Referendum gegen die Revision des Gesetzes über die Arbeitslosenversicherung (AVIG)
«Das Volk wird einmal mehr bestraft und die Abzocker geschont»
Das klare Resultat vom 7. März hat noch nicht genügt, um ein Umdenken im Parlament zu bewirken. National- und Ständerat haben einen Abbau der Arbeitslosenversicherung beschlossen, der untragbar ist und mit dem Referendum bekämpft wird. Vania Alleva, Mitglied der Unia-Geschäftsleitung und Vizepräsidentin des SGB, erläutert die Gründe.
kontakt.sev: Die Arbeitslosenzahlen gehen zurück. Ist Zeit zum Aufschnaufen?
Vania Alleva: Leider nicht. Es gibt immer noch Bereiche, wo die Krise stark zu spüren ist. Vor allem gibt es grosse Unterschiede nach Sektoren, nach Regionen, aber auch nach Bevölkerungsgruppen.
Hat man letztes Jahr zu schwarz gemalt?
Nein, die Krise hat sich allerdings etwas anders entwickelt als erwartet. Wir rechneten anfänglich mit einer flächendeckenden Krise. Nun stellen wir grosse Unterschiede fest: Insbesondere die Industrie ist sehr stark betroffen, und gewisse Regionen, etwa der Kanton Neuenburg, stecken extrem stark in der Krise. Doch auch in gewissen Regionen, die gesamthaft weniger betroffen sind, sieht man eine sehr hohe Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen. In den Städten sind Migrantinnen besonders betroffen. Diese Unterschiede gilt es zu beachten. Es braucht spezielle Instrumente, um dort zu intervenieren, wo es besonders nötig ist.
Revision AVIG: Worum es geht
Mit der Revision des AVIG (Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung) hat das Parlament die Versicherung gegen Arbeitslosigkeit verschlechtert. Leidtragende sind vor allem ältere und jüngere Arbeitslose. Auf die Kantone kommen Mehrausgaben für die Sozialhilfe zu:
- 400 Taggelder nur noch für einen Teil der Arbeitslosen;
- Bestimmte Kategorien von Arbeitslosen bekommen nur noch 90 Taggelder;
- Der Zwang, jede Arbeit anzunehmen – auch miserabel bezahlte –, wurde verstärkt;
- Arbeitslose ohne Kinder müssen bis zu einem Monat bis zum ersten Taggeld warten;
- Für einen Teil der über 55-Jährigen wird die Zahl der Taggelder eingeschränkt;
- Kantone mit hoher Arbeitslosigkeit dürfen die Bezugsdauer für Taggelder nicht mehr erhöhen;
- Trotz Leistungsabbau werden die Lohnabzüge erhöht.
Deshalb haben die Gewerkschaften das Referendum ergriffen.
Der Grundsatz einer Arbeitslosenversicherung muss heissen: In guten Zeiten sparen, um in schlechten Zeiten Geld zu haben. Nun war sie aber schon in den roten Zahlen, als die Krise begann. Was ist schief gelaufen?
Ich würde nicht sagen, dass etwas falsch gelaufen ist. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben während Jahren ihre Beiträge bezahlt. Nur will man sie jetzt, wo sie davon etwas beziehen sollten, mit Leistungskürzungen bestrafen. Gleichzeitig werden die Abzocker, die Topmanager verschont. Dabei sind sie schuld an dieser Krise und haben zahlreiche Firmenpleiten und die grosse Arbeitslosigkeit zu verantworten. Besonders störend ist, dass auf den Toplöhnen und Boni keine Beiträge an die Arbeitslosenversicherung abgezogen werden. Ab 126 000 Franken Einkommen gilt ein reduzierter Beitragssatz, und ab 315 000 Franken Einkommen zahlt man gar nichts mehr an die Arbeitslosenversicherung. In dieser Situation zu sagen, der Arbeitslosenversicherung fehle das Geld, ist eine Frechheit!
Theoretisch müsste die Arbeitslosenversicherung doch mit einem Guthaben dastehen, wenn so gute Wirtschaftsjahre hinter uns liegen?
Heute hat die ALV ein Minus von 6 Milliarden Franken. Das als Schulden zu bezeichnen, ist fragwürdig. Wenn schon, ist es der Ausdruck einer ungenügenden Finanzierung. Wir wissen auch, dass die höheren Ausgaben, die jetzt nötig sind, in Zeiten der Hochkonjunktur wieder ausgeglichen werden.
Es besteht also kein Handlungsbedarf?
Unseres Erachtens nicht. Sollten aber Massnahmen nötig sein, hat das bestehende Gesetz dafür einen Mechanismus vorgesehen: Der Bundesrat kann einen Finanzierungsausgleich auslösen, beispielsweise ein Solidaritätsprozent, bei dem höhere Einkommen einen Beitrag bezahlen müssen.
Die bürgerliche Mehrheit des Parlaments hat am 7. März eine Schlappe erlitten. Daraufhin hat sie sofort einen Kompromiss zur ALV beschlossen. Trotzdem ergreifen die Gewerkschaften das Referendum; weshalb?
Das ist kein Kompromiss! Auch jetzt ist die Vorlage immer noch schlechter als der ursprüngliche Vorschlag des Bundesrats, und schon da haben wir von einer untragbaren Abbauvorlage gesprochen. Das Parlament hat das klare Nein des 7. März nicht verstanden. Man hat für die Rettung der UBS 68 Milliarden Staatsgarantie aufgetrieben mit dem Argument, diese sei staatstragend, aber es muss doch klar sein, dass die Menschen weit mehr systemrelevant sind, also die Arbeitnehmenden, die am meisten unter der Krise zu leiden haben. Wenn die Manager, die Abzocker die gleichen Beiträge bezahlen würden wie normal Verdienende, gäbe es dieses Loch gar nicht.
Wenn das Referendum Erfolg hat, wird also die Lösung nach dem bestehenden Recht durchgesetzt?
Es bleibt dann bei der jetzigen Situation. Die heutige ALV ist auf Zeiten der Krise ausgerichtet. Wenn es nötig wäre, könnte der Bundesrat mit den zusätzlichen Massnahmen die Finanzierung verbessern.
Was geschieht, wenn die Revision angenommen wird?
Das hätte gravierende Auswirkungen: Das Volk würde einmal mehr bestraft und die Abzocker geschont. Betroffene wären vor allem jene, die heute schon grosse Probleme auf dem Arbeitsmarkt haben, also ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Jugendliche, die heute teils sehr grosse Schwierigkeiten haben, in den Arbeitsmarkt einzusteigen, und auch Frauen beim Wiedereinstieg. Sie alle würden von der Revision abgestraft. Deshalb müssen wir uns gemeinsam für ein klares Nein engagieren.
Der Aufschwung zeichnet sich ab. Aber führt das auch zu einer Erholung bei den Arbeitslosen?
Es wird sicher noch einige Zeit dauern. Ältere Arbeitnehmende stehen besonders unter Druck. Wer heute mit über 55 Jahren die Stelle verliert, findet in der Regel kaum mehr eine fest Anstellung. Für sie wäre diese Revision verheerend. Bei den Jugendlichen ist entscheidend, dass sie schnell ins Berufsleben einsteigen können, denn davon hängt unsere Zukunft ab. Das braucht besondere Anstrengungen.
Können die Gewerkschaften dazu etwas beitragen?
Das gewerkschaftliche Engagement, insbesondere mit den Mitgliedern an der Basis ist entscheidend. Nur so verschaffen wir legitimen Forderungen Gehör, die sonst ignoriert würden. Dies etwa für Konjunktur fördernde Massnahmen, wo regionale Bedürfnisse bestehen, aber auch bei den Forderungen nach zusätzlichen Investitionen in die Weiterbildung und nach einem ökologischen Umbau, der nötig ist, um neue und nachhaltige Arbeitsplätze zu schaffen.
Schauen wir noch etwas weiter voraus. Der Druck auf die Sozialeinrichtungen im Parlament bleibt gross. Wird sich daran etwas ändern, wenn dieses Referendum Erfolg hat?
Ja! Schon der klare Sieg beim BVG hat bei einigen Wirkung gezeigt; auch Bürgerliche haben doch gemerkt, dass man nicht einfach durchmarschieren kann. Die Stimmbevölkerung kann Abbauvorhaben stoppen. Aber viele haben es noch nicht begriffen, und deshalb ist es so wichtig, dass es bei der AVIG-Revision nochmals ein deutliches Nein gibt. Anscheinend will der Bundesrat die Abstimmung bereits im September durchführen, das heisst, wir müssen schnell und klar unsere Position unter die Leute bringen. Wenn es uns gelingt, auch dieses Referendum zu gewinnen, dann wird das Umdenken wohl stattfinden. Dann werden sie sich überlegen, ob sie die Abbauvorlage bei der AHV wirklich durchs Parlament durchboxen wollen. Es ist also entscheidend, dass es nochmals ein klares Nein gibt.
Interview: Peter Moor