monate an die Crossrail binden oder bei früherem Austritt die Ausbildungskosten von 50 000 Franken teilweise zurückzahlen müsste.

An einer Personalversammlung in Domodossola mit dem SEV und der italienischen Gewerkschaft UIL haben die Betroffenen am 4. April bekräftigt, dass sie diese Verträge nicht unterschreiben wollen. Und sie gaben den Gewerkschaften den Auftrag, bei Crossrail die Aufnahme von GAV-Verhandlungen zu beantragen. «Unser Ziel ist ein GAV mit branchenüblichen Schweizer Löhnen», sagt SEV-Gewerkschaftssekretär Angelo Stroppini.

Um auch den juristischen Druck auf die Crossrail zu verstärken, hat der SEV gleichzeitig mit dem Brief an Crossrail, in dem er diese zu GAV-Verhandlungen auffordert, einen Brief ans Bundesamt für Verkehr BAV geschickt mit einer vorsorglichen Anzeige gegen Crossrail wegen Verletzung der Vorschriften zum Netzzugang. «Sollte Crossrail nicht bereit sein, branchenübliche Löhne zu zahlen, müsste ihr das BAV die Bewilligung zum Netzzugang entziehen», stellt SEV-Vizepräsidentin Barbara Spalinger klar. 

Fi


«Zusammen können wir es schaffen!»

Domodossola, 4. April 2014: Ein voller Saal, aufmerksame, angespannte Gesichter, alle Augen auf die schweizerischen und italienischen Gewerkschafter/innen gerichtet, die das Lokpersonal von Crossrail Italy Srl zur Versammlung gerufen haben. Fast alle sind gekommen. Und alle sind verständlicherweise sehr besorgt über die Unbekannten, die ihre berufliche Zukunft belasten.

«Dieses Verlagerungsprojekt ist uns nie explizit erklärt worden», sagt Pancrazio Raimondo von der italienischen Gewerkschaft UIL. «Es stellt die Weiterexistenz der Crossrail Italy Srl infrage, da der grösste Teil ihres Personals in die Schweiz verlegt werden soll. In Italien sollen nur sekundäre Aktivitäten verbleiben.»

UIL-Gewerkschaftssekretär Angelo Cotroneo erklärt, dass die Spannungen und die Unsicherheit so gross sind, dass die UIL gegenüber Crossrail das in Italien übliche «Abkühlungsverfahren» eingeleitet hat: Dabei wird das Unternehmen (oder der nationale Arbeitgeberverband) schriftlich über die strittigen Fragen informiert, was dann verschiedene Szenarien ermöglicht, wie die Mobilisierung des Personals.

«Es ist wichtig, dass ihr alle da seid, denn Crossrail will die Unternehmung mit Einzelarbeitsverträgen und individueller Erpressung aus dem geltenden GAV herauslösen.»

In der Tat berichten viele Kollegen, vom Unternehmen unter Druck gesetzt worden zu sein mit Aussagen wie: «Wenn du die Ausbildung machen willst, musst du unterschreiben, sonst bist zu draussen!» Einige hätten denn auch unterschrieben.

Doch Pancrazio Raimondo macht den Anwesenden Mut, indem er an den starken Kündigungsschutz erinnert, der in Italien gilt: «Lasst euch nicht einschüchtern!»

SEV-Gewerkschaftssekretär Angelo Stroppini doppelt nach: «Wenn ihr Einzelarbeitsverträge unterschreibt, können sie euch in der Schweiz innert dreier Monate entlassen. Darum kommt nicht nach Brig, bevor wir einen GAV unter Dach haben. Alle zusammen können wir auf die Unternehmung Druck machen. Zusammen können wir es schaffen!»

«Wenn Crossrail in die Schweiz kommen will, muss sie die bei uns geltenden Regeln einhalten», sagt SEV-Vizepräsidentin Barbara Spalinger. «In diesem Sinn haben wir ans Bundesamt für Verkehr geschrieben. Wir müssen alle zusammenhalten. Nur
so können wir gewinnen!» 

frg / Fi

Crossrail muss BAV Unterlagen liefern

Wegen der Lohndumpingvorwürfe des SEV gegen Crossrail hat das Bundesamt für Verkehr diese aufgefordert, ihre Sicht darzulegen. BAV-Sprecher Andreas Windlinger bestätigte gegenüber kontakt.sev, dass Crossrail-Chef Jeroen Le Jeune am 10. April zu diesem Zweck beim BAV vorgesprochen hat. «Wir erwarten von Crossrail nun noch schriftliche Unterlagen, um unsere Beurteilung vorzunehmen», war alles, was Windlinger zum Treffen sagte. Als Bahnaufsichtsbehörde hat das BAV zu beurteilen, ob Unternehmen die Arbeitsbedingungen der Branche einhalten, wie es das Eisenbahngesetz für die Erteilung einer Netzzugangsbewilligung verlangt.

Fi