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Auf den Spuren von...

Mimmo Ferrazzo, Kapitän

Sein Taufname ist Domenico, aber alle nennen ihn Mimmo, Kapitän auf dem Lago Maggiore. Der künftige Präsident der Personalkommission war eines der Gesichter des historischen Streiks auf dem Lago Maggiore im Sommer 2017 und Mitglied der Verhandlungsdelegation, die den neuen GAV SNL verhandelt hat, der am 1. Januar in Kraft tritt (Seite 2).

Domenico Ferrazzo, für alle Mimmo, Kapitän auf dem Lago Maggiore, und die Verkehrsministerin Ende 2017.

Grüne Augen, buschiger Bart, kräftiger Händedruck: Im Herzen hat er etwas von Corto Maltese (legendäre Romanfigur aus dem 19. Jahrhundert, geschaffen von Hugo Pratt), der seinen Hang zum Abenteuer nährt. Denn hinter dem ruhigen, gelassenen Mann versteckt sich einer, der offen ist für neue Horizonte, offen für die Welt und die Menschen. Mimmo Ferrazzo ist grosszügig und oft selbstironisch. Er lebt am Ufer des Lago Maggiore, seit er als Vierjähriger von Kalabrien hergezogen ist. Er ist mit dem See aufgewachsen, und nach einem Umweg als Plattenleger folgte er seiner Berufung. Er landete bei der NLM als Hilfsmatrose, wurde Matrose-Billetteur und schrittweise Schiffsführer. Er bestand die Prüfungen und arbeitete ab 2000 fest als Kapitän auf den Schiffen des Lago Maggiore. Mimmo war eine zentrale Figur beim Streik von 2017. Und das war wirklich ein Abenteuer, im Guten wie im Schlechten.

«Die Ankündigung der Massenentlassung der damaligen NLM kam wie eine kalte Dusche. Die Gewerkschaften haben sofort mobilisiert und das Personal vom ersten Streiktag an unterstützt.» Es waren berauschende und gleichzeitig beängstigende Momente, denn ein Streik ist nie eine einfache Erfahrung. «Es vermischen sich die unterschiedlichsten Gefühle, die in jedem von uns brodeln. Es wechselt von der Hoffnung zur Ungewissheit, von der Wut zur Komplizenschaft», gräbt Mimmo in seinen klaren, lebendigen Erinnerungen. Am Ende dieses Weges sind alle Beteiligten in gewisser Weise verändert, denn diese Erfahrung hat ihr Leben geprägt.

Mimmo hat nie nachgelassen und die ganze Geschichte miterlebt bis hin zum Epilog: dem Abschluss des neuen GAV, der nächstes Jahr in Kraft tritt. «Ich muss gestehen, es war ermüdend. Aber es war auch eine persönliche Entwicklung.» Er erläutert: «Wenn man an diesem Tisch sitzt, muss man bereit sein zu verhandeln, zuzuhören, die verschiedenen Positionen und die gewerkschaftlichen Forderungen abzuschätzen. Schritt für Schritt geht es vorwärts, im Wissen, dass Stolpern dazugehört. Was am Schluss zählt, ist das Resultat und die Zustimmung der Kolleginnen und Kollegen.»

Wenn er über seine Erfahrungen spricht, wandert der Blick von Mimmo immer wieder über den Horizont, als wollte er noch weiter blicken. Und ich erinnere mich ans Gedicht des uruguayanischen Schriftstellers Eduardo Galeano: «Die Utopie steht am Horizont. Ich mache zwei Schritte auf sie zu und sie geht zwei Schritte weg. Ich mache zehn Schritte, und der Horizont ist zehn Schritte weiter weg. So weit ich auch gehe, ich erreiche sie nie. Wozu dient die Utopie? Dazu, dass ich weitergehe.»

In der Tat ist der neue GAV keine Utopie, aber es trifft zu, dass man vorwärts gehen muss, um zu wachsen und sich zu entwickeln, auf dem Weg des Horizonts, in der Erwartung des Besseren. «Die persönlichen Wünsche sind häufig intim. Die gemeinsamen Erwartungen jedoch, die heute dringender sind denn je, erreichen wir auch dank der Unterstützung der Gewerkschaft. Das ist auch der Grund dafür, dass ich mich in der Gewerkschaft engagiert habe: Weil jedes persönliche Anliegen zur gemeinsamen Verpflichtung wird», erklärt Mimmo. «Nur in der Gemeinschaft bekommt Solidarität ihre Kraft und ist fähig, einen engen Zusammenhalt zu schaffen.» Domenico Ferrazzo ist vor 26 Jahren in den SEV eingetreten und hat sich immer stärker eingesetzt, bis er schliesslich in der vordersten Reihe stand.

Sein Herz gehört jedoch dem See: «Wenn ich am Ruder des Schiffs stehe, spüre ich einen inneren Frieden. Vor mir eine vertraute Landschaft, die täglich Überraschungen für mich bereithält: Manchmal erscheint die Szenerie, die sich mir abends präsentiert, wie ein wunderbares Aquarell.» Denn das Licht verändert die Konturen, die Reflexe zeichnen imaginäre Welten, während das Schiff sicher durchs Wasser pflügt. «Ein Schiff zu führen», betont Mimmo, «bedeutet eine grosse Verantwortung und verlangt vom Kapitän, dass er die nötigen Entscheide trifft, etwa wenn sich die Wetterlage ändert, wenn beispielsweise der Nordwind weht, Wellen auf den See treibt und das An- und Ablegen erschwert.» Ein weiterer Aspekt, den er an seinem Beruf liebt, ist der Kontakt mit den Menschen. Zudem ist die Schifffahrt ein wichtiges – und vielversprechendes – Element des Tourismus. «Die Passagiere, ob Pendler oder Touristen, kommen an Bord, jeder mit seiner eigenen Geschichte. Es ist meine Aufgabe, sie auf die beste Art und Weise von einem Ufer des Sees ans andere zu bringen.»

Françoise Gehring/pmo
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