VPT-Branchentagung Schifffahrt
Gute Zahlen, zu wenig Personal
Das Ende der Corona-Massnahmen bescherte der Schifffahrt auf den Schweizer Seen letztes Jahr gute Zahlen. Das Personal profitierte jedoch nur bedingt davon und ist praktisch überall mit einem gravierenden Personalmangel konfrontiert. Das berichteten die SEV-Mitglieder der Schifffahrtsgesellschaften am 18. Januar, an der VPT-Branchentagung in Luzern.
Draussen schneit es. Drinnen an Bord der «Gotthard» am Landungssteg neben dem Kultur- und Kongresszentrum Luzern ist es gemütlich warm. Rund 40 Kolleginnen und Kollegen der Schweizer Schifffahrtsgesellschaften treffen sich an der ersten VPT-Branchentagung im neuen Jahr. Weniger gemütlich ist die Situation auf vielen Schweizer Seen für das Personal. Obwohl zahlreiche Betriebe im letzten Jahr Rekordergebnisse schrieben, bleibt es für das Personal schwierig. Insbesondere der Personalmangel sorgt für hohe Belastung.
SEV-Gewerkschaftssekretär Angelo Stroppini gibt einen Einblick in die Situation auf den Tessiner Seen. Noch immer seien sie bei der gewerkschaftlichen Arbeit beflügelt von den Streiks von 2017 und 2018. Der GAV für die Mitarbeitenden der Schifffahrtsgesellschaft des Luganersees (SNL) wurde bis Ende 2026 verlängert. Darin inbegriffen sind automatische Lohnerhöhungen und die Möglichkeit bei Streitfällen an ein Schiedsgericht zu gelangen. Zudem gab das Bundesamt für Verkehr dem SEV bei einer Klage gegen die SNL Recht. Die SNL musste Nachbesserungen bei den Arbeitsbedingungen vornehmen. Auch der Organisationsgrad sei im Moment ausgezeichnet, sagt Angelo Stroppini und fügt an: «Die Schifffahrtsgesellschaften überraschen uns immer wieder mit neuen Ideen. Gut, dass wir als Gewerkschaft bestens organisiert sind und darauf reagieren können.»
Weitaus schwieriger gestaltet sich die Situation auf dem Bodensee. Der neue Präsident der Sektion Bodensee SBS, Pascal Müller, erzählt, dass die Geschäftsleitung der vor fünfzehn Jahren komplett privatisierten Gesellschaft immer noch nicht mit dem SEV verhandeln will. Immerhin werde das Arbeitszeitgesetz eingehalten und auch bei den aktuellen Lohnmassnahmen sei das Resultat überraschend gut. Das erstaunt nicht, denn der Personalmangel ist gross. Pascal Müller zweifelt deshalb, ob der Betrieb dieses Jahr vollumfänglich aufrechterhalten werden kann.
Auch auf dem Bielersee fehle das Personal, erzählt Mike Wiedmer, Präsident der Sektion BSG. Oft verlassen junge Matrosinnen undMatrosen das Unternehmen schnell wieder, kaum sind sie fertig ausgebildet. Der Dialog mit der Geschäftsleitung gestalte sich zuweilen äusserst mühsam.
Bei der von der BLS ausgelagerten BLS-Schifffahrt hat sich nicht viel verändert. Es wurde viel Staub aufgewirbelt, als ein Basler Schiffsunternehmer plötzlich einen «unfriendly Takeover» einfädeln wollte. Und die Geschäftsleitung wollte auf einmal ein neues Lohnmodell einführen, erzählt Martin Schild, Schiffsführer auf dem Brienzersee: «Doch am Schluss gebar der Elefant eine Mücke.» Weder die Übernahme durch einen Investor noch eine Änderung beim Lohnsystem kam durch. Stattdessen gewährte der Grosse Rat des Kantons Bern dem Unternehmen, ein neues Schiff für den Thunersee zu kaufen.
Insgesamt konnten die Vertreterinnen und Vertreter des Personals von praktisch allen Schifffahrtsunternehmungen relativ zufriedenstellende Lohnmassnahmen erwirken, obschon die Verhandlungen zuweilen zäh waren und das Betriebsklima in einigen Unternehmungen angespannt bleibt. «Oft argumentierten die Unternehmen mit der drohenden Energiekrise und daraus folgenden Sparmassnahmen, wenn sie mit uns über Löhne und einen neuen GAV zu verhandeln begannen», sagt ein Kollege. Nun versuchten die Betriebe andernorts zu sparen, was nicht immer schlecht sei. «Auf dem Bodensee drosseln wir das Tempo und sparen so enorm viel Diesel», sagt Pascal Müller und sein Berner Kollege Martin Schild erwidert: «Das wünschte ich mir auf dem Brienzersee auch. Dann hätten wir weniger Stress.» Ebenfalls ein grosses Bedürfnis ist, dass alle Betriebe Fahrvergünstigungen für das Personal anbieten sollen. Nicht alle Schifffahrtsgesellschaften bieten ihren Mitarbeitenden ein FVP-GA an.
Sichtlich stolz präsentiert René Schnegg, Vizepräsident des VPT-Zentralausschusses, die Mitgliederzahlen des letzten Jahres. 952 neue Mitglieder konnte der VPT 2022 gewinnen. Auch SEV-Vizepräsident Christian Fankhauser ist hocherfreut: «Ich habe noch nie so viele Frauen an einer Schiffstagung gesehen.» Er spricht über die sozialpolitischen Herausforderungen des Jahres: «Wir müssen die Abstimmung zur13. AHV-Rente gewinnen. Und wir müssen eine Verschlechterung bei den Pensionskassen bekämpfen.» Dann fügt er an: «Politisch dürfte uns auch der Wechsel an der Spitze des UVEK im Bundesrat beschäftigen. Wir sind gespannt, ob wir den ehemaligen Auto-Lobbyisten Albert Rösti für den öffentlichen Verkehr gewinnen können. Die Geschäftsleitung hat ihm eine Einladung geschickt, den SEV zu besuchen.»
Am Nachmittag der Branchentagung besucht Matthias Hartwich die «Gotthard» und erzählt den Anwesenden seine Geschichte: «Ich komme nicht vom See, sondern von der See», scherzt der aus Norddeutschland stammende neue SEV-Präsident. «Auch ich arbeitete schon mal für die Schifffahrt. Als junger Student heuerte ich jeweils als Handlanger im Hafen von Bremerhaven an und half mit, die grossen Schiffe zu entladen.» Mit Herzblut hat er sich seither als Gewerkschafter engagiert, aus gutem Grund: «Wir sind nicht geborene Heldinnen und Helden. Aber wenn wir solidarisch sind und zusammenstehen, dann sind wir stark.»
Der Vorstand der Branche Schiff verabschiedet schliesslich die «Piratin» Barbara Schraner, die zum letzten Mal die Branchentagung geleitet hat. Anschliessend wählen die Teilnehmenden einstimmig Manuel Pinto da Costa Silva neu in den Vorstand. Er ist Schiffsführer auf dem Neuenburgersee und Präsident der VPT-Sektion Neuchâtel Navigation.
Michael Spahr