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Abkommen Schweiz-EU: Der SEV bleibt skeptisch

Kurz vor Weihnachten erklärte der Bundesrat, ein Abkommen der Schweiz mit der EU stehe. Der SEV begrüsst generell den Ausbau des internationalen Schienenpersonenverkehrs (IPV) und die Zusammenarbeit mit der EU. Allerdings sieht der SEV grosse Risiken im Falle eines Systemwechsels. Eine Marktöffnung gegenüber der EU muss mit konkreten Schutzmassnahmen für das betroffene Personal begleitet und abgefedert werden. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) steht dem Abkommen kritisch gegenüber.

Am 20. Dezember kommunizierte der Bundesrat, die materiellen Verhandlungen mit der Schweiz mit der EU seien abgeschlossen. Im Frühling 2025 sollen die Verhandlungen dann formell abgeschlossen werden. Details, insbesondere über den Landverkehr und den Lohnschutz, sind jedoch bisher nicht bekannt. Folglich bleiben sowohl der SEV als auch die anderen Gewerkschaften des SGB skeptisch. Gleichzeitig bleibt der SEV auch seiner Position treu, sich gegen Gespräche nicht generell zu sperren, um den Schutz des Personals bei einer allfälligen Öffnung des IPV zu garantieren.

Der SEV spricht sich für den Ausbau der internationalen Verbindungen im Schienenverkehr aus, dies jedoch vorzugsweise im bewährten System der Kooperation. Der SEV bleibt skeptisch gegenüber einem möglichen Systemwechsel, der Konkurrenz an die Stelle von Kooperation setzt. Dies birgt die Gefahr von Verschlechterungen bei der Qualität für die Reisenden sowie von Dumping bei den Arbeitsbedingungen. Daher sollte der IPV weiterhin in Kooperation betrieben werden.

Verkehrspersonal darf bei einer Öffnung nicht unter die Räder kommen

Falls das Abkommen mit der EU zu einer Öffnung des Marktes führt, fordert der SEV eine Einbettung von Massnahmen zur Abfederung für das betroffene Personal. Am sichersten wäre die unmittelbare und zwingende Anwendung von Schweizer GAV-Normen für Personal, das in der Schweiz eingesetzt wird. Eine Regelung, die sich allein auf «Mindestbedingungen» beschränkt, ist für den SEV inakzeptabel. Darüber hinaus muss es praktikable Lösungen für Kontrollen geben, und zwar sowohl bei der Konzessionsvergabe als auch im täglichen Betrieb, vor Ort.

Die Marktöffnung des IPV birgt Risiken, die das Schweizer System gefährden und die gewohnte Qualität und Zuverlässigkeit, auch beim Schienenverkehr im Inland, beeinträchtigen könnten. Insbesondere eine Trassenvergabe durch Dritte oder ein unkontrollierter Zugang Dritter zu Trassen in der Schweiz würde das gesamte Fern- und Regionalverkehrssystem sowie den Taktverkehr gefährden. Dies wäre für den SEV ein No-Go beim Abkommen mit der EU. Der SEV stellt sich folglich gegen einen solchen Deal.

SGB: Ungenügendes Verhandlungsresultat

Der SGB kritisiert das vom Bundesrat als abgeschlossen erklärte Abkommen mit der EU. Aufgrund der bislang vorliegenden Informationen zeigt sich, dass damit der Lohnschutz abgebaut und der Service public geschwächt würde. Vom Bundesrat fordert der SGB volle Transparenz über die Inhalte des Abkommens.

Mit dem Abkommen wird es schwieriger werden, Schweizer Löhne durchzusetzen. Da die Schweiz Bussen (Konventionalstrafen) nur schwer im Ausland eintreiben kann, müssen die Unternehmen heute in verschiedenen Branchen eine Garantie leisten (Kaution). Diese fällt mit dem Abkommen weg. Die vorgesehene «Kaution im Wiederholungsfall» ist lediglich eine wirkungslose Beruhigungspille. Auch die «Dienstleistungssperre» ist nicht gesichert. Heute untersagen die Kantone 600 bis 1000 Betrieben pro Jahr, in der Schweiz zu arbeiten, weil sie nicht mit den Behörden kooperieren oder viel zu tiefe Löhne bezahlt haben. Ein weiteres Problem ist, dass sich die Schweiz mit dem Abkommen verpflichtet, die Spesenregelung der EU zu übernehmen. Die Arbeitnehmenden, die im Auftrag ihrer Arbeitgeber auswärts tätig sein müssen, erhalten die Kosten für Übernachtung und Verpflegung nur noch nach den Regelungen ihres Herkunftslandes erstattet. Dabei gehören diese Kosten in der Schweiz zu den höchsten in Europa. Die Verkürzung der Voranmeldefrist von 8 auf 4 Tage erschwert die Kontrolltätigkeit, wie ein Pilotversuch in den Kantonen BS und BL gezeigt hat.

Das Abkommen hat auch negative Auswirkungen auf den Service public, wenn die Schweiz die gut funktionierende Stromversorgung liberalisieren muss und beim IPV die bewährte Kooperation mit den Bahnen der Nachbarländer in Frage gestellt wird.

Ausserordentliche Delegiertenversammlung im Januar

Der Inhalt des Abkommens ist erst in den Grundzügen bekannt. Der Text selbst liegt noch nicht vor. Viele Fragen können erst beantwortet werden, nachdem die Gewerkschaften den Text eingesehen haben. Der SGB hat sich immer für eine Öffnung der Schweiz gegenüber der EU ausgesprochen, wenn diese den Arbeitnehmenden nützt und die Löhne gesichert sind. Er wird den Text eingehend analysieren, damit die Delegiertenversammlung am 31. Januar 2025 in Kenntnis der Ausgangslage über das weitere Vorgehen entscheiden kann. Er erwartet vom Bundesrat, dass dieser die erforderlichen Informationen zur Verfügung stellt.
 

Michael Spahr / SGB