Studie zur EU-Bahnpolitik
Unsinniger Wettbewerb
Wie in der SEV-Zeitung vom 21. Juni 2024 berichtet, untersucht Prof. Tim Engartner im Auftrag von Gewerkschaften – darunter der SEV – die Folgen der EU-Bahnpolitik, das heisst Liberalisierung und Wettbewerb in verschiedenen Ländern. Nun liegt eine «Kurzstudie» vor, die zeigt, dass Österreich und die Schweiz mit ihrem System besser fahren als Deutschland mit Ausschreibungswettbewerb und Liberalisierung.
Das im Juni vorgestellte «Summary Paper» hat der Professor für Sozialwissenschaften an der Universität zu Köln inzwischen zu einer «Kurzstudie» von immerhin 47 Seiten ohne Literaturverzeichnis ausgebaut. Sie heisst «Verfehlte Weichenstellungen in Richtung Wettbewerb – Erfolgskriterien für die Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene» und wurde am 7. November an einer Online-Medienkonferenz, organisiert von der österreichischen Bahngewerkschaft Vida, vorgestellt. Engartners Untersuchungen werden von den Gewerkschaften Vida, SEV und EVG sowie von der ETF, Mobifair und der Arbeiterkammer Wien finanziert. Die abschliessende Studie wird Ende 2025 vorliegen.
Investitionen wichtig, nicht Wettbewerb
Die Kurzstudie zeichnet die Entwicklung der Eisenbahn nach den EU-Rezepten Liberalisierung, Deregulierung, Privatisierung und Wettbewerb in Deutschland, Grossbritannien, den Niederlanden und Schweden nach. Diese gingen je einen etwas anderen Weg. So investierten die beiden letztgenannten Länder mehr in die Bahn, was dort zu einer besseren Entwicklung führte – wobei Schweden bis vor zehn Jahren die Infrastruktur auch noch vernachlässigte. Engartner wirft einen vergleichenden Blick auf Österreich und die Schweiz, die weiterhin auf Direktvergaben von Transportaufträgen an Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) setzen. Die EU-Kommission will jedoch Direktvergaben künftig verbieten, obwohl diese gemäss der sogenannten PSO-Verordnung der EU weiterhin vorgesehen und zulässig sind. Die beiden Alpenländer sind damit bisher gut gefahren, wie ihre im europäischen Vergleich sehr guten Verkehrszahlen (Personenkilometer, Bahnanteil am Modal Split) belegen. Dafür verantwortlich sind aber auch ihre relativ hohen Investitionen in die Bahn.
Schädliche Ausschreibungen – Direktvergaben besser
Der Ausschreibungswettbewerb in Deutschland dagegen schwächt die Bahn, wie Engartner mit Beispielen belegt: Qualität und Umfang der Leistungen, Pünktlichkeit und Sauberkeit nehmen ab, wenn EVU zu tief offerieren. Sie sparen beim Rollmaterial und vor allem beim Personal, weil Einsparungen bei Trassenabgaben, Energie und anderen Fixkosten kaum möglich sind. Die Ticketpreise steigen nach anfänglichen Vergünstigungen wieder an. Engartner zitiert eine Studie des Verbands der Bahnindustrie (VDB) von 2023, die zeigt, dass 92 Prozent der Ausschreibungen im deutschen Bahnsektor allein nach dem billigsten Anschaffungspreis vergeben werden und nicht nach Nachhaltigkeit, Effizienz oder Kundenkomfort. Vergaben an Billiganbieter, die nur an kurzfristigem Profit interessiert sind, können für die öffentliche Hand teuer werden, wie der Konkurs des EVU Abellio Rail NRW, (einer Tochter der Niederländischen Staatsbahnen) als Zugbetreiberin in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2021 zeigt: Nachdem es Strafzahlungen für Zugsausfälle und -verspätungen zahlen musste, wurde das Unternehmen insolvent, sodass andere EVU einspringen mussten – auf Kosten des Landes Nordrhein-Westfalen. Zudem sind Ausschreibungsverfahren für die Auftraggeber (bzw. die Steuerzahlenden) und die EVU kostspieliger als Direktvergaben. Auch die nicht seltenen juristischen Anfechtungen der Vergabeentscheide kosten Geld. Der Aufwand für die EVU und fehlende Profitaussichten führten dazu, dass im Jahr 2022 im deutschen Schienenpersonennahverkehr gerade einmal 1,41 Bewerbungen auf eine Ausschreibung kamen: ein Zeichen, dass dieser Markt nicht spielt …
«Wir müssen aus Erfolgen (Schweiz) sowie Misserfolgen (Grossbritannien und Deutschland) der Bahnen lernen», sagt Engartner an der Medienkonferenz. «Der bedingungslose Glaube an die belebende Kraft des intramodalen Wettbewerbs auf der Schiene ist verfehlt. Der Bahnsektor steht bereits in einem äusserst intensiven intermodalen Wettbewerb mit dem Strassen- und Luftverkehr.» Die Bahn brauche vor allem Investitionen, fordert Engartner, wie auch eine Neujustierung der zurzeit bahnfeindlichen Steuern und Abgaben für die verschiedenen Verkehrsträger sowie mehr Koordination im grenzüberschreitenden Verkehr.
Markus Fischer