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Interview

«Das Personal hat sicher nicht von den Bergbahn-Fusionen profitiert»

Prekäre Anstellungsbedingungen, ungeordnete Arbeitszeiten, Folgen des Klimawandels: Das Personal der Bergbahnen ist in einer schwierigen Lage. Nun will sich der SEV in dieser Branche engagieren. Peter Peyer, Regionalsekretär in Chur, ist Projektmitarbeiter.

Peter Peyer, Churer Regionalsekretär

kontakt.sev: Wo sind die besonderen Probleme in der Touristikbranche?
Peter Peyer: Es handelt sich um eine Sparte mit niedrigsten Löhnen und grossen saisonalen Schwankungen. Oft ist unklar, ob die Betriebe dem Arbeitsgesetz oder dem Arbeitszeitgesetz unterstehen. Häufig ist es das AZG, womit eine Nähe zu unseren Hauptbranchen gegeben ist. Der Tourismus ist in vielen Kantonen ein extrem wichtiger Wirtschaftsfaktor, der eigentlich klare Anstellungsregeln haben müsste.

Gibt es denn gar nichts Entsprechendes?
Der Kanton Wallis hat als einziger einen Normalarbeitsvertrag; zudem existiert aus früheren Jahren ein Mustervertrag, den SEV und Seilbahnen Schweiz (SBS) verfasst haben. Dieser wäre eine gute Basis, wird aber kaum angewandt. Im Alltag gibt es schlichtweg alles: Leute ohne jeglichen Vertrag, stunden und saisonale Anstellung, Arbeit auf Abruf, aber auch Ganzjahresstellen.

Wo setzt der SEV nun an?
Es ist ein weites Feld, das wir vor uns haben! Wir haben seit je Kontakte mit dem SBS und auch mit einzelnen Unternehmen. Sicher geht es nun darum, den Mustervertrag besser bekannt zu machen. Besonders werden wir auf die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen achten; da gibt es unbewusste Verstösse, aber auch bewusste. Schliesslich wollen wir das Bewusstsein der Betriebe und ihrer Mitarbeitenden schärfen, damit die häufig gehörte Aussage, man wolle in Menschen statt in Maschinen investieren, mehr als nur ein Wort bleibt. Realität ist heute natürlich das Gegenteil…

Wollen die Leute die Gewerkschaft überhaupt?
Wir brauchen Personen, die als eine Art „Türöffner“ wirken und die Verbindung zwischen der Belegschaft und dem SEV schaffen. Das hat an gewissen Orten bereits geklappt, zum Beispiel bei den Arosa Bergbahnen. Auch über die Kurse zu Sicherheit und Arbeitszeit können wir Kontakte knüpfen. Gelegentlich kommen Leute zu uns, die es komisch finden, dass sie nach 10 Jahren immer noch einen Stundenlohn von 17 Franken haben, oder dass sie sieben Tage praktisch ununterbrochen auf dem Pistenfahrzeug sitzen.

Gibt es ein gewerkschaftliches Bewusstsein in dieser Branche?
Es gibt zumindest ein verschärftes Bewusstsein für Fragen um die Arbeitssituation. Die schneearmen Winter haben neue Probleme aufgeworfen (siehe Kasten), und vor allem die Situation der Ascoop hat die Aufmerksamkeit erhöht. Und wenn das BAV wirklich Kontrollen zu den Arbeitsbedingungen machen sollte, kommt Unangenehmes auf die Leute und die Unternehmen zu!

Der Druck steigt also?
Eindeutig, da ist vieles in Bewegung. Wir waren aber schon bisher für die Leute aus dieser Branche da, wenn sie mit Anliegen zu uns gekommen sind. Entsprechend haben wir auch einige wenige Tourismusregionen, wo die Leute gut organisiert sind.

Wie lange habt ihr Zeit, um welches Ziel zu erreichen?
Wir haben gemäss Konzept vier Jahre Zeit, und die brauchen wir auch. Das Projekt ist im Mai am Kongress lanciert worden. Nun gibt es zuerst noch etwas Denk- und Schreibarbeit zu leisten, um den richtigen Einstieg zu finden. Die Erwartungen müssen realistisch sein: Wir werden nicht nach dem nächsten Winter 1000 Mitglieder mehr haben – wir müssen zufrieden sein, wenn dies nach vier Jahren der Fall ist.

In der Branche gibt es viele Fusionen und damit einen Trend zu grösseren Unternehmen – macht das eure Arbeit einfacher oder schwieriger?
Im Kanton Graubünden, wo wir einen Schwerpunkt setzen, sind diese grossen Unternehmen bereits Tatsache: Davos-Klosters, Flims-Laax-Falera, Oberengadin. Die Kleinen haben kaum Partner, auch aus geografischen Gründen. Das Personal hat sicher nicht von den Fusionen profitiert; wären sie schon gewerkschaftlich organisiert gewesen, hätten sie heute wohl bessere Verhältnisse. Ganz allgemein geht es den Unternehmen leider nicht darum, über Fusionen die Anstellungsbedingungen zu verbessern.

Gibt es in den grossen Unternehmen zumindest mehr feste Stellen?
Das kann man nicht sagen, denn das grosse Geschäft machen alle im Winter. Kleinere Regionen haben gar keinen Sommerbetrieb, aber auch grosse Unternehmen wie Flims-Laax-Falera haben ein extremes Ungleichgewicht: Im Winter arbeiten dort über 1000 Leute, von den rund 200 im eigentlichen Bahnbetrieb haben 65 eine Ganzjahresstelle.

Das ist auch für den SEV eine ungewohnte Situation!
Tatsächlich müssen wir uns Gedanken machen, wie wir die Mitglieder im Tourismus organisieren. Das Projekt sieht eigentlich vor, eine Art Musterregion aufzubauen, aber vielleicht müssen wir kleiner anfangen, mit einzelnen Mitgliedern, die keine lokale Sektion haben, sondern in einer Sektion Touristik zusammengefasst sind und sich ein-, zweimal jährlich treffen.

Und was bedeutet es, wenn Mitglieder jeweils ein halbes Jahr gar nicht in der Branche arbeiten?
Nun, sicher müssen sie nur einen reduzierten Beitrag zahlen, wie das ja auch für andere Teilzeitbeschäftigte gilt. Aber bezüglich Beratung und Hilfe müssen wir für sie da sein wie für alle andern Mitglieder auch!

Wie reagieren die Unternehmen auf den Vorstoss des SEV?
Bisher haben wir keine direkten Reaktionen auf die Lancierung des Projekts festgestellt. Aber es gibt ja Bereiche, wo wir gemeinsame Anliegen haben und auch gemeinsam vorgehen, wie für die Regelung der Kurzarbeit bei Schneemangel. Ich werde nun den Kontakt zu Seilbahnen Graubünden suchen, um ihnen unsere Vorstellungen zu präsentieren. Wir müssen auch die Rollen klären: Wenn etwa der SBS seinen Mitgliedern schreibt, man wolle eine eigene Interpretation des AZG suchen, da ihnen die Haltung des BAV nicht passt, müssen wir sehr aufmerksam sein.

Wir wollen ja nicht in erster Linie den Unternehmen an den Karren fahren, sondern eine vernünftige Beziehung suchen. Aber wenn ein Betrieb beispielsweise nicht bereit sein sollte, die gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten, besonders zur Arbeitszeit, muss er damit rechnen, dass wir auf Konfrontation gehen.

Interview: Peter Moor