Öffentliche Dienste Waadt
Teuerungsausgleich und Wertschätzung
Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst im Kanton Waadt protestieren weiter. Sie kämpfen für den Erhalt der Kaufkraft. Nach Corona hatten sich Lehrpersonen und Gesundheitspersonal mehr Wert-schätzung erhofft. Wird der Regierungsrat endlich auf sie hören?
Die Frage des Teuerungsausgleichs und der Indexierung der Löhne mit dem Ziel, die Kaufkraft zu erhalten, bleibt heiss umstritten. Im öffentlichen Dienst liegen die Zahlen in der Westschweiz überall tiefer als die Teuerung zwischen Oktober 2021 und Oktober 2022, die etwa 3 % beträgt. Freiburg: 2,74 %; Genf: 2,44 %; Neuenburg: 1,8 %; Wallis: 2 %; Waadt: 1,4 %. Das ist weit weg von den 3,5 %, die der Kanton Zürich seinem Personal zugestanden hat. Die Waadt ist der einzige Kanton, in dem es zurzeit zu heftigen Protesten kommt, denn der Teuerungsausgleich ist der tiefste der Westschweiz - und dies trotz bester Finanzlage.
Am 1. März führte das Personal des öffentlichen Dienstes seinen fünften Kampftag für den Teuerungsausgleich durch. Wiederum streikten über 1000 Lehrpersonen. Weitere Aktionen betrafen das Universitätsspital (CHUV), die Universität und soziale Institutionen. Am Abend demonstrierten mehrere tausend Personen in den Strassen von Lausanne. Die Beschäftigten des Kantons und der staatsnahen Betriebe verlangen den vollen Teuerungsausgleich. Am 8. Dezember hatte die Regierung einen teilweisen Ausgleich von 1,4 % beschlossen, zudem eine einmalige Prämie von 0,8 % für die Lohnklassen 1 bis 10 – eine Prämie, die in den Nebenbetrieben nicht zum Zug kommt. «Conseil d’Etat, le compte n’y est pas (Regierungsrat, die Rechnung geht nicht auf)» stand auf den Transparenten.
Fehlende Wertschätzung
Das Personal beschwert sich über Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen, verbunden mit einem Mangel an Wertschätzung. «Nach schwierigen Jahren fühlen wir uns, als würde uns der Arbeitgeber ins Gesicht spucken», meinte ein Teilnehmer am Streik vom 31. Januar. Die Wut der Beschäftigten ist gross, so gross wie die Ohrfeige, die ihnen die Regierung gegeben hat. Beim Staat und in seinen Betrieben sind mit Corona der Stress und die Arbeitslast, die zuvor schon hoch waren, nochmals gestiegen. Sie sind die Folge von Sparprogrammen und Privatisierungen. Statt die Bemühungen des Personals zu schätzen, hat sich die Kantonsregierung – neuerdings mit bürgerlicher Mehrheit – für eine Einbusse bei den Reallöhnen entschieden. Gleichzeitig sitzt der Staat auf einem Vermögen von 5,3 Milliarden Franken, und er hat in den letzten Jahren die Steuergeschenke für grosse Unternehmen und Reiche vervielfältigt.
Geringschätzung der Regierung
Noch verstärkt wird die Wut durch die geringschätzende Haltung, die der Regierungsrat das Personal spüren lässt, allen voran ihre freisinnige Präsidentin Christelle Luisier, die von der Zeitung «Le Temps» den Übernamen «eiserne Lady der Waadt» erhalten hat. Die Regierung hat die Forderung von Tausenden Angestellten einfach vom Tisch gewischt und lange jede Diskussion zu den Löhnen verweigert. Angesichts der grössten Mobilisierung in der Waadt seit 15 Jahren hat sie die Tür einen Spalt weit geöffnet und am 23. Februar erstmals mit den Gewerk-schaften verhandelt. Bei diesem Treffen hat sie aber jede konkrete Zusage für einen Teuerungsausgleich im Jahr 2023 verweigert.
Nach Spitzen von über 10 000 Teil-nehmenden am 31. Januar und 9. Februar nahm die Beteiligung an den Protesten wieder etwas ab. Die einen waren entmutigt von der Weigerung der Regierung, andere mussten auf Streiktage verzichten, weil sie zu schwer auf ihr Portemonnaie drücken. Zudem ist es bei den Unterbeständen im Personal fast unmöglich zu streiken.
Geeinte Gewerkschaften
Die gewerkschaftliche Front von VPOD, SUD und Beamtenbund ist geschlossen, was früher nicht immer der Fall war. Das erlaubt es, mit einer gewissen Gelassenheit in die Zukunft zu gehen. Die Regierung befindet sich nämlich seit einigen Wochen eher in einer schwachen Position. Dass die aus dem Kanton Zug stammende Finanzdirektorin Valérie Dittli in der Waadt keine Steuern bezahlt, hat zu einem grossen Aufschrei geführt. Die Regierung musste bei einem Genfer Anwalt ein Gutachten in Auftrag geben, um die Situation des jüngsten Ratsmitglieds zu klären.
Bei dieser Schlacht steht viel auf dem Spiel. Die Verweigerung des vollen Teuerungsausgleichs könnte nur der Anfang von weiteren Angriffen auf den öffentlichen Dienst sein. Diese Haltung ist die Folge einer allgemeinen Tendenz: Die Rechte und die Arbeitgeber verschärfen ihre Angriffe gegenüber den Beschäftigten, mit dem klaren Ziel, mehr Flexibilisierung und weniger Absicherung zu erreichen. In der Waadt prallt diese antisoziale Offensive jetzt auf die starke Bewegung und die Streiks des öffentlichen Personals. Unsere Waadtländer Kolleginnen und Kollegen zeigen uns den Weg, wie wir der Schwächung der Arbeitsplätze und dem Abbau des öffentlichen Dienstes entgegentreten können. Sie haben unsere volle Solidarität verdient.
Yves Sancey
mit
«Services Publics», VPOD.