Mit dem Beginn der Wintersaison startet der SEV eine spezielle Kampagne in der Bergbahnbranche
«Diese Leute wissen nicht, was der SEV ist»
Häufig prekäre Anstellungsbedingungen, und kaum Erfahrungen mit Gewerkschaften: Die Bergbahnbranche ist für den SEV eine besondere Herausforderung – in Graubünden erst recht.
kontakt.sev: Erste Wintersportorte haben die Saison begonnen. Was ist vom neuen Winter zu erwarten?
Peter Peyer: Wir stehen vor einem sehr anspruchsvollen Winter. Sollte dann auch noch der Schnee fehlen, wird es ganz schwierig – zumindest in Graubünden!
Wird es in Graubünden schwieriger als in andern Regionen?
Die Frankenstärke schlägt in Graubünden stärker durch als an andern Orten, wo mehr Touristen aus Asien und dem arabischen Raum kommen. Die Einschränkung bei den Zweitwohnungen, die Nähe zu Österreich – das kommt in Graubünden alles zusammen. Die Logierzahlen nehmen in Graubünden ständig ab, während andere Regionen gar leicht ausbauen können.
Bedeutet das, dass der Wettlauf mit dem Bau immer neuer Anlagen weniger stattfindet?
Nein, der findet trotzdem statt! Das belastet die Unternehmen zusätzlich. Die grossen Orte sind voll in diesem Wettbewerb.
Einfach gesagt: Man baut neue Bahnen und stellt weniger Personal ein?
Man baut Beschneiungsanlagen und modernere Bahnen, dafür stellt man Leute so knapp wie möglich ein, und man zahlt natürlich keine Spitzenlöhne. Ein Beispiel aus einem mittelgrossen, eher familiär ausgerichteten Skigebiet: Sie zahlen einem Patrouilleur brutto 2800 Franken im Monat. Die grösseren Gebiete zahlen etwas besser; 3200, maximal 3500 Franken brutto sind dort das übliche.
Der SEV hat bisher nur kleine Schritte in die Branche hineingemacht. Was soll sich ändern?
Es ist eine gewerkschaftsferne Branche. Die Berner Unternehmen sind etwas offener, auch weil sie verstanden haben, dass sie selbst von einer Zusammenarbeit profitieren können: Dank dem Vertrag mit dem SEV können sie Ausnahmen im Arbeitszeitgesetz anwenden, die ihnen nützen. Die Bündner sind da immer noch stark ideologisch behaftet; sie trauen sich nicht, einen solchen Schritt zu machen. Sie versuchen lieber, beim Personal zu sparen. Das Personal selbst organisiert sich kaum; teils aus Unwissen, teils aus Angst.
Was tun?
Die spezifische Werbekampagne, die wir an der Branchentagung am 14. November lancieren wollen, soll der Start sein für ein niederschwelliges Angebot: Die Leute sollen den SEV zuerst einmal kennenlernen können und sich ein eigenes Urteil bilden. Wir wollen ihnen die Furcht nehmen vor der Gewerkschaft. Sie können zuerst mal schauen: Was ist das eigentlich, was machen die Leute dort, nützt es mir etwas als Mitarbeiter einer Bergbahn? Erst danach sollen sie näher hingehen.
Man muss also nicht gleich von Anfang an zahlen, sondern kann erst mal schauen. Aber wie läuft das konkret; geht ihr in die Orte und verteilt Prospekte?
Nein, genau das wird nicht funktionieren. Es gibt schon gar nicht diesen einen, geeigneten Ort. Ein zweites Problem: Wenn ich zu einer Eisenbahn gehe, werden auch jene, die nicht Mitglied sind, schon vom SEV gehört haben; sie wissen vielleicht, dass wir die Lohnverhandlungen führen. In der Bergbahnbranche ist es komplett anders: Diese Leute wissen nicht, was der SEV ist, und wenn sie wissen, was eine Gewerkschaft ist, werden sie nicht an uns denken, sondern an eine andere, die für sie eher ein Schreckgespenst ist.
Wie soll es denn laufen?
Unser Konzept sucht den Zugang über die Mitglieder, die wir schon haben. Das sind wenige pro Ort, aber in allen wesentlichen Regionen in Graubünden haben wir einzelne Mitglieder. Über sie möchten wir weitere Leute ansprechen. Beispielsweise indem wir unseren Mitgliedern vorschlagen, dass sie an die Branchentagung noch einen Kollegen mitnehmen sollen, der nicht SEV-Mitglied ist, einfach aus Interesse am Thema. Diesen werden wir dann anbieten, vorerst einmal zu schnuppern: Sie bekommen die Zeitung, die Informationen, alles unverbindlich und kostenlos.
Was ist das Ziel?
Natürlich wollen wir nach Abschluss dieser Phase in der Branche mehr Mitglieder haben. Wir wollen die Leute davon überzeugen, dass es gerade in einer Branche, wo die Arbeitsbedingungen teilweise prekär sind, für die Angestellten eine Stärkung ist, Mitglied des SEV zu sein. Der SEV kann ihnen helfen in Fragen des Lohns, der Arbeitszeit, allgemein bei den Anstellungsbedingungen, und sie können sich auch gegenseitig unterstützen. Sie sollen sehen, dass man gemeinsam etwas erreichen kann, im Interesse der Anstellungsbedingungen, im Interesse der Sicherheit, aber auch im Interesse der Unternehmen.
Die Aktion läuft über zwei Winter- und eine Sommersaison, also das Schwergewicht im Winter. Müssten nicht vermehrt die Jahresangestellten im Fokus stehen?
Eigentlich ja. Aber in den grossen Unternehmen gibt es krasse Unterschiede: Meines Wissens hat die Weisse Arena Laax-Flims-Falera im Winter gut 1000 Mitarbeitende, im Sommer sind es vielleicht 200. Die grosse Masse ist im Wintertourismus. Dann wird «industrieller» Tourismus betrieben, alles andere sind Nischenangebote. Aus Gewerkschaftssicht wären die Jahresangestellten in der Tat die attraktivste Berufsgruppe, aber die grössten Probleme haben die andern, die nur saisonal angestellt sind.
Wo liegen die Probleme?
Wir treffen ganz verschiedene Leute. Solche, die im Sommer als Bauer arbeiten, andere sind Studentinnen und Studenten. Wir wissen natürlich auch, dass teilweise Missbrauch betrieben wird: Leute, die im Sommer auf dem Bau arbeiten, melden sich Ende Saison arbeitslos, geben die Arbeit im Skigebiet als Zwischenverdienst an und arbeiten zu sehr tiefen Löhnen, weil die Arbeitslosenkasse die Differenz ausgleicht. Das ist nicht ein Missbrauch durch die Personen, die so vorgehen, sondern eine indirekte Subvention der Bergbahnbranche, die toleriert wird durch die Unternehmen, durch Kiga und Arbeitslosenkasse.
Du bist für die Touristik zuständig, aber auch für die RhB, die ja auch rund zur Hälfte als Tourismusbahn gilt. Wie sieht es dort aus; gilt auch dort die negative Einschätzung, die du für Graubünden machst?
Insgesamt geht es der RhB gut. Aber sie spürt natürlich den Lauf der Wirtschaft, sie spürt die Frankenstärke, sie spürt die generelle Situation des Tourismus in Graubünden. Sie merkt aber auch die Ratlosigkeit unter den klassischen Touristikern. Es stellt sich deshalb die Frage, wie sich die RhB in dieser Situation positionieren wird. Wenn die Touristen ausbleiben, die zum Skifahren, zum Übernachten, zum Wandern oder in die Bäder kommen, fehlen sie auch der RhB als Kunden. Deshalb sollte die RhB wieder eine aktivere Rolle im Bündner Tourismus übernehmen. Das ist sowohl im Interesse des Tourismus als auch der RhB selbst.
Wo sind die Schwachstellen ausserhalb des Tourismus?
Das ist insbesondere der ganze Güterverkehr. Die RhB kann teilweise nicht mithalten, weil die Strasse nicht die vollen Kosten zahlen muss. Der Kanton Graubünden kann wirklich kein Interesse haben, dass die RhB irgendwann den Güterverkehr einstellt und alles auf der Strasse transportiert wird! Zusätzlich gibt es weiterhin einen starken Bedarf an Infrastruktur und Rollmaterial. Auch da wird meines Erachtens der Kanton seine Verantwortung übernehmen und Geld einschiessen müssen. Das Geld ist vorhanden: Graubünden hat das höchste Pro-Kopf-Vermögen aller Schweizer Kantone. 50 Millionen mehr für neues RhB-Rollmaterial bringen dem Tourismus sofort spürbar mehr als neue, teure Olympiapläne.
Wechseln wir noch zur Busbranche: Der SEV hat einen Vertrag mit der Stadtbus Chur erkämpft, die auch die Engadin Bus betreibt. Gelten dort die Umstände des Tourismus oder ist das normaler Regionalverkehr?
Es ist ein Nahverkehr mit sehr starken saisonalen Schwankungen. Der massive Unterschied von Sommer- und Wintersaison ist auch bei Engadin Bus sichtbar, weshalb sie auch mit vielen saisonalen Angestellten arbeiten. Insgesamt geht es aller- dings dem Oberengadin touristisch noch recht gut.
Und der Stadtbus Chur?
Das ist allgemein gut planbarer Verkehr, der übers ganze Jahr hinaus weitgehend stabil ist. Auch beim Personal hat sich die Situation einigermassen beruhigt, nicht zuletzt dank des Vertrags. Es sind noch ein paar Optimierungen nötig, beispiels- weise bei der Dienstplanung, da sind wir dran. Wenn wir zwei, drei Jahre zurückschauen, sind wir auf einem guten Weg. Man spürt heute auch eine Offenheit von der Führung her. Da haben wir viel erreicht!
Interview: Peter Moor
BIO
Alter Nächstens 50
Familie Verheiratet, zwei Töchter
Werdegang Kaufmännische Ausbildung, Kindergärtner, Politiker, Gewerkschaftssekretär
Freizeit Chor (als Sänger und im Vorstand Chor Mischedau Trin), Ferien in Sardinien («auch wenn das nicht gerade den Bündner Tourismus unterstützt»), kochen, lesen, Führungen im Festungsmuseum Sperre Trin (www.sperretrin.ch)