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SEV-Haltung zur Vernehmlassungsvorlage «Finanzierung und Ausbau der Bahninfrastruktur»

Mineralölsteuer umverteilen und Wirtschaft sowie Bund in die Pflicht nehmen

Der SEV begrüsst die Stossrichtung des vorgeschlagenen Bahninfrastrukturfonds, der unbefristet und objektmässig unbegrenzt handlungsfähig sein soll. Begrüssenswert ist zudem, dass die Finanzierungsquellen, die bisher für Neat und Bahn 2000 zur Verfügung standen, auch den neuen Fonds speisen sollen. Skeptisch beurteilt der SEV die Idee, den Fonds auch über Trassenpreiserhöhungen und Kantonsbeiträge zu finanzieren. Er fordert stattdessen eine Umverteilung der Mineralölsteuer zugunsten des öV, Beiträge der Wirtschaft und eine Entschuldung des bisherigen FinöV-Fonds.

In die FABI-Vorlage gehört für den SEV zwingend auch eine gerechtere Aufteilung der Mineralölsteuererträge.

Der Bundesrat hat Ende März die Vorlage «Finanzierung und Ausbau der Bahninfrastruktur» (FABI) in die Vernehmlassung geschickt (siehe Kasten). Im Frühjahr 2012 will der Bundesrat die Botschaft FABI ans Parlament verabschieden, und zwar als direkten Gegenentwurf zur Volksinitiative «Für den öffentlichen Verkehr », die der VCS zusammen mit über 20 Partnerorganisationen – darunter auch der SEV – am 6. September 2010 mit über 140 000 Unterschriften eingereicht hat.

Volksinitiative brächte 800 Mio. Franken für den öV-Ausbau

Finazierung und Ausbau der Bahninfrastruktur (FABI)

Die Vorlage FABI besteht aus mehreren Elementen:

Langfristperspektive Bahn

Der Bahnverkehr der Zukunft soll der Schweiz in erster Linie mehr Kapazität auf der Schiene, in den Zügen und in den Bahnhöfen bringen. Im Personenverkehr soll auf Strecken mit hoher Nachfrage (z. B. Basel/Bern– Zürich–Winterthur, Genf–Lausanne) langfristig der Viertelstundentakt gelten. Auf den übrigen Hauptstrecken soll der Halbstundentakt die Regel sein. In den Agglomerationszentren verkehren S-Bahnen im Viertelstundentakt und die wichtigsten Tourismusorte sind rasch und direkt mit den Zentren verbunden. Die Qualität des Schienengüterverkehrs profitiert von wettbewerbsfähigen Transportzeiten, Pünktlichkeit und günstigen Produktionsbedingungen. Bei Kapazitätsausbauten wird geprüft, ob nach Möglichkeit gleichzeitig Fahrzeitverkürzungen realisiert werden können.

Strategisches Entwicklungsprogramm Bahninfrastruktur (STEP)

Es fusst auf der Langfristperspektive Bahn und beruht auf den Planungsarbeiten für Bahn 2030. Es umfasst Investitionen von rund 42,6 Mrd. Franken, die in zwei Dringlichkeitsstufen eingeteilt wurden. Die erste Dringlichkeitsstufe für rund 20 Mrd. Franken deckt einen Zeithorizont bis ca. 2040 ab. Der Bundesrat wird zur Umsetzung von STEP dem Parlament im Abstand von vier bis acht Jahren einzelne Ausbauschritte vorlegen, die jeweils Investitionen in der Grössenordnung von rund 5 Mrd. Franken umfassen.

Ausbauschritt 2025

Er ergänzt das Programm «Zukünftige Entwicklung der Bahninfrastruktur» (ZEB). Die beiden Programme, die bis etwa im Jahr 2025 parallel realisiert werden sollen, erlauben u. a. den Einsatz von langen Doppelstockzügen zwischen Genf und St. Gallen, bessere SBahnangebote, neue Halbstundentakte und stärken den Güterverkehr. Mit ZEB (5,4 Mrd. Fr.) und dem Ausbauschritt 2025 (3,5 Mrd. Fr.) investiert die Schweiz in den Jahren bis etwa 2025 rund 8,9 Mrd. Fr. in die Bahninfrastruktur. Gemeinsam ergeben die Investitionen von ZEB und Ausbauschritt 2025 die in der Grafik links aufgeführten Angebotserweiterungen.

Finanzierungsmodell

Ein neuer Bahninfrastrukturfonds (BIF) – siehe Grafik oben (klicken Sie auf das Bild) – überträgt die Vorteile einer Fondsfinanzierung auf die gesamte Bahninfrastruktur. Der BIF ist unbefristet und stellt die Mittel sicher für Betrieb, Substanzerhalt und Ausbau des Bahnnetzes. Zur Finanzierung des Mehrbedarfs werden drei neue Quellen vorgeschlagen:

  • Erhöhung der Trassenpreise in zwei Schritten im Umfang von 300 Mio. Franken. Dies führt zu einer Verteuerung der Bahnbillette um rund 10 %.
  • Pauschalisierung des Fahrkostenabzugs in der direkten Bundessteuer auf das Niveau eines Verbundabos (800 Fr.), was zusätzliche Steuereinnahmen von 250 Mio. bringt.
  • Beitrag der Kantone an den Substanzerhalt und Ausbau der Schieneninfrastruktur in der Grössenordnung von 300 Mio. Franken.

Die mit dieser Vorlage beantragte Neuregelung der Finanzierung betrifft nur die Finanzierung der Bahninfrastruktur. Die Abgeltungen des Bundes für den regionalen Personenverkehr und den kombinierten Güterverkehr sind nicht Gegenstand der Vorlage.

Die öV-Initiative fordert, von den zweckgebundenen Mineralölsteuern nur noch die Hälfte für die Strassen zu verwenden statt drei Viertel wie heute. Die andere Hälfte soll für «die Förderung des schienen- und strassengebundenen öffentlichen Personenverkehrs und für die Verlagerung des Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene» eingesetzt werden. Damit erhielte der öV jährlich rund 800 Millionen Franken mehr, und gleichzeitig würde die Verlagerung von der Strasse auf die Schiene vorangebracht. Endlich wären die Spiesse für die grössten Verkehrsträger Strasse und Schiene gleich lang, zum Vorteil der Umwelt!

Der Bundesrat aber lehnt die Initiative ab mit der Begründung, dass sie die schon bestehenden Finanzierungsprobleme der Strasse verschärfen und Interpretationsspielräume bieten würde, die eine rasche Umsetzung erschweren würden. Der Bundesrat geht mit den Initianten/- innen aber darin einig, dass der öV in den nächsten Jahren dringend ausgebaut werden muss und dass dafür die nötigen Mittel bereitgestellt werden müssen. Daher stellt er der Volksinitiative die Vorlage FABI als direkten Gegenentwurf gegenüber und präsentiert darin sein Finanzierungsmodell.

FABI sieht im Gegensatz zur öV-Initiative keine Umverteilung der Mineralölsteuer zugunsten des öV vor. «Darum halten wir an der öV-Initiative fest», erklärte Daniela Lehmann, die Koordinatorin Verkehrspolitik des SEV, am 24. Juni bei der Diskussion von FABI im SEVVorstand. Die heutige einseitige Zweckbindung der Mineralölsteuer für den Strassenbau verhindere eine umwelt- und klimafreundliche Verkehrspolitik.

Auch die Wirtschaft profitiert vom Bahnausbau

Ein zweiter Kritikpunkt des SEV an FABI ist, dass in die neuen Finanzierungsquellen kein Beitrag der Unternehmen aufgenommen wurde. Dies ist unverständlich, weil die Wirtschaft von einem guten Verkehrssystem erheblich profitiert. Dies zeigt auch der erläuternde Bericht zum Vernehmlassungsverfahren auf und nennt als Vorteile des Bahnausbaus für die Unternehmungen u. a. Standortvorteile und erweiterte Möglichkeiten zur Rekrutierung von Personal.

Für den SEV ist es daher eine Frage der gerechten Lastenverteilung, dass auch die Wirtschaft als Nutzniesserin des Bahnausbaus ihren Beitrag zur Bahninfrastrukturfinanzierung leistet – sei es in Form eines «Versement transport» pro Angestellte/n wie in Frankreich oder durch eine Erhöhung der Gewinnsteuer.

Ein weiteres Manko der FABI-Vorlage ist, dass sie den neuen Bahninfrastrukturfonds mit einer Schuldenlast von acht 8 Milliarden starten will.

Neuen Fonds entschulden

Demgegenüber fordert der SEV, dass der Bund seine Verantwortung für den öV als Service public wahrnimmt, indem er sein finanzielles Engagement erhöht und diese Schuld als Investition in die Zukunft tilgt. Der Bund solle die Umschuldung mit einer öV-Anleihe zu den heute äusserst günstigen Zinsbedingungen finanzieren, schlägt der SEV vor und weist darauf hin, dass der Zinssatz für zehnjährige Bundesobligationen zurzeit unter 1,5 Prozent liegt. Somit könne sich der Bund derzeit einmalig günstig refinanzieren. «Es wäre eine verpasste Gelegenheit, diese Chance für die unmittelbar anstehenden Aufgaben nicht zu nutzen», unterstreicht der SEV in seiner Vernehmlassungsantwort. «Investitionen in den öV sind Investitionen, die sich auch langfristig rechnen.»

Keine Trassenpreiserhöhung ohne höhere Strassenabgaben

Von den drei mit FABI vorgeschlagenen neuen Finanzierungsquellen hält der SEV nur die Pauschalierung des Steuerabzugs für Fahrkosten (siehe unten) eine gute Idee.

Die vorgeschlagene Trassenpreiserhöhung um insgesamt 300 Mio. Franken lehnt der SEV ab, weil sie zu zusätzlichen Tariferhöhungen um 10 bis 12 Prozent führen würde. Die Folge wäre eine Verkehrsverlagerung auf die Strasse. Denn die Wahl des Verkehrsmittels wird stark über den Preis gesteuert, und das Potenzial an Tariferhöhungen, die ohne Modalsplitverschiebung Richtung Strasse möglich sind, wird bereits mit den anderweitig begründeten Tariferhöhungen ausgeschöpft.

Für den SEV kommt die vorgeschlagene Trassenpreiserhöhung höchstens dann infrage, wenn für die Strassenbenutzer/ innen gleichzeitig eine Erhöhung der Benutzerkosten im selben Ausmass vorgesehen wird.

Kantone sind zu schonen

Auch dem vorgeschlagenen Kantonsbeitrag steht der SEV skeptisch gegenüber. Denn es ist zu befürchten, dass mit dieser Massnahme nicht etwa mehr Geld für den öV zur Verfügung stehen wird, sondern dass es eine Umverteilung geben wird. Die Kantone werden die Gelder, die sie neu dem Bund abtreten müssen, einfach im Regionalverkehr einsparen. Der Regionalverkehr ist aber ein wichtiges Glied im Gesamtsystem. Ohne Zubringer verlieren auch die Hauptachsen an Attraktivität.

Fahrkostenabzug bei direkter Bundessteuer sozial gestalten

Eine Pauschale für den Fahrkostenabzug bei der direkten Bundessteuer findet der SEV grundsätzlich richtig, weil es sehr stossend ist, wenn Automobilist/ innen für ihr unökologisches Verhalten auch noch steuertechnisch belohnt werden. Bisher konnten sie dafür Steuerabzüge von bis zu 22 000 Franken geltend machen, während öV-Benutzerinnen höchstens 3300 Franken abziehen durften. Daher ist zu hoffen, dass diese (wenn auch nur kleine) Lenkungsmassnahme zugunsten des öV umgesetzt werden kann.

Der SEV fordert jedoch zwei Anpassungen, um die Zusatzkosten für die Pendler/ innen sozialverträglich zu gestalten:

  • Die Pauschale soll nicht dem Preis eines öV-Abonnements für den Agglomerationsverkehr, das heisst 800 Franken entsprechen, sondern dem Preis eines GAs zweiter Klasse. Damit würden die Pendler/innen zwar immer noch mehrbelastet, doch würde so dem Umstand Rechnung getragen, dass viele Menschen nicht freiwillig zu Langstreckenpendler/ innen werden.
  • Personen, die nachweislich von Berufes wegen Schicht arbeiten und deshalb häufig mit dem eigenen Fahrzeug zur Arbeit fahren müssen, sollen den doppelten Betrag abziehen können.

Stossrichtung von FABI grundsätzlich richtig

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die FABI-Vorlage für den SEV in die richtige Richtung zielt, indem sie einen neuen Bahninfrastrukturfonds vorsieht, der unbefristet und objektmässig unbegrenzt handlungsfähig sein soll.

Begrüssenswert ist für den SEV auch, dass die bisher für Neat und Bahn 2000 zur Verfügung gestellten Finanzierungsquellen ebenfalls den neuen Fonds speisen sollen.

Weiter begrüsst der SEV, dass neu auch die Gelder der Leistungsvereinbarung mit der SBB und die Rahmenkredite der übrigen öV-Unternehmungen in den Fonds fliessen sollen. Denn damit wird die Finanzierung übersichtlicher und transparenter.

Genügende Kapazitäten des Gesamtsystems vor Tempo

Auch mit der vorgeschlagenen Strategie des Bahninfrastrukturausbaus ist der SEV insgesamt einverstanden: «Wir unterstützen die Haltung des Bundesrates, dass eine markante Erhöhung der Geschwindigkeit kein mittelfristiges Ziel sein soll», schreibt der SEV dem BAV. «Wenn mit dem Kapazitätsausbau gleichzeitig Fahrzeitverkürzungen erzielt werden können, ohne die Kosten massiv zu erhöhen, sind diese zu begrüssen. Zudem sollten die Fahrzeitverkürzungen zu einer Verschiebung von der Strasse auf die Schiene führen und nicht einfach Mehrverkehr generieren.»

Zu einzelnen Ausbauprojekten nimmt der SEV nicht Stellung, was er grundsätzlich nicht tut.

Verlagerung im Auge behalten

Mit den erwähnten Korrekturen kann der SEV hinter der FABI-Vorlage stehen, zumal diese bei der Finanzierung zusätzlich zum Bahnausbau auch den Betrieb und Unterhalt berücksichtigen will. Diese Finanzierungslösung ist sogar umfassender als die öV- Initiative. Doch eine gerechtere Aufteilung der Mineralölsteuererträge zwischen Strasse und Schiene gehört zwingend in die Vorlage, damit die vom Volk mehrfach gutgeheissene Verkehrsverlagerung von der Strasse auf die Schiene wirklich bewerkstelligt werden kann, im Sinne einer umwelt- und klimafreundlichen Verkehrspolitik.

Markus Fischer

Spielraum für Effizienzsteigerungen aus Sicht des Personals ausgeschöpft

Im Vernehmlassungsbericht ist von 250 Millionen Franken die Rede, die bei der Bahninfrastruktur jährlich eingespart werden sollen dank Effizienzsteigerungen. Dazu hält der SEV in seiner Vernehmlassungsantwort fest:

«Der Vernehmlassungsbericht weist richtigerweise darauf hin, dass im Bereich der Effizienzsteigerungen in den letzten Jahren bereits massive Anstrengungen unternommen wurden. Aus Sicht des Personals muss dazu gesagt werden, dass hier der Spielraum ausgeschöpft ist. Solche Zielsetzungen wecken die falsche Erwartung, dass Menschen genau wie Maschinen beliebig optimierbar sind. Dieser Ansatz blendet die Tatsache aus, dass Menschen ihre natürlichen Grenzen haben. Wer dies tut, ist bereit, die Gesundheit und die Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf dem Altar der Produktivitätssteigerung zu opfern.

Know-how ist wertvoll

In den letzten Jahren herrschte bei den Unternehmen eine Kultur der andauernden Reorganisation. Die permanenten Unsicherheiten haben leider auch zu einem Wissensverlust geführt. Wissen, das die Unternehmen in den nächsten Jahren dringend benötigen werden. Sie wären also gut beraten, dieses Know-how innerhalb ihres Betriebes wieder aufzubauen, damit es langfristig zur Verfügung steht. Mitarbeitende mit langjähriger praktischer Erfahrung sind für die Unternehmung Gold wert. Deshalb muss der Ausbau des Unterhaltes einen Auf- und Ausbau der personellen Ressourcen in den eigenen Reihen nach sich ziehen. Die Unternehmungen dürfen sich nicht abhängig machen von Drittanbietern, sonst laufen sie Gefahr, die vermeintlich günstigen Leistungen eines Tages teuer bezahlen zu müssen. Das eigene Personal, das den Nachholbedarf seit Langem erkannt und auch kommuniziert hat, ist weiterhin bereit, sich für den sicheren und zuverlässigen Betrieb der Bahn einzusetzen. Es ist dem Bund vorbehalten, ihnen die dafür benötigten Mittel zu Verfügung zu stellen.»