Lohnungleichheit bei der SBB
Gericht stellt Lohndiskriminierung fest
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Klage einer SBB-Zugbegleiterin wegen Lohndiskriminierung abgewiesen, obwohl es die Ungleichbehandlung als gegeben ansah. Diese stuften drei von zwei Richtern aber als objektiv begründet ein. Der SEV wird den Fall höchstwahrscheinlich ans Bundesgericht weiterziehen.
Die SBB ist der Meinung, dass Mitarbeitende, die der Arbeit mehr als sechs Monate fernbleiben – aus welchen Gründen auch immer –, kein Anrecht auf eine lohnwirksame Personalbeurteilung und eine allfällige Lohnerhöhung im Folgejahr haben. Das solle auch für die Zugbegleiterin gelten, die wegen dem Mutterschaftsurlaub und Arbeitsunfähigkeit während der Schwangerschaft sechs Monate und eine Woche fehlte. kontakt.sev analysiert das Urteil mit Vincent Brodard vom Rechtsschutzteam SEV, der die Betroffene begleitet hat.
Das Bundesverwaltungsgericht sah eine indirekte Lohndiskriminierung zwar als erwiesen an, sprach die SBB aber von jeder Schuld frei. Was sagst du dazu?
Vincent Brodard: Ich bin sehr enttäuscht, weil ich weiterhin überzeugt bin, dass es höchst ungerecht ist, den Mutterschaftsurlaub als Absenz zuzählen. Maude (Name geändert) brauchte Mut, um sich zu wehren, und viel Geduld: Das Rechtsschutzdossier wurde im Januar 2014 eröffnet, die Beschwerde im Oktober 2014 eingereicht und das Urteil am 19. Mai 2016 gesprochen. Das ist eine extrem lange Zeit.
Das Urteil fiel mit drei zu zwei Stimmen: Darf man also hoffen, dass das Bundesgericht anders urteilt?
Die knappe Abstimmung zeigt, dass die gesetzlichen Grundlagen schwierig zu interpretieren sind. Der Fall ist sehr komplex. Wir müssen nun die schriftliche Urteilsbegründung, die in einigen Wochen vorliegen wird, abwarten und analysieren, um das weiteres Vorgehen festzulegen. Es ist aber mehr als wahrscheinlich, dass wir ans Bundesgericht und wenn nötig an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gelangen werden. Denn wegen der Mutterschaft dürfen Frauen sicher nicht diskriminiert werden.
Für das Gericht ist die Diskriminierung knapp zulässig, aber doch gegeben: ein weiterer Grund zur Hoffnung?
Einer der Richter gab zu bedenken, dass der Mutterschaftsurlaub vier Monate dauert und dass somit noch acht Monate für eine lohnwirksame Personalbeurteilung zur Verfügung stehen. Für den SEV ist klar, dass der Mutterschaftsurlaub in den sechs Monaten, die man maximal abwesend sein darf, um Anrecht auf eine Personalbeurteilung zu haben, nicht mitgezählt werden darf. Dieses Urteil stellt den Mutterschaftsurlaub einer Krankheit gleich. So hat eine schwangere Frau ein höheres Risiko als ein Mann, auf eine Lohnerhöhung verzichten zu müssen.
Der Fall von Maude ist umso zynischer, als die Verantwortung dafür, dass sie 144 Tage lang nicht arbeiten konnte, bei der SBB liegt ...
In der Tat schreibt der GAV vor, dass Zugbegleiterinnen während der Zeit, in der sie schwangerschaftsbedingt nicht auf dem Zug arbeiten dürfen, anderweitig zu beschäftigen sind. Weil die SBB aber keine Beschäftigung fand, stellte sie Maude frei. Ihren Lohn erhielt sie zwar weiter ausbezahlt, doch verlor sie das Anrecht auf eine Personalbeurteilung und damit auf eine mögliche Lohnerhöhung. Somit musste sie den Schaden eines Entscheids tragen, den die Unternehmung getroffen hatte.
Gesetzliche Grundlagen und deren Interpretation sind das Eine, die effektive Lohndiskriminierung seitens der SBB das Andere …
Die fragliche Weisung der SBB verletzt den GAV-Artikel zum Schutz bei Mutterschaft. Es ist inakzeptabel, dass ein Unternehmen gegen die Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen verstösst. Für ein öffentliches Unternehmen ist eine solche Haltung besonders unverantwortlich, 25 Jahre nach dem nationalen Frauenstreik und 35 bzw. 20 Jahre nach der Verankerung der Lohngleichheit in Verfassung und Gesetz.
Vivian Bologna/Fi
Kommentare
Peter Meiringer 08/06/2016 13:57:59
"....Weil die SBB aber keine Beschäftigung fand, stellte sie Maude frei. Ihren Lohn erhielt sie zwar weiter ausbezahlt. ..." Da kann jemand daheimbleiben und kriegt den Lohn trotzdem. Dann aber noch reklamieren, dass man keine Lohnerhöhung bekommt.