Fragwürdiger Expertenbericht zur Branchenüblichkeit von Löhnen im Schienengüterverkehr
Nein zu einer Billiglohnbranche
Der SEV wird alles daran setzen, dass die heute real existierenden, politisch gewollten Arbeitsbedingungen nicht durch theoretische Expertisen unterlaufen werden, und wird jede Entwicklung in diese Richtung mit allen verfügbaren Mitteln bekämpfen.
Der am 20. Januar vom Bundesamt für Verkehr (BAV) auf Internet publizierte Expertenbericht zum Schienengüterverkehr definiert unterschiedliche Branchen je nachdem, ob es sich um Binnenverkehr oder internationalen Verkehr handelt. Eine Sicht, die sowohl für Schweizer Unternehmungen als auch für Arbeitnehmende brandgefährliche Auswirkungen haben könnte.
Der SEV ist erstaunt über den prominenten Stellenwert, den das BAV dem «Grundlagenbericht» zu den branchenüblichen Arbeitsbedingungen im Schienenverkehr beimisst, den in seinem Auftrag ein Rechtsanwalt und ein Ökonom verfasst haben. Für den SEV wäre es inakzeptabel, wenn ein Bundesamt nur auf der Basis steriler juristischer und ökonomischer Sichtweisen quasi im Alleingang eine neue, separate Branche für den internationalen Bahngüterverkehr definieren könnte, in der europäische Dumpinglöhne möglich würden. Diese Trennung in zwei Branchen würde die schweizerischen Unternehmungen, deren Personal nicht nach dieser Logik eingesetzt wird, unter massivsten Druck setzen, und die politisch gewollten, gesamtarbeitsvertraglichen Regelungen desgleichen. Und es würden bestehende gesetzliche Grundlagen zum Schutz der Arbeitsbedingungen in der Schweiz ad absurdum geführt (siehe Info).
In der Schweiz müssen Schweizer Löhne gelten
Für den SEV ist klar, dass für in der Schweiz verrichtete Arbeit landesübliche Löhne gelten und durchgesetzt werden müssen, wie dies im übrigen auch in anderen Branchen der Fall ist. Unterschiedliche Regelungen für den internationalen und nationalen Verkehr sind im betrieblichen Alltag kaum kontrollierbar und öffnen dem Missbrauch Tür und Tor. Daher hält der SEV auch an seiner Lohndumpinganzeige gegen Crossrail fest.
Der Expertenbericht folgt nicht nur einer strammen Logik der Nichtdiskriminierung, die im Landverkehrsabkommen vorgezeichnet ist, sondern setzt diese Logik darüber hinaus ohne Rücksicht auf Verluste um. Dabei geht er so weit, dass er die schweizerische Gesetzgebung und den politischen Willen dazu ignoriert.
In diesem Zusammenhang gestattet sich der SEV den Hinweis darauf, dass das Vorzeige-EU-Land Deutschland die Einhaltung seiner Mindestlöhne auch bei vorübergehend im Lande tätigen Personen, wie beispielsweise Chauffeuren im Transitverkehr, durchsetzen will. Dafür sollen Hunderte zusätzliche Kontrolleure eingestellt werden. Was ein Vollmitglied der EU kann, wird in der Schweiz wohl kaum unmöglich sein.
Aus dieser Sicht sagt der SEV klar nein zu den Bestrebungen eines Bundesamtes, durch eigenständige Branchendefinitionen Lohndumping zu ermöglichen.
SEV
Eisenbahngesetz absurd interpretiert
Im Eisenbahngesetz (EBG) steht in Artikel 8d «Erteilung und Erneuerung der Netzzugangsbewilligung», Absatz 1:
«Das BAV erteilt die Netzzu- gangsbewilligung, wenn das Unternehmen: (...)
d. die arbeitsrechtlichen Vor schriften und die Arbeitsbedingungen der Branche ein- hält; (...)»
Die Berichtautoren behaupten, das Parlament habe 1997 mit der Formulierung «Arbeits- bedingungen der Branche» statt «landesübliche Bedingungen» – wie vom Bundesrat vorgeschlagen – die Kon- kurrenzfähigkeit der Bahnunternehmen (EVU) über den Schutz der landesüblichen Anstellungsbedingungen gestellt. Dies, weil solcher Schutz für die Konkurrenzfähigkeit der Schweizer EVU schädlich sei. Als Beleg für diese falsche Interpretation reissen die Autoren ein Zitat des Kommissionssprechers aus dem Zusammenhang. So verkehren sie den Sinn des EBG-Passus, der das Personal sehr wohl vor Sozialdumping schützen will, ins Gegenteil.
Und sie wollen Sozialdumping zulassen, indem sie alle EVU zwischen Nordsee und Mit- telmeer, die im grenzüberschreitenden Güterverkehr durch die Schweiz tätig sind, als massgebend erklären für die Branchenüblichkeit.
Fi
Nachdem das Bundesamt für Verkehr (BAV) per 1. April 2014 die «Richtlinie Arbeitsbedingungen der Branche Bus des subventionierten Binnenpersonenverkehrs» mit Mindestlöhnen für Chauffeure in Kraft gesetzt hatte, kündigte es auch für den Schienengüterverkehr eine solche Richtlinie an.
SEV-Anzeige gegen Crossrail
Der «Fall Crossrail» zeigt, wie nötig es ist, endlich zu klären, was unter den im Eisenbahngesetz genannten «Arbeitsbedingungen der Branche» zu verstehen ist, die ein Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) einhalten muss, um vom BAV die Netzzugangsbewilligung zu erhalten: Im März 2014 kündigte die Schweizer Tochter von Crossrail mit Sitz in Muttenz an, in Brig ein Depot zu eröffnen mit Lokführern, die zuvor bei Crossrail Italy in Domodossola gearbeitet hatten. Sie sollten nach der Ausbildung 13 × 3350 Franken erhalten – ca. 20 Prozent mehr als zuvor, aber wesentlich weniger als die Einstiegslöhne von 5358 Franken bei der SBB und 5780 Franken bei der BLS. Der SEV forderte die Crossrail auf, branchenübliche Löhne zu zahlen und schrieb dem BAV, dass es Crossrail andernfalls die Netzzugangsbewilligung entziehen müsse. Auch die aktuell von ihr bezahlten rund 4000 Franken sind nicht branchenüblich.
Das BAV beauftragte das Beratungsbüro Ecoplan und einen Juristen, die Grundlagen für eine Richtlinie zu erarbeiten. Diese lieferten ihren Grundlagenbericht am 14. Januar ab, und das BAV stellte ihn am 20. Januar ins Internet. Darin halten die Autoren vor allem fest, dass wegen des Landverkehrsabkommens der Schweiz mit der EU die EVU mit Sitz in der EU für den grenzüberschreitenden, kombinierten Güterverkehr in und durch die Schweiz (Transit, Import und Export – aber ohne Kabotage, die ihnen verboten ist) keine Netzzugangsbewilligung des BAV benötigen. Somit seien sie nicht an die Schweizer Bestimmungen zur Branchenüblichkeit gebunden.
Die Berichtautoren empfehlen daher, diese Verkehre als spezielle Branche – getrennt vom Binnenverkehr – zu behandeln. Die branchenüblichen Arbeitsbedingungen dieser internationalen Branche seien unter Berücksichtigung der Arbeitsbedingungen ausländischer EVU zu definieren. Das habe den Vorteil, dass EVU mit Sitz in der Schweiz gegenüber ausländischen nicht benachteiligt würden. Am Rande warnt der Bericht, dass es missbräuchlich wäre, wenn die für diese Branche angestellten Lokführer im Binnenverkehr eingesetzt würden. (Heute arbeiten Lok- führer von BLS und SBB Cargo in beiden Bereichen; eine klare Trennung wäre schwierig.)
Das BAV betonte am 20. Januar, zur Crossrail-Anzeige des SEV und zum Erlass einer Richtlinie seien noch keine Entscheide gefallen.
Fi
Kommentare
walter eigenheer 07/02/2015 10:10:42
Unverständlich und stümperhaft. Wie kann ein Bundesamt gegen die Interessen der eigenen Bahngesellschaften SBB/BLS und weitere für Dumpinglöhne einstehen? Man sollte den sogenannten Experten des BAV besser auf die Finger schauen!