Generationenwechsel
Der SEV von morgen: Rezepte zur Nachfolgesicherung
Die Babyboomer-Generation steht kurz vor der Pensionierung – und damit auch viele Vorstandsmitglieder in den Sektionen. Wer wird ihre Aufgaben übernehmen? Wir haben junge SEV-Mitglieder getroffen, die erzählen, wie der Generationenwechsel klappen kann.
Die Generation der Babyboomer wird bald in Rente gehen. Das stellt nicht nur die öV-Unternehmen vor Herausforderungen, sondern auch den SEV: Wer übernimmt die Verantwortlichkeiten innerhalb der Sektionen, wenn viele Vorstandsmitglieder pensioniert werden?
Beim LPV Zürich hat der Generationenwechsel geklappt. Die Sektion hat ihren Vorstand wesentlich verjüngt, in den vergangenen Monaten konnten eine neue Aktuarin, ein neuer Kassier und zwei Co-Präsidenten gefunden werden. Doch der Wechsel ist nicht einfach so passiert, erzählt der 30-jährige Stefan Bruderer, neuer Co-Präsident der Sektion. Man stand nämlich vor der gleichen Herausforderung wie derzeit so viele Sektionen: «Die Leute melden sich nicht von alleine für die freigewordenen Ämter. Man muss immer wieder auf sie zugehen und sie immer wieder anfragen», so die Erfahrung des früheren Präsidenten der Jugendkommission.
Ein grosser Vorteil für die Nachfolgesicherung sieht Stefan Bruderer im Vertrauensleute-Netzwerk: Der LPV Zürich baut an seinen Standorten Kontaktpersonen auf, die er zuverlässig mit Infos versorgt. «Diese Leute werden für die Mitglieder zu wichtigen Ansprechpersonen, die irgendwann Lust haben, auch mitzureden.» Wenn neue Aufgaben in der Sektion zu vergeben sind, hat man so einen Pool von Mitgliedern, die man anfragen kann. Aus Stefan Bruderers Erfahrung seien die Leute froh, wenn sie spüren, dass sie gebraucht werden, und fühlen sich gerne miteinbezogen. Jedoch sei es sehr individuell, wie sich die verschiedenen Kolleg/innen die Mitarbeit im Vorstand vorstellen können, erzählt der Lokführer: «Man muss auch offen sein für andere Wege des Engagements.» Für junge Väter und Mütter sei es beispielsweise schwierig, monatlich an einer Sitzung teilzunehmen. In Zürich organisiert sich der Vorstand deshalb in einer Whatsapp-Gruppe: «Über den Chat teilen wir uns die Aufgaben im Vorstand auf und die Kommunikation funktioniert, auch wenn wir uns nicht monatlich sehen». Bei den fünf Treffen im Jahr sei dafür die soziale Komponente und das gemeinsame Essen nach der Sitzung umso wichtiger.
Essenziell ist es für Stefan Bruderer auch, die Mitglieder zu fragen: «Was interessiert dich denn überhaupt?» Wenn man stur einfach nach einem Protokollführer suche, habe man wenig Chancen, einen zu finden, so Bruderer. «Wenn man jedoch sagt: ‹Wir brauchen die Erfahrungen, die du hast›, und bereit ist, eine attraktive Form der Mitarbeit anzubieten, hat man viel grössere Chancen, Leute zu finden.»
Zum Teil können sich die Leute anfangs noch kein Amt im Vorstand vorstellen, möchten die Sektion aber in anderer Form unterstützen. Dafür ist man beim LPV Zürich offen. So haben die Mitglieder die Möglichkeit, reinzuschnuppern und reinzuwachsen – beispielsweise wenn sie an einer Verhandlung teilnehmen können oder man gemeinsam einen Kollegen bei einem schwierigen Gespräch mit dem Vorgesetzten begleitet. Die Mitglieder können sich dadurch die Aufgaben in der Gewerkschaft besser vorstellen – und sind damit eher bereit, ein Amt im Vorstand zu übernehmen. Von einem ist Stefan Bruderer nämlich überzeugt: «Grundsätzlich ist jede Person eine Bereicherung – egal, was sie kann. Jeder trägt etwas zum Erfolg bei. Die Vorstandsarbeit besteht vor allem aus Engagement. Und das kann jeder und jede.»
Elisa Lanthaler
Das Tessiner Beispiel
«Über die Zukunft können wir nur sprechen, wenn wir die Jungen als Direktbetroffene mit einbeziehen», sagt Thomas Giedemann, Präsident LPVTicino. Er gehört der mittleren Generation an, spricht aber bei seiner unermüdlichen Basisarbeit viel mit Jungen. «Die Stärke des SEV ist die Nähe, der direkte Kontakt zu den Kolleg/innen, unabhängig vom Alter.» Die LPV-Sektion Ticino will die Jungen beteiligen, ihnen Verantwortung überlassen. Und sie ist stolz darauf, dass sie mit Gabriele Bianchi in der Jugendkommission vertreten ist.
«Es genügt nicht, den Kontakt zu den Jungen zu suchen, sondern man muss sich auch mit ihnen auseinandersetzen und offen sein für neue Ideen und Perspektiven der neuen Generationen», rät Thomas Giedemann. Für ihn gibt es jedoch Werte, die nicht altern: «Solidarität, Respekt, Bereitschaft zum Zuhören, soziale Gerechtigkeit, Gleichstellung, Chancengleichheit, Einbezug und Internationalität sind die Fundamente der Gewerkschaft. Darauf müssen wir weiterhin bauen.»frg/Fi
Das Genfer Beispiel
Für Ricardo Carvalho, 31-jährig und seit fünf Jahren im Vorstand der Sektion TPG, ist klar: Der SEV muss an seinem Image arbeiten, damit er für Junge attraktiver wird. «Wir müssen uns auf Aktivitäten fokussieren, die der Jugend gewidmet sind». Zudem müsse die Kommunikation über soziale Netzwerke verstärkt werden. Darüber hinaus sei es unerlässlich, den Jungen im SEV Platz zu machen, sie in den Vorständen zu integrieren und ihnen Verantwortung zu übergeben – natürlich Schritt für Schritt: «Die Teilnahme an Verhandlungen oder die Begleitung eines Kollegen während eines Disziplinargesprächs bieten die notwendige Erfahrung, um die Nachfolge derjenigen anzutreten, die in Pension gehen.»
Wichtig sei es auch, die richtigen Personen für die Posten zu finden: Neben dem Vertrauen der Kolleg/innen brauche es dazu das «Gewerkschaftsgen»: «Diese Überzeugung, diese Motivation, sich für die Kolleg/innen einzusetzen, das ist die treibende Kraft!», ist Ricardo überzeugt.vbo/ela