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Gotthard-Basistunnel

Tunnel wieder befahrbar

(©SBB CFF FFS)

Etwas mehr als ein Jahr nach der Entgleisung eines Güterzugs wird der Gotthard-Basistunnel (GBT) am Montag, 2. September, endlich wieder voll funktionsfähig sein. Der Unfall und die Teilsperrung des Tunnels haben die wichtige Nord-Süd-Verbindung nicht nur in der Schweiz vor einige Probleme gestellt. Glücklicherweise entstand nur Sachschaden und niemand wurde verletzt. Ein Rückblick auf die Ereignisse und die Haltung des SEV.

Am frühen Nachmittag des 10. August 2023 traf die Nachricht ein, dass im Gotthard-Basistunnel etwas passiert war. Die ersten Informationen waren verwirrend und bruchstückhaft, das Ausmass des Schadens war unklar. Die SBB sprach zunächst von einer Wiedereröffnung in wenigen Stunden, dann in einigen Tagen. Schon bald wurden die ersten Fotos von der Unfallstelle im Tunnel publiziert, und es war sofort klar, dass es sich nicht um ein paar Tage handeln würde.

Ein Güterzug (unter der Verantwortung von SBB Cargo), bestehend aus zwei Lokomotiven und dreissig Güterwagen verschiedener Bauarten, der von Chiasso kommend nach Basel unterwegs war, entgleiste. Etwas präziser formuliert es der Zwischenbericht der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle Sust: «Ca. 10 km nach Einfahrt in das Südportal des Gotthard-Basistunnels […] brach ein Fragment der Radscheibe der in Fahrrichtung ersten Achse des 11. Wagens weg. Kurz darauf lösten sich noch weitere Fragmente aus dem Rad. […] Die Achse hing ab diesem Zeitpunkt schräg unter dem Wagen. Der Güterzug fuhr dann ca. 4 km weiter, ohne grosse Spuren an der Infrastruktur zu hinterlassen. Kurz vor der Multifunktionsstelle Faido […], ca. 17 km nach dem Tunnelportal, brach ein letztes Radfragment weg. Die Achse, die schräg unter dem Wagen hing, schlug vor der Weiche des Spurwechsels Faido auf die durchgehenden Betonschwellen und zerstörte alle Weichenantriebe. Infolgedessen entgleisten die nachfolgenden sechzehn Güterwagen und kippten teilweise im Tunnel um. Der Zug wurde zwischen dem 13. und 14. Wagen getrennt und gewisse Wagen gerieten auf das ablenkende Gleis». Diese Waggons krachten in das Tor, das die beiden Tunnelröhren trennt, und zerstörten es.

Der Lokführer wurde gemäss dem Tunnelinterventionsprotokoll unverletzt geborgen. Der Sachschaden war beträchtlich, aber es wurde niemand verletzt und es wurden keine gefährlichen Stoffe freigesetzt.

Ab dem 23. August 2023 konnte die Oströhre nach dem Einbau eines mobilen Erhaltungstors wieder für den Güterverkehr mit reduzierter Geschwindigkeit freigegeben werden. Somit standen Trassen für 100 Güterzüge zur Verfügung. 30 Güterzüge sowie alle Reisezüge wurden weiterhin über die Gotthard-Bergstrecke umgeleitet.

Zwischenbericht der Sust und Empfehlungen für Sofortmassnahmen

Wie in solchen Fällen üblich, leitete die Sust eine Untersuchung ein, um die Ursachen des Unfalls zu ermitteln. In ihrem Zwischenbericht informierte sie das Bundesamt für Verkehr (BAV) über die ersten Untersuchungsergebnisse und ihre Empfehlungen für Sofortmassnahmen, die zur Verhinderung weiterer Unfälle dieser Art zu ergreifen seien. Sie empfahl auch, diese an die Eisenbahnagentur der Europäischen Union (ERA) und die schwedische Aufsichtsbehörde weiterzuleiten, wo der Wagen zugelassen ist.

Geplante Massnahmen der SBB und international

In ihrer Medienmitteilung vom 27. Juni 2024, in der sie die vollständige Inbetriebnahme des Basistunnels bis zum 2. September ankündigt, skizzierte die SBB auch kurz die Massnahmen, die sie zur Vermeidung ähnlicher Ereignisse und zur Minderung ihrer Folgen ergreifen will. In der Medienmitteilung heisst es: «Zu den Massnahmen, um Ereignisse zu verhindern, gehören beispielsweise die frühzeitige Erkennung von notwendigen Instandhaltungsmassnahmen an Zügen mittels Zustands- und Bilddaten sowie der vermehrte Einsatz von Zugkontrolleinrichtungen. Um im Falle eines Ereignisses die Auswirkungen so stark wie möglich zu reduzieren und eine allfällige Entgleisung frühzeitig zu erkennen, prüft die SBB, bei den Spurwechseln im und vor dem GBT streckenseitige Entgleisungsdetektoren zu installieren.» Dies ist jedoch erst mittelfristig möglich. Als einzige sofort umsetzbare Massnahme erwähnt die SBB die Reduktion der Geschwindigkeit auf 160 km/h bei Gleiswechseln im Bereich der Portale vor dem Tunnel, um die Folgen eines solchen Ereignisses zu reduzieren. Eine Massnahme, die allerdings am letztjährigen Unfall nicht viel geändert hätte, da die Güterzüge keine 160 km/h erreichen.

Laut dem Zwischenbericht der Sust wurde die Entgleisung durch eine gebrochene Radscheibe verursacht. Das vom BAV auf europäischer Ebene eingeleitete Verfahren hat dazu geführt, dass der Radtyp, der die Entgleisung verursacht hat, und andere ähnliche Radtypen zu «nicht mehr thermostabilen Rädern» herabgestuft wurden, was strengere Massnahmen bei Anzeichen einer thermischen Überlastung nach sich zieht.

Die Haltung des SEV

Der SEV ist der Meinung, dass diese Massnahmen in die richtige Richtung gehen, aber dennoch zu zaghaft sind. Es ist zwar unbestreitbar, dass es keine absolute Sicherheit gibt. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass stärkere Massnahmen ergriffen werden können, um das Risiko so weit wie möglich zu reduzieren. Der SEV schlägt deshalb folgende weitere Massnahmen vor:

  • Auf dem schweizerischen Schienennetz sollen nur noch Güterwagen mit Entgleisungsdetektoren verkehren – eine technischen Einrichtung, die nach der Entgleisung eines Güterzugs in Zürich-Affoltern 1994 entwickelt und bereits an einigen Kesselwagen getestet und eingebaut wurde (Notbremsung/mechanisch direkt via Hauptleitung oder digital mit Alarm an Triebfahrzeugführer);
  • An den Grenzbahnhöfen werden systematische Klangkontrollen an den Radsätzen bei den in die Schweiz einfahrenden Zügen aller Eisenbahnverkehrsunternehmen durch technische Kontrolleure (TKC) eingeführt (z. B. durch den TKC von SBB Cargo); daher müssen die TKC personell aufgestockt werden.

Die lange Zeit, die für den Abtransport der beschädigten Wagen und die anschliessenden Reparaturarbeiten benötigt wurde, reduzierte die Betriebskapazität des Basistunnels. Die Existenz der «alten» Gotthard-Bergstrecke ermöglichte es jedoch, die Unannehmlichkeiten, sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr, zu begrenzen. Es soll daher nicht vergessen werden, dass es nach der Eröffnung des Basistunnels viele Stimmen gab, auch innerhalb der SBB, die die Schliessung der nunmehr «überflüssigen» Panoramastrecke in Erwägung zogen. Eine Meinung, die durch die Fakten eindeutig widerlegt wurde.

Von entscheidender Bedeutung ist auch das Engagement des Bahnpersonals aus allen Bereichen, um den Eisenbahnbetrieb aufrecht zu erhalten und um den längsten Eisenbahntunnel der Welt, auch unter schwierigen Bedingungen, wieder voll funktionsfähig instand zu setzen. Auch das Personal der über die Gotthard-Bergstrecke umgeleiteten Züge war mit einigen Herausforderungen konfrontiert: kurzfristige Dienstplanänderungen, längere Diensttouren, reduziertes Platzangebot in den Zügen usw.


Veronica Galster