SBB-Projekt «WEP»: Hohes Tempo schadet der Qualität
Mit der neusten Phase im Projekt «Weiterentwicklung Personenverkehr» (WEP) will die SBB diverse Geschäftsbereiche zusammenlegen oder auftrennen. Für mindestens 400 Mitarbeitende soll der Arbeitsort ändern. Obwohl manche Versetzungen aus SEV-Sicht nicht wirklich oder nicht sofort nötig sind, werden sie mit Hochdruck und etlichen Pannen vorangetrieben, was die Betroffenen verärgert und verunsichert. Einige haben schon gekündigt. Um die Abwanderung von Knowhow abzuwenden und die vielen offenen Fragen zu klären, fordert der SEV einen Marschhalt, bis die neuen Strukturen klar sind. Mehr Zeit ermöglicht bessere Lösungen für die von Arbeitsortwechseln Betroffenen.
Der SEV und seine Partner der gewerkschaftlichen Verhandlungsgemeinschaft (VG) wurden von der SBB am 9. Oktober über die Phase 2 im Projekt WEP der Aufbauorganisation P-O informiert. Diese «Riesen-Kiste» betrifft Hunderte von Mitarbeitenden in den Bereichen Geschäftsentwicklung, Rollmaterial, Lok-, Zug-, Rangier- und Reinigungspersonal inklusive Personaleinteilung und Steuerung/Lenkung sowie Ereignismanagement. Sie alle sollen im Bereich «Bahnproduktion» zusammengelegt werden, um Schnittstellen zu eliminieren und Synergien zu erreichen.
Zum Beispiel sollen die Bereiche Fahrzeugindustrie, Materiallogistik und Instandhaltung Zugbereitstellung (ZBS) im «Unterhalt Rollmaterial» zusammengeführt werden. Das erachtet die VG in ihrer Stellungnahme vom 8. November – verfasst von SEV-Gewerkschaftssekretär Jürg Hurni – als richtig, verlangt aber, dass in allen Serviceanlagen Stellen für die Administration und Einteilung bestehen bleiben. Und dass bei der Zentralisierung der Planung und Lenkung des Bereichs ZBS in Zürich und Lausanne wie auch bei der Verschiebung der Einteilung in die Regionen die dort vorhandenen Personalressourcen berücksichtigt werden, um unnötiges Hin- und Herschieben von Personal zu vermeiden.
Kritisch verfolgt die VG die erneute Reorganisation der Mitarbeitenden des Ereignismanagements und der Aufsicht P, die erst Ende Oktober (!) im Rahmen des Konzeptes «Neues Berufsbild Kundenbegleitung» neue Arbeitsverträge erhalten haben, sowie der Lokleitungen, die bisher gut funktionierten. Und statt die Bereiche Kundenbegleitung und Cleaning einerseits sowie Zugführung und Rangier andererseits zusammenzuführen, würde die VG eher die Bereiche Rangier und Cleaning zusammennehmen.
Fragezeichen zu den neuen TCC
Besonders skeptisch beurteilt die VG den geplanten Umzug des Operation Centers Personenverkehr (OCP) und des Ereignismanagements P von Bern in ein neues «Traffic Control Center» (TCC) in der Betriebszentrale (BZ) Olten. Denn es ist noch unklar, ob Mitarbeitende des SBB-Personenverkehrs im Kommandoraum der BZ wirklich direkt mit dessen Leitung und den dortigen Disponent/innen zusammenarbeiten können – was auf den ersten Blick eigentlich einleuchtet. Doch könnte dies womöglich das Bundesamt für Verkehr (BAV) als Aufsichtsbehörde verbieten, damit andere Bahnunternehmen gegenüber der SBB nicht benachteiligt werden.
Um genau diese Diskriminierungsfreiheit zu garantieren, hatte die SBB vor einigen Jahren die Mitarbeitenden des Personenverkehrs aus den Kommandoräumen der Betriebsführung herausgelöst. «Die angesprochene Trennung von Infrastruktur und Verkehr war eine Folge der Bahnreform 1, die 1999 in Kraft getreten ist», erklärte das BAV auf Anfrage der SEV-Zeitung. Das BAV habe die SBB aufgrund des Projektes WEP auf die Beachtung der Diskriminierungsfreiheit hingewiesen. «Auf Nachfrage hat die SBB versichert, dass sie diese gesetzlich verankerte Vorschrift einhalten wird.» Auf die konkrete Frage, wie das BAV zur Reintegration von Spezialist/innen des OCP in Bern und regionaler OCP (ROCP) in die Kommandoräume der BZ steht, konnte es noch keine Antwort geben, «weil die entsprechende Rückmeldung der SBB noch aussteht.»
Die Frage bleibt also offen, obwohl sie wichtig ist. Denn falls die Zusammenarbeit nicht von Mensch zu Mensch im gleichen Raum möglich ist, sondern via Telekommunikation erfolgen soll, können die OCP-Mitarbeitenden durchaus in Bern bleiben. Dies gilt analog für die Dutzenden von Mitarbeiter/innen der Lenkung des Regionalverkehrs, die von diversen Standorten in die geplanten TCC in den Betriebszentralen Lausanne, Olten und Zürich Flughafen wechseln sollen.
Überhaupt ist die Migration in die neuen TCC-Strukturen zurzeit noch unklar, was das Verständnis und die Motivation der OCP-Mitarbeitenden für den Umzug nicht eben fördert. Eine Projektgruppe arbeitet daran erst seit Dezember, wie der Antwort der SBB vom 12. November an die VG zu entnehmen ist. «Die Migration der verschiedenen Bereiche an die neuen Standorte ist sehr komplex», räumt dort die SBB selber ein. «Auf den 1. April 2019 werden noch keine Arbeitsplatzverschiebungen an die neuen TCC-Standorte vorgenommen.»
Unnötiges Tempo, Druckversuche, Pannen und Intransparenz
Trotzdem treibt die SBB die Versetzungen mit hohem Tempo voran. Nachdem bereits Führungskräfte nominiert wurden, mussten in den letzten Wochen Mitarbeitende innert weniger Tage ihnen vorgeschlagene mögliche Stellen priorisieren. Dafür waren die Terminvorgaben so knapp, dass Mitarbeitende sogar in den Ferien kontaktiert wurden, obwohl die SBB eigentlich den Grundsatz «Recht auf Nichterreichbarkeit in der Freizeit» unterstützt. Und wenn eine Antwort ausblieb, nahmen Vorgesetzte die Priorisierung vor. Zudem drohte die SBB in den – gestützt auf die Priorisierungen vorgenommenen – Vertragsangeboten mit der Kündigung, falls man nicht unterschreibt – siehe «Link zum Recht». Ferner enthielten Vertragsangebote die Klausel, dass der effektive Arbeitsvertrag letztlich einen «grundsätzlich anderen Inhalt» haben könne. Solch fragwürdige Passagen empfiehlt der SEV vor der Unterschrift eines Schreibens zu streichen. Bei Unklarheiten können sich Mitglieder an den SEV wenden.
Im OCP geschah es auch, dass Mitarbeitende von ihren künftigen Vorgesetzten telefonisch begrüsst wurden. Diese gratulierten ihnen zur neuen Stelle, die sie aber gar nicht als erste Priorität angegeben hatten – was die neuen Chefs nicht wussten. Während es bisherige Chefs nicht für nötig hielten, die Betroffenen über die Gründe für die Nichtnomination auf die gewünschte Stelle zu informieren…
Dem Knowhow-Abfluss mit attraktiven Leistungen entgegenwirken
Weil ein Umzug des OCP nach Olten für rund zwei Drittel der Mitarbeitenden einen deutlich längeren Arbeitsweg bedeutet, da viele in der Westschweiz oder südlich von Bern wohnen, dürften viele eine neue Stelle suchen. Erste Kündigungen hat es schon gegeben. Um die Mitarbeitenden zu motivieren, dem Unternehmen trotz der Versetzung treu zu bleiben, fordert die VG bei WEP zusätzlich zu den Leistungen, die der GAV-Anhang 3 bei Versetzung an einen anderen Arbeitsort vorsieht: Weiterführung der jetzigen Regionalzulage als Garantie ad personam; Gewährung der Wegzeiten im vollen Umfang inklusive Wegzeit vom Ankunftsbahnhof zum neuen Arbeitsort und Wartezeiten, hat die SBB abgelehnt. Die übrigen Begehren des Personals, wie unentgeltliche Übernachtungsmöglichkeit am neuen Arbeitsort sowie die dauerhafte Gewährleistung von «öV-Touren», damit man mit dem öV zur Arbeit bzw. nach Hause fahren kann, sollen im Projekt der Migration angeschaut werden.
Markus Fischer