Neuer Koordinator Politik
Eine politische Stimme
Seit dem 1. Juni arbeitet Simon Burgunder beim SEV als Koordinator Politik. Er beobachtet für den SEV das politische Geschehen. Und er pflegt Kontakte zu Politikerinnen, Politikern und verschiedenen Interessengruppen, um ihnen die Positionen des SEV zu vermitteln und den Einfluss der Gewerkschaft zu stärken. Ein Interview.
Gibt es ein Thema, dass dich derzeit gerade besonders beschäftigt?
Ganz sicher die drohenden Sparmassnahmen im öffentlichen regionalen Personenverkehr. Dieser wird zu 50 % durch die öffentliche Hand finanziert, also durch die Kantone und den Bund. Jetzt will Karin Keller-Sutter 2024 7,8 % einsparen. Das sind 92 Mio. Franken, nur Bundesgelder. Das ist ein riesiger Betrag. Hinzu kommen Kürzungen von jährlich 2 % in den nächsten Jahren. Das sind weitere 20 bis 30 Mio. Franken, die jedes Jahr fehlen werden. Das heisst, es drohen Einsparungen beim Personal und ein Abbau beim Leistungsangebot. Klar ist, dass das Personal die Sparmassnahmen am Schluss wird ausbaden müssen. Wir versuchen unsere «befreundeten» Parlamentsmitglieder anzugehen, also Politikerinnen und Politiker, die sich für den öffentlichen Verkehr stark machen. Viele Parlamentsmitglieder haben wir bereits überzeugt, bei den Budgetdebatten im Herbst auf die Bremse zu stehen. Zudem haben wir eine Petition lanciert, die Bundesrat und Parlament auffordert, nicht beim öffentlichen Verkehr zu sparen.
Wie sieht es aus bei anderen Themen, die brennen, zum Beispiel die Europapolitik?
Nach dem Scheitern des Rahmenabkommens zwischen der EU und der Schweiz laufen jetzt wieder neue Verhandlungen. Der Bundesrat versucht mit der EU eine Einigung in einzelnen Bereichen zu finden. Ein möglicher Verhandlungsbereich ist der Verkehr. Das Problem ist, dass bei den Sondierungen im Vorfeld weder die Gewerkschaften noch die Arbeitgeber miteinbezogen wurden. Es scheint, als wolle das Bundesamt für Verkehr (BAV) den Verhandlungsspielraum alleine abstecken, ohne die Sozialpartner einzubeziehen, wie es bei der Personenfreizügigkeit gang und gäbe ist. Wir hatten zwar ein Treffen mit dem Seco und dem BAV, aber da fehlte die SBB. Die EU möchte im internationalen Personenverkehr den freien Zugang von europäischen Eisenbahnverkehrsunternehmen zum Schweizer Schienennetz. Wir sind gegen eine unkontrollierte Liberalisierung. Das ist weder im Interesse des Verkehrspersonals noch im Interesse der Öffentlichkeit. Wir wollen keine Verhältnisse wie in Deutschland. Wir befürworten eine Öffnung im internationalen Personenverkehr durchaus. Züge sollen nicht an der Grenze haltmachen. Züge sind schon immer über Grenzen gefahren und haben so Gesellschaften verbunden. Aber die Öffnung soll mit dem bewährten Kooperationssystem passieren. Gäbe es ein Konkurrenzsystem, würden alle nur noch die lukrativen Linien betreiben wollen und der Rest würde liegen bleiben. Wir wollen nicht, dass dadurch die Arbeitsbedingungen verschlechtert werden und die Infrastruktur vernachlässigt wird. Auf Schweizer Schienen sollen Schweizer Löhne bezahlt werden! Wir verlangen von Seco und BAV, dass auch im Verkehr der soziale Dialog institutionalisiert wird.
Das andere grosse Thema, das uns in den nächsten Jahren beschäftigen wird, ist der Klimawandel. Wo engagierst du dich da?
Es ist klar, dass der öV eine wichtige Rolle spielt, wenn wir den Klimawandel stoppen wollen. Eine grosse Frage ist, wie bringen wir mehr Leute in den öffentlichen Verkehr. Da gibt es verschiedene Ideen, wie z. B. die Verbilligung der Tickets oder die Einführung des Gratis-öV. Dort müssen wir aufpassen. Der öV kostet, das Personal kostet. Das heisst, es darf nicht sein, dass wir die verschiedenen Interessen gegeneinander ausspielen. Wenn man den öV billiger für die Reisenden macht, darf man nicht gleichzeitig die Arbeitsbedingungen für das öV-Personal verschlechtern. Wenn wir den öV attraktiver gestalten wollen, muss auch das Personal berücksichtigt werden. 2,5 Mio. Menschen werden täglich alleine vom regionalen Personenverkehr bewegt. Und da muss die öffentliche Hand bereit sein, zu investieren. Der neue Verkehrsminister Albert Rösti sagt, er möchte alles fördern, sowohl die Strasse als auch den öV Das mag kurzfristig funktionieren, aber langfristig werden wir ein Finanzierungsproblem haben. Letztlich stellt sich die Frage, ob nicht die Finanzierungsmechanismen im Verkehr überdenkt werden müssten. Im Moment werden Strasse und Schiene aus unterschiedlichen Kassen finanziert. Der Strassenverkehr finanziert sich vorwiegend aus Mineralöl und Automobilsteuern, die Schiene über allgemeine Bundesmittel, aber auch aus der LSVA und der Mineralölsteuer. Meines Erachtens muss im Hinblick auf die Netto-Null-Zielsetzung die Frage gestellt werden, ob nicht eine Umverteilung von der Strasse zur Schiene erfolgen sollte. Für den SEV ist klar, der öV ist Teil der Lösung zur Klimawende! Wir werden am 30. September mit dem SEV auch an der Klima-Demo teilnehmen.
Wir sprachen bisher nur vom Personenverkehr. Was sagst du zum Güterverkehr?
Auch da werden wir uns mit der Frage der Finanzierung beschäftigen müssen. Das zeigt der Gotthardbasistunnel-Unfall exemplarisch. Welche technischen Standards sollen im Güterverkehr gelten? Wie viel und intensiv sollen Güterzüge kontrolliert werden? Wer haftet für Unfallkosten? Es geht aber auch um die Frage, wie können noch mehr Güter auf die Schiene verlagert werden, insbesondere im Binnenverkehr. Ganz klar werden wir uns dafür einsetzen, dass die Verlagerungspolitik fortgesetzt wird. Die Finanzierung muss gesichert sein und das Personal anständig entlöhnt werden.
Wie sieht es eigentlich beim Thema Digitalisierung aus?
Natürlich ist die Digitalisierung ein grosses Thema für uns. Das geht vom automatischen Fahren über die Digitale Automatische Kupplung bis hin zum digitalisierten Kundendienst. Da müssen wir vorausschauend sein, damit wir rechtzeitig auf neue Entwicklungen reagieren können. Wir bleiben dran.
Porträt Simon Burgunder
Der gelernte Politologe und Volkswirtschafter arbeitet seit rund zwei Jahrzehnten im Gewerkschafts- und im Umweltbereich. Bevor Simon Burgunder (47) zum SEV kam, arbeitete er fünf Jahre als Rechtsberater bei der Unia Zürich. Davor war er als Umweltratingsexperte beim VCS und als Gewerkschaftssekretär beim VPOD in Basel tätig. Nach seinem Studium in Bern und Bologna absolvierte er verschiedene Praktika u. a. beim WWF und der Unia. Neben seiner beruflichen Tätigkeit als Koordinator Politik beim SEV arbeitet er leidenschaftlich gerne in einem Familiengarten, kocht italienisch oder besucht Fussballspiele der Berner Young Boys. Er ist Vater einer Tochter.
Michael Spahr
Klima-Demo am 30.9.23
Der SEV beteiligt sich an der Kundgebung der Klima-Allianz. Gemeinsam mit rund 140 Organisationen kämpft der SEV für Massnahmen gegen den Klimawandel. Dabei muss sichergestellt werden, dass diese Massnahmen sozial abgefedert sind («Just Transition»). Wir treffen uns am Samstag, 30. September 2023, um 14 Uhr beim Bollwerk in Bern mit dem Transparent «Public Transport for Future».