Spardruck in der Verkehrssteuerung
«Die Belastung ist für viele zu gross geworden»
Nach der Zentralisierung der Verkehrssteuerung in vier Betriebszentralen (BZ)* und dauerndem weiterem Stellenabbau bei Betrieb hat die SBB mit dem Projekt «effort@betrieb» 2016 bis 2017 in den vier BZ nochmals 70 Stellen gestrichen, was die Arbeitsbelastung erhöhte. Und sie will beim Personal mit «Railfit20/30» weiter sparen. Mitarbeitende werden krank, viele sind unzufrieden und immer mehr springen ab. Trotzdem setzt die SBB ihre Sparlogik fort. Wir sprachen darüber mit Alex Bringolf, langjähriger Zugverkehrsleiter und abtretender Leiter der Branche Infrastruktur des SEV-Unterverbands AS.
kontakt.sev: Ist mit dem Stellenabbau in der Verkehrssteuerung die Arbeitsbelastung gestiegen? Und damit das Risiko, dass ein Fehler wie die irrtümliche Freigabe eines Gleises zu einem Unglück führt?
Alex Bringolf: Die verschiedenen Sparprogramme haben in der Verkehrssteuerung ihre Spuren hinterlassen. Die durchschnittliche Arbeitsbelastung wurde bewusst erhöht, um Arbeitsplätze einzusparen. Die Mitarbeitenden in den BZ und Stellwerken der Rangierbahnhöfe sind hohen Belastungen ausgesetzt. Selbstverständlich sind sie sich der hohen Risiken bewusst, mangelnde Sorgfalt und fehlendes Sicherheitsbewusstsein kommen in unserem Job gar nicht infrage. Dennoch und trotz moderner Sicherheitstechnik kann leider nicht ganz ausgeschlossen werden, dass wegen Fahrplan- und Arbeitsdruck und wegen der Komplexität der Sperrungen und Sicherungen zum Beispiel einmal ein Hinweistext oder -schild vergessen wird.
Wie hat sich der Stellenabbau von 2016/17 in den BZ ausgewirkt?
Man hat in den BZ je einen Sektor aufgelöst und diese Arbeitsplätze auf die anderen Sektoren verteilt. So konnte man verschiedene Dienste einsparen. Weil so den einzelnen Arbeitsplätzen mehr Stationen und Knoten zugeteilt wurden, ist die Belastung der Mitarbeitenden gestiegen, gemäss SBB um durchschnittlich 14,3%. Man hat uns gesagt, dass so immer noch Reserven vorhanden seien, um Störungsfälle zu managen. Doch das ist heute bei weitem nicht mehr so. Bei Störungen ist zwar eine Verstärkung durch «ZVL Flex» vorgesehen, doch bis diese eingreifen, ist man zuerst überlastet. Dadurch hat die Kundeninformation draussen auf den Stationen gelitten. Kundenreklamationen und Medienberichte kritisieren immer wieder, dass Leute orientierungslos herumgestanden seien. Problematisch ist der Druck auch am Abend zwischen 20 und 22 Uhr, wenn für zwei oder drei Baustellen gleichzeitig gesichert werden muss. Dann musst du eine Baustelle an einen Kollegen nebenan abgeben, und wenn dieser auch überlastet ist, muss eine Baustelle warten. Dass in solchen Situationen einmal ein Fehler passiert, ist leider nicht auszuschliessen. Eine zusätzliche Belastung sind neu auch Weiterbildungsmodule während der Touren.
Inwiefern?
Bisher hatten wir jeweils ganztägige Instruktionstage. Doch seit einigen Monaten werden diese acht Stunden auf zwei- bis dreistündige Module verteilt und in die Touren eingebaut, um die Instruktionstage einzusparen. Zum Beispiel am Morgen nach der Hauptverkehrszeit gibt es von 8 bis 11 Uhr ein solches Modul. Oder am Nachmittag vor 16 Uhr, bevor der Pendelverkehr wieder anzieht und man am Arbeitsplatz wieder dringend gebraucht wird. Und falls es während der Instruktion eine Störung gibt, nehmen sie dich an deinen Arbeitsplatz zurück zum Aushelfen. Das hat den Vorteil, dass im Notfall eine Reserve von Leuten zur Verfügung steht. Aber für die Mitarbeitenden ist es eine grosse Belastung. Bisher hatten wir am Morgen nach der Hauptverkehrszeit eine etwas ruhigere Zeit, wenn es normal lief. Oder am Nachmittag konnten wir den Dienst vor der Rushhour etwas ruhiger anfangen. Jetzt mit diesen Lernmodulen haben wir immer seltener ruhige Phasen.
Was ist der Inhalt dieser Weiterbildungen, und wie sollte man sie besser organisieren?
Ausbildungsinhalt sind zum Beispiel Neuerungen bei den Fahrdienstvorschriften oder bei den lokalen Betriebsvorschriften. Diese ändern jährlich, kaum ausgegeben folgen schon die ersten Ausnahmen und Anpassungen. Auch nehmen die aussergewöhnlichen Sendungen zu, im Rangierbahnhof Basel haben wir in jeder Schicht zwei und mehr solcher Züge. Der SEV-AS würde wieder ganztägige Instruktionstage begrüssen. Das würde unsere Touren etwas entlasten, und wir könnten uns so auch besser auf die Schulung konzentrieren. Denn wenn du vor der Instruktion vier Stunden voll am Anschlag gearbeitet hast, bist du nicht mehr frisch und lernfähig. Dazu kommt das Wissen, dass man im Fall einer Störung zu 100 Prozent da sein muss.
Nicht neu, aber deshalb nicht weniger belastend ist für die Mitarbeitenden der BZ die periodische Prüfung, die sie alle fünf Jahre absolvieren müssen …
Ja. Nicht wenige Mitarbeitende opfern freie Tage und/oder ihre Ferien, um zu lernen. Der SEV-AS und die Personalkommission setzen sich für die Mitarbeitenden ein, und die SBB hat denn auch für eine bessere Vorbereitung schon einiges getan. Doch wer die Erstprüfung nicht besteht, erhält sofort eine Kündigungsandrohung. Dies ist für die Nachprüfung sehr belastend und löst noch mehr Prüfungsstress aus. Neu kommen in den nächsten Monaten in einigen Sektoren noch Sprachkompetenzprüfungen dazu. Der SEV-AS hat die Art der Durchführung schon früh bemängelt, aber ohne grosses Gehör seitens SBB. Betroffene Mitarbeitende müssen nun einen Sprachkurs absolvieren, um den Sprachtest bestehen zu können. Sogar zweisprachig Aufgewachsene fallen noch immer durch.
Wie wirkt sich die gestiegene Belastung auf die Mitarbeitenden aus?
Die Belastung ist für viele Mitarbeitende sicher zu gross geworden. Wenn man schon beim normalen Verkehr dauernd fast am Anschlag läuft, kann man eine Störung fast nicht mehr «handeln». Dann bist du über dem Anschlag. Das ist nicht mehr gesund.
Führt die höhere Belastung zu mehr Krankheitsfällen?
Das kann ich nicht mit Zahlen belegen, da solche nur zurückhaltend herausgegeben werden, doch wir haben immer wieder Krankheitsfälle. Natürlich gibt es neben der gestiegenen Arbeitsbelastung noch andere Gründe dafür, zum Beispiel die allgemeine Belastung des Schichtbetriebs. Auf jeden Fall hat die Unzufriedenheit beim Personal stark zugenommen. Ein Grund dafür ist auch die Tendenz, dem Personal immer kurzfristigere Änderungen bei der Tourenplanung zuzumuten. Die Mitarbeitenden sollen immer flexibler werden, während ihre Wünsche und die Einwände der Personalkommission in den Wind geschlagen werden. Da muss man sich dann nicht wundern, wenn viele unzufrieden sind, resignieren und davonlaufen. Letztes und vorletztes Jahr sind mehrere junge Kollegen nach der Ausbildung bald wieder gegangen. Wer eine Alternative hat, nutzt diese zunehmend. Ältere wie ich zum Beispiel gehen vorzeitig in die Pension. So muss man auch keine periodische Prüfung mehr machen…
* Durch die Zentralisierung in den vier BZ wurden viele Stellen eingespart. Zum Beispiel im Gebiet der BZ Mitte (zwischen Basel, Bern, Brugg und Luzern) waren 2007 für die Betriebssteuerung an rund 30 Standorten (Fernsteuerzentren und Stellwerke) rund 630 Vollzeitstellen nötig, Ende 2017 waren es noch 469.
Markus Fischer
BIO
Alex Bringolf kam nach der Verkehrsschule 1977 zur SBB, lernte Betriebsdisponent und arbeitete fünf Jahre als Ablöser auf über 100 Stationen («die damals noch besetzt waren»). Danach war er ein Jahr bei der Zugüberwachung in Zürich, ab 1986 Sous-Chef in Rheinfelden und ab 1990 Fahrdienstleiter und Schichtleiter auf dem Rangierbahnhof Basel. Daneben war/ist er auch Ausbildner und in der Peko. Er geht Ende Juni in Pension. Im SEV engagierte er sich ab 1988 im Vorstand der SBV-Sektion Basel, die später SBV Nordwestschweiz hiess und von ihm bis 2010 präsidiert wurde. Er gehörte dem Zentralvorstand SBV und der SEV-GAV-Konferenz an. 2014–17 leitete er die AS-Branche Infrastruktur und führt zurzeit seinen Nachfolger Michele Corleto in diese Funktion ein.
GAV 2019: Noch mehr Flexibilisierung bei der Einteilung?
kontakt.sev: Die SBB will mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit. Sind die Mitarbeitenden der Verkehrssteuerung in den BZ und RB denn unflexibel?
Alex Bringolf: Nein, sie sind schon sehr flexibel. Schliesslich leisten sie Schichtdienste rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche. Und wenn der Einteiler fragt, ob sie an einem freien Tag für einen kranken Kollegen einspringen können, sagen sie zu, wenn Not am Mann ist. Doch wenn sie dann nicht sofort sagen, wann sie diese Tage beziehen, werden ihnen diese eingeteilt, ohne dass sie es wünschen. Man hat auch angefangen, in den Jahreseinteilungen lediglich «Reservetage» festzulegen und erst zwei bis drei Monate vorher mitzuteilen, ob es ein Früh-, Mittel- oder Spätdienst ist. Auch verschiebt man Touren z.B. vom Mittel- auf den Frühdienst, teilweise ohne zu fragen, man teilt das einfach ein. All das schränkt die Mitarbeitenden in der Freizeitplanung ein und macht es für sie schwierig, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Deshalb müssen wir uns wehren, falls die SBB-Führung Ausnahmebestimmungen in den GAV aufnehmen will, die noch kurzfristigere Einteilungen und Änderungen von Touren ermöglichen.
Infrastruktur Betrieb: dreimal Minus
- Die Sparerei beim Personal hat Folgen. Wenn zum Beispiel Zugverkehrsleitende wegen einer Überlast einer Baustelle eine Freigabe erst 15 Minuten später geben können, stehen 15 Minuten lang unzählige Leute und teure Maschinen still. Der Betrieb hat gespart, und die Anderen zahlen die Zeche. Bei der Sicherheit gibt es zwar (hoffentlich) keine Kompromisse, aber bei der Qualität schon. Ganz zu schweigen von der Gesundheit und Zufriedenheit des Personals.
- Dazu kommt, dass die Führung die Einreihungen innert kurzer Zeit – 2011 mit Toco und 2016/17 mit effort@betrieb – zweimal völlig durcheinandergewurstelt hat. Resultat: viel Unfrieden und gebrochene Versprechen.
- SBB Betrieb hatte mal eine gute Betriebskultur. Das ist vorbei: Zu oft hört oder denkt man die Sätze: Wenn es dir nicht passt, kannst du ja gehen. Entsprechend steigt die Fluktuation.
Urs Huber, Gewerkschaftssekretär SEV und Leiter Team Infra SEV
Kommentare
Paul Hirt, Oberhasli ZH 15/03/2018 08:34:43
Wehrt euch - die Zeit scheint gekommen zu sein...!
Ich bin als Zugverkehrsleiter SBB/Ausbildner am 30.06.2010 mit 61 Jahren auch frühzeitig ausgestiegen, weil der Druck zu gross geworden ist und ich meine Gesundheit priorisiert habe.
Die "Lohnschere" zwischen Oben und Unten geht derweilen munter weiter auf.
Deswegen bin ich ein überzeugter Gewerkschafter (SEV) geblieben - obwohl ich, wegen dem Sonderfall SCHWEIZ, ein langjähriger SVP-Wähler bin.
Die "Studierten" haben nichts anderes zu tun, als die "Zitrone auszupressen" - den
Rest (eben die Arbeit) erledigt ja die verbleibende Belegschaft.
Der Gehalt (Bonus?) dieser "Studierten", welche heute bekanntlich bis zu 10x mehr Geld einstreichen als noch vor 30 Jahren, hängt bekanntlich vom Jahres-Finanzabschluss ab.
Das endet dann wie gesehen in Skandalen (Postauto, Raiffeisen-Bank etc.).
Die verantwortliche müssen das mit Hilfe der Gewerkschaften wieder korrigieren.
Gehen wir in Massen "auf die Strasse / vor das Büro der SBB-Geschäftsleitung / vor das Bundeshaus".
Machen wir diesen "Studierten" klar, dass auch eine allfällige Arbeitsniederlegung (ein Streik wie zu Grossvaters Zeiten) nicht mehr ausgeschlossen werden könne.
Wir Pensionierten sind selbstverständlich mit dabei - mit Kind und Grosskegel - hoffentlich.
Es ist tatsächlich langsam Zeit - ich bin stinkesauer...!
A Reymond 16/03/2018 20:25:34
Euh ! la grève, c'est pas permis, mais il y a d'autres moyens de renvoyer la pression. Reste le courage et la cohésion.
Pour ceux qui n'ont pas encore compris, c'est la guerre totale et le démantèlement actuel en est une cause, réveillez vous cheminots et sortez vos meilleures idées pour faire ABANDONNER RAILFIT 20/30 tel que prévu! DIRE NON à la déshumanisation d'un métier, par des technocrates qui ont oublié de prendre en compte la facteur H dans leur calculs et un combat que vous devez mener maintenant dans 2 ans ce sera trop tard !
AGISSEZ AIGUISEZ vos cerveaux et fourbissez vos armes c'est la GUERRE ! c'est aussi votre vie et vos métiers !
flückiger walter 18/03/2018 16:40:20
es ist ein skandal.können diese studierten noch in den spiegel schauen oder ruhig schlafen?
ich bin froh ,dass ich dehm was gerade passiert entfliehen konnte.vorruhestand 31.05.17.
mein herzliches beileid für die,die noch müssen.
Marcus Mattick 20/12/2018 21:48:11
Hallo, ich bin Fahrdienstleiter (Zugverkehrsleiter) in Deutschland (aus Konstanz).
Derzeit sucht die SBB wieder vermehrt Zugverkehrsleitet in Zürich Flughafen. Nun bin ich am überlegen ob ich nicht den Schritt wage mich zu bewerben. Wenn ich diesen Artikel lese, entsetzt mich das doch schon ein Stück. Allein die Aussage das viele nach der Ausbildung direkt wieder gehen, ist schon wenig ermutigend. Was würdet Ihr mir den Empfehlen? Der Grund meines Wechsels von der DB AG zur SBB ist natürlich ein besserer Lohn, allein die Tatsache das ich wenn ich im Thurgau wohne gleich viel Miete bezahle wie in Konstanz erschreckt mich bei der derzeitigen Entwicklung in Deutschland. Natürlich überlegt man dann ob man sich beruflich nicht irgendwie weiterentwickeln kann oder gar seine bisherigen Beruf dort weiter ausüben wo es bessere Lohnverhältnisse gibt.
Ist es denn so hart geworden bei der SBB das viele durch den Stellenabbau stark leiden oder sucht die SBB im Moment gerade genau deswegen verstärkt nach Personal vor allem auch in Deutschland?
Würde mich über konstruktive Antworten freuen.