Gegenvorschlag bleibt zahnlos – Initiative kommt zur Abstimmung
Was sind uns die Menschenrechte wert?
Die NGOs haben keinen Zweifel daran, dass sich bei der parlamentarischen Beratung des Gegenvorschlags zur Konzernverantwortungsinitiative die Lobbys der Multis durchgesetzt haben. Nach zwei Jahren Hin und Her hat der Berg eine Maus geboren.
Der Gegenvorschlag ist derart bescheiden, dass ihn das Initiativkomitee als unzureichend beurteilt und an der Initiative festhält. Diese fordert, dass multinationale Unternehmen für ihre soziale und ökologische Verantwortung zur Rechenschaft gezogen werden. Voraussichtlich am 29. November wird nun das Stimmvolk darüber entscheiden.
Der ehemalige Tessiner Ständerat Dick Marty äusserte sich als Co-Präsident des Initiativkomitees im Tessiner Radio RSI empört über den mageren Gegenvorschlag. «Es ist enttäuschend und bestürzend, wie lange das Parlament gebraucht hat, um zu diesem Entscheid zu kommen. Der Abstimmungskampf wird besonders intensiv und in den kommenden Wochen und Monaten immer intensiver werden.» Das Initiativkomitee hatte sich bereit erklärt, seinen Text zurückzuziehen, falls sich der vom Nationalrat ausgearbeitete Gegenvorschlag durchsetzt. Doch am vergangenen Donnerstag hat die Einigungskonferenz die Light-Version des Ständerats verabschiedet, die keine weitergehenden Verpflichtungen vorsieht, als sie auf internationaler Ebene bereits gelten. Für die Initiant/innen ist diese Light-Vorlage ein Alibi-Gegenvorschlag: «Damit müssen Multis wie Glencore und Syngenta für die von ihnen verursachten Schäden nicht haften, sondern brauchen nur einmal im Jahr eine Hochglanzbroschüre zu veröffentlichen.» Somit steht fest, dass das Volk über die Initiative abstimmen wird, und zwar unabhängig davon, ob nach Redaktionsschluss am Montag der Nationalrat und am Dienstag der Ständerat die von der Einigungskonferenz gutgeheissene Light-Vorlage annehmen oder nicht.
Im März hatte der Nationalrat beschlossen, an seinem Gegenvorschlag festzuhalten, der die Unternehmen stärker in die Pflicht nahm als jener des Ständerats. Der nationalrätliche Vorschlag betraf nur die grössten Unternehmen mit einem Umsatz von über 80 Millionen, einem Gewinn von mindestens 40 Millionen und 500 Beschäftigten, wobei mindestens zwei dieser drei Kriterien erfüllt sein mussten. Er beschränkte ihre Haftung auf ihre direkt kontrollierten Tochtergesellschaften. Und er sah zudem ein obligatorisches Schlichtungsverfahren zwischen den Parteien vor der Einleitung eines Strafverfahrens vor. Obwohl dieser Vorschlag also moderat war, unterstützte der Ständerat den bundesrätlichen Gegenvorschlag, der lediglich verlangt, dass multinationale Unternehmen jährlich über ihre Menschenrechtspolitik Bericht erstatten, und der gewisse «Sorgfaltspflichten» bezüglich Kinderarbeit und Rohstoffgewinnung beinhaltet.
Kurz: Es scheint, dass Menschen-, Sozial- und Umweltrechte für das Parlament von sehr geringer Bedeutung sind. Entsprechend gross ist Dick Martys Enttäuschung, die er im Tessiner Radio nicht verhehlte: «Selbst wenn die Initiative angenommen wird, werden wir noch mindestens drei oder vier Jahre warten müssen, bis ein Gesetz mit konkreten Auswirkungen vorliegt. In der Zwischenzeit werden in fragilen Ländern weiterhin inakzeptable Verhältnisse herrschen.» Und je näher ein Kompromiss der Abstimmung rückt, desto mehr Zähne drohen ihm auf Druck finanzstarker Lobbys gezogen zu werden…
Françoise Gehring/SDA/Medienmitteilungen; Übersetzung: ma & Fi