Schifffahrt auf dem Lago Maggiore

Erfolgreicher Streik – doch der Kampf geht weiter

Toller gewerkschaftlicher Erfolg: Nach 20 Tagen Streik erhielten die 34 Schiffsleute, die die italienische Schifffahrtsgesellschaft NLM (Navigazione Lago Maggiore) Mitte Juni entliess, Garantien zur Übernahme durch das neue Konsortium und zu den Löhnen. Am 15. Juli rollten sie ihre Piratenfahnen ein und kehrten zur Arbeit zurück. Noch muss aber ein GAV ausgehandelt werden, und die Lohngarantie gilt nur für 2018. Nach dem exemplarischen Arbeitskampf zieht SEV-Vizepräsidentin Barbara Spalinger Bilanz.

Barbara Spalinger: «Zu unserem Gewerkschaftssekretär Angelo Stroppini hat das NLM-Personal schon lange ein Vertrauensverhältnis. Alle unsere Tessiner Sekretäre waren vor Ort sehr präsent.»

kontakt.sev: Haben die Streikenden nach 20 Tagen Arbeitskampf ihre Forderungen durchgebracht?

Barbara Spalinger: Ja, dieser Streik hat sich wirklich gelohnt (siehe Box). Die Tessiner Regierung zeigte sich bei unserem ersten Treffen noch sehr zurückhaltend, leistete aber später sehr gute Arbeit: Zusammen mit der Stadt Locarno brachte sie das fehlende Geld für die Beibehaltung der Löhne auf. Der Streik sorgte für einen gewissen Druck. Für den Tourismus stand wenige Tage vor dem Filmfestival in Locarno einiges auf dem Spiel. So konnten wir die Schifffahrtsgesellschaft des Luganersees (SNL) dazu bringen, dass ihr künftiges Konsortium mit der NLM deren Angestellte kollektiv übernimmt. Und die aktuellen Löhne sind ein Jahr lang garantiert. Dies ist wichtig angesichts der Tatsache, dass die Löhne bei der SNL tiefer sind. Der Kanton Tessin hat zudem schriftlich festgehalten, dass ein GAV ausgehandelt werden muss, nachdem die SNL ihren GAV Mitte März gekündigt hat. Was die Pensionskasse des NLM-Personals betrifft, wurde rasch eine Lösung gefunden.

Das heutige Lohnniveau ist nur für ein Jahr garantiert …

Wir verwiesen auf die gesetzliche Vorgabe, dass bei einer Unternehmensübernahme der neue Arbeitgeber die bisherigen Arbeitsverhältnisse ein Jahr lang beibehalten muss, wenn diese durch einen GAV geregelt sind. Dies schreibt das Obligationenrecht vor. Der SEV drohte, die GAV-Kündigung seitens NLM vor Gericht als missbräuchlich einzuklagen. Die Kündigungen sahen wir in diesem Kontext ebenfalls als missbräuchlich, weil sie kurz vor der GAV-Kündigung und mit sechsmonatiger Kündigungsfrist erfolgten. Wir hatten den starken Verdacht, dass beides nur darauf abzielte, dass der neue Arbeitgeber das Personal nicht zu den bisherigen Bedingungen übernehmen muss. Die Arbeitgeberseite hat gesehen, dass sie vor Gericht wahrscheinlich verlieren würde. Die erzielte Vereinbarung schliesst jedes juristische Verfahren aus. Was das Lohnniveau betrifft, ist es nun an uns, dafür zu kämpfen, dass es nach einem Jahr nicht sinkt.

Barbara Spalinger: «Subventionen gibt es vom Kanton Tessin nur, wenn ein GAV vorliegt.»

Gab es bei diesem Streik auch Fehler oder negative Punkte?

In 20 Tagen Streik gibt es natürlich immer kleine Krisen und Konflikte. Wenn drei Gewerkschaften gemeinsam kämpfen, ist es nicht immer einfach, sich zu einigen. Doch wir haben wirklich alle am gleichen Strick gezogen, ohne die eigenen Fahnen zuvorderst schwenken zu wollen. Und es ist uns gelungen, bis zum Schluss mit einer Stimme zu sprechen. Innerhalb der Streikenden hat es auch Spannungen gegeben, was normal ist, schliesslich ging es um die Zukunft von 34 Personen und ihren Familien. Doch die Meinungsverschiedenheiten konnten an den Versammlungen ausdiskutiert werden. Während 20 Tagen in Uniform öffentlich aufzutreten, ohne zu arbeiten, war hart. Die solidarische Unterstützung der Tourist/innen und der Bevölkerung war natürlich ermutigend. Und hilfreich war die logistische Schlagkraft der Unia, die ständig vor Ort war. Die Familien der Streikenden waren auch sehr aktiv.

Welchen Beitrag hat der SEV zum glücklichen Ausgang geleistet?

Unsere Drohung mit rechtlichen Schritten hat – neben den Auswirkungen des Streiks an sich – erheblich dazu beigetragen, die Behörden und die Unternehmungen zu überzeugen, dass rasch eine Lösung gefunden werden musste. Als Verkehrsgewerkschaft brachte der SEV seine Kenntnisse und seine Verhandlungserfahrung ein. Und als Basisgewerkschaft haben wir zu den gut organisierten Angestellten einen einmalig guten Draht. Zu unserem Gewerkschaftssekretär Angelo Stroppini hat das NLM-Personal schon lange ein Vertrauensverhältnis. Alle unsere Tessiner Sekretäre – neben Angelo vor allem auch Françoise Gehring und Pascal Fiscalini – waren vor Ort sehr präsent und haben während diesen 20 Tagen rund um die Uhr ihre Zeit und Energie für den Streik zur Verfügung gestellt. Am Schluss waren sie ziemlich erschöpft.

Wie geht es weiter?

Mit diesem Streik haben wir gute Arbeit geleistet und einen grossen Sieg errungen. Nun gilt es das Erreichte zu konsolidieren. Vor allem gilt es einen neuen GAV auszuhandeln und die Lohngarantie über das Jahr 2018 hinaus zu verlängern. Das wird ganz und gar nicht einfach werden. Doch wir können auf eine motivierte, hartnäckige und solidarische Basis zählen, die weiss, dass sie kämpfen kann.

Was kann man im Hinblick auf die GAV-Verhandlungen von einer Unternehmung wie der SNL erwarten?

Die Verhandlungen dürften extrem schwierig werden. Am 2.August gab es ein Treffen zwischen Vertreter/innen von Gewerkschaften und Personal, Tessiner Regierung, Bundesamt für Verkehr (BAV), Tessiner Tourismusbüro, NLM und SNL. Man zeigte uns eine Präsentation über die Zukunft des Konsortiums mit Themenfahrten und vielen weiteren Details. Doch zum Personal gab es nur zwei dürftige Hinweise: auf eine künftige «Neudefinition der Arbeitsverträge» und dass alle zwei Monate mit dem Personal «diskutiert» werden solle. Der GAV und die Gewerkschaften wurden mit keinem Wort erwähnt… Wir wollen von der SNL wissen, zu welchen Bedingungen das Personal übernommen wird und welches Verhältnis sie mit den Gewerkschaften pflegen will. Falls die SNL keinen GAV aushandeln will, riskiert das Konsortium die Million Franken zu verlieren, die der Kanton für die Schifffahrt auf dem Schweizer Teil des Lago Maggiore zur Verfügung stellen wird. Subventionen gibt es vom Kanton Tessin nur, wenn ein GAV vorliegt. Das sollte die Arbeitgeberseite motivieren.

Allerdings zahlt die SNL auf dem Luganersee erheblich tiefere Löhne …

Der SEV hofft, die Löhne auf dem Luganersee anheben zu können.

Müsste das BAV bei der Vergabe von Konzessionen strenger sein, was die Arbeitsbedingungen betrifft?

Für das BAV müssen die Löhne branchenüblich sein. Für die Busbranche hat es einen Mindestlohn festgelegt. Doch für die Schifffahrt behauptet es einfach, die Löhne der SNL seien branchenüblich. Ohne Lohnerhebung. Dagegen haben wir uns stets gewehrt. Dies ist die Frage, die uns zurzeit beschäftigt. Das BAV hat sich in dieser Angelegenheit nicht besonders vorbildlich verhalten und hätte mehr zu einer Lösung beitragen können, beispielsweise mit einer Erhebung über die Löhne in der Schifffahrtsbranche. Es hat uns Gewerkschaften auch nicht in die Diskussion einbezogen, sei es durch Einladung in die Arbeitsgruppe oder auf informellere Art.

Was hat der Streik in der Schweiz bewirkt?

Die Tessiner Situation mit einer Schifffahrtsgesellschaft in italienischer Hand ist zwar ziemlich speziell, doch die wirtschaftliche Situation der Schifffahrt ist allgemein schwierig. Der Streik hat andere Schiffsleute dazu angeregt, über ihre gewerkschaftliche Organisation nachzudenken und uns zu kontaktieren. Die SEV-Mitglieder bei den anderen Seen haben sich sehr solidarisch gezeigt. Sie sind in Uniform nach Locarno gekommen und haben sich für ihre streikenden Kollegen eingesetzt, was diese zu schätzen wussten. Der Streik hat ganz allgemein gezeigt, dass es wichtig ist, gewerkschaftlich organisiert zu sein. Und dass der Kampf mit dem SEV zu einem Sieg führen kann, mit einem garantierten Arbeitsplatz nach einer Entlassung.

Yves Sancey / Fi

Sieg auf der ganzen Linie

Nach drei Wochen Streik haben die entlassenen Mitarbeitenden der italienischen Schifffahrtsgesellschaft Navigazione Lago Maggiore (NLM) mit Unterstützung ihrer Gewerkschaften SEV, Unia und OCST folgendes erreicht:

  • 32 Stellen sind im künftigen Konsortium von NLM und Luganersee-Schifffahrtsgesellschaft SNL garantiert (2 Personen gehen in Pension);
  • Die heutigen Lohnbedingungen bleiben ein Jahr lang garantiert. Dafür sorgen vor allem Finanzhilfen des Kantons Tessin und der Stadt Locarno von 150 000 und 50 000 Franken.
  • Der neue Arbeitgeber ist verpflichtet, für 2019 einen neuen Gesamtarbeitsvertrag auszuhandeln.
  • Das Personal bleibt bei der Pensionskasse des Locarneser Verkehrsunternehmens Ferrovie autolinee regionali ticinesi (FART) versichert.

SNL, Familienkapitalismus alla ticinese

Nächstes Jahr kann die Luganersee-Schifffahrtsgesellschaft SNL auf 170 Jahre seit ihrer bewegten Gründung zurückblicken. Die Geschichte des Unternehmens mit heute 13 Schiffen sowie 40 Fest- und 10 Saisonangestellten ist eng mit einer Familie verknüpft. Von 1922 bis 1965 wurde die SNL von Ingenieur Giuseppe Ferrazzini geleitet. Er setzte ab 1949 seinen Sohn Giampiero, damals noch ein 23-jähriger Wirtschaftsstudent, im Betrieb ein. Stufe um Stufe stieg Giampiero bis in den Verwaltungsrat auf und präsidierte diesen viele Jahre lang. Im September 2015 übergab er das Präsidium an Agostino Ferrazzini, blieb aber Ehrenpräsident. Agostino, der vor allem in der familieneigenen Vermögensverwaltungsgesellschaft Copernicus tätig ist, wurde auch SNL-Direktor ad interim.

Im SNL-Verwaltungsrat sitzen heute zwei Vertreter der Rechtspartei Lega dei Ticinesi, darunter als Vizepräsident Rechtsanwalt Enea Petrini, wie die Gewerkschaftszeit «Area» am 7. Juli schrieb. Auch Lega-Gründer Giuliano Bignasca war SNL-Verwaltungsrat, bis er 2013 verstarb.

Sergio Martinetti, aktueller Vizedirektor der SNL, ist kein Ferrazzini. Doch er versteht die SNL «als grosse Familie, wo der Elan für neue Projekte nicht fehlt», wie er in der Migros-Zeitung «Azione» vom 17. Juli erklärt. Damit meint er das Relaunch-Programm «Elvezia». Dazu gehören die Verbesserung des Caterings und die Sanierung der «Vedetta», des ältesten Schweizer Schiffs mit luftschonendem Elektroantrieb. Generell solle «Corporate social responsibility» das SNL-Image verbessern. Seit Dezember 2016 würden auch GA und weitere Abos akzeptiert. Der Personalbestand sei um zehn An- gestellte unter 30 erhöht worden, darunter Lehrlinge in der eigenen Werft. «Bei uns ist das Klima gut», so Martinetti. Mit dem NLM-Streik habe die SNL nichts zu tun.

Doch auch die SNL hat ihren GAV gekündigt und den Kontakt zu den Gewerkschaften abgebrochen. Die GAV-Verhandlungen werden zeigen, ob die proklamierte «soziale Verantwortung» auch im Umgang mit Personal und Gewerkschaften wirklich gilt …

ysa/Fi

Kommentare

  • Michele Kessler

    Michele Kessler 02/09/2017 12:20:05

    Congratulazioni a tutti per essere riusciti a far valere i diritti dei lavoratori, ora spero si riesca ad ottenere un CCL degno di questo nome sia per i colleghi della SNL come pure della NLM, e che la nuova direzione riesca a sviluppare nuove attività e proposte a favore del turismo e se possibile anche ai pendolari nelle regioni dei laghi, con indubbi benefici per tutti, lavoratori, dirigenti, operatori turistici e non dimentichiamo chi utilizza i battelli per i più svariati scopi, ovvero i clienti.