Der Bus hat eine grosse Zukunft
Viele Busnetze brauchen eine Aufwertung
In den Schweizer Städten und Agglomerationen gibt es viel mehr Buslinien als Trams. Ihr Ausbau erfolgt aber oft nur punktuell und pragmatisch. Verkehrsfachleute fordern jetzt einen erhöhten Standard. Dieser drängt sich auch auf, weil die kommerzielle Geschwindigkeit abnimmt.
Eine Umfrage von kontakt. sev bei den städtischen Verkehrsunternehmen zeigt es: Die Busse in den Städten und Agglomerationen werden im Mittel langsamer. Die fahrplanmässige Geschwindigkeit habe in den letzten Jahren «um einige Kilometer pro Stunde abgenommen », bestätigt Valérie Maire, Mediensprecherin der Lausanner Verkehrsbetriebe TL. Grund sei die Verkehrszunahme auf einzelnen Achsen. Ähnlich die Befunde aus Winterthur und Zürich: «Wir werden tendenziell langsamer», sagt die Mediensprecherin der Verkehrsbetriebe Zürich VBZ, Daniela Tobler. Auch hier gab das Verkehrswachstum den Ausschlag und zudem die «Rückeroberung der Verkehrsflächen für den Langsamverkehr ».
Da das Tram insgesamt über mehr Eigentrassen verfügt und bei Fussgängerübergängen Vorfahrt hat, scheint es weniger stark betroffen zu sein. Dennoch wird es von der Entwicklung nicht verschont. In Zürich zum Beispiel ist das Durchschnittstempo der Trams in den letzten zwanzig Jahren von 17 auf 16 km/h gesunken.
Bedenklich und teuer
Für den öffentlichen Verkehr ist das keine gute Sache. Mit dem Tempo sinkt oft auch die Fahrplanzuverlässigkeit. In den Stosszeiten, wenn besonders viele Leute an den Haltestellen warten, bleiben die Busse im Stau stecken. Die Geschwindigkeit ist ein zentraler Erfolgsfaktor von Bus und Tram. Sie spielt bei der Verkehrsmittelwahl eine Rolle, und sie wirkt sich ausserdem auf die Kosten aus: Je langsamer die Busse unterwegs sind, desto mehr Personal und Fahrzeuge sind fürs gleiche Angebot nötig. Das Bummeltempo kommt die Verkehrsbetriebe und die Städte, die sie mitfinanzieren, teuer zu stehen. Die Fahrplangeschwindigkeiten, die die Busse heute in den Schweizer Städten fahren, liegen meist klar unter 20 km/h. So erreicht Bernmobil auf den Hauptlinien tagsüber ausserhalb der Rushhour eine mittlere Geschwindigkeit von 17,9 km/h. In Lausanne kommt die stark frequentierte Linie 9 (Lutry- Prilly) in den Spitzenzeiten mit 15 km/h voran, während es am Abend immerhin 20 km/h sind.
Bekannte Massnahmen
Viele Massnahmen, mit denen die Fahrzeiten beschleunigt werden können, sind bekannt. Sie wurden und werden auch umgesetzt, sofern es die Verhältnisse und die Finanzen zulassen. Als wichtigste gelten reservierte Spuren, die Bevorzugung des öffentlichen Verkehrs bei Lichtsignalanlagen, aber auch die Anordnung der Haltestellen auf der Fahrbahn statt in Buchten: Für den Bus ist es ungünstig, wenn er an allen Halten vom Privatverkehr überholt wird und beim Losfahren zuwarten muss. So rutscht er in der Kolonne nach hinten. (Ab und zu sind aber auch Buchten nötig, damit der Bus einen allfälligen Vorsprung auf den Fahrplan kompensieren kann.)
Schliesslich bleiben die Vorkehrungen an den Fahrzeugen selber. Niederflur und zusätzliche Türen erleichtern das schnelle Einuns Aussteigen der Fahrgäste. Das ist umso wichtiger, weil die Passagierzahlen bei den meisten Unternehmen zunehmen – und damit die Umsteigezeiten: «Wir sind in gewisser Weise Opfer unseres Erfolgs», bestätigt Thomas Nideröst, Direktor von Stadtbus Winterthur.
Thomas Ledergerber, Leiter Netzmanagement von Bernmobil, nennt eine weitere Möglichkeit zum Zeitgewinn: die Erhöhung des Haltestellenabstands. Im städtischen Bereich betrage dieser idealerweise 400 bis 500 Meter. Auf dem Bernmobilnetz sei er aber manchmal kürzer. Allerdings, so schränkt Ledergerber gleich ein, «ist es enorm schwierig, Haltestellen aufzuheben». Als Bernmobil das kürzlich in einem Fall versuchte, «gab es einen Entrüstungssturm».
Politische Hürden
Andere Massnahmen stossen im politischen Alltag ebenfalls auf Widerstand. Für reservierte Busspuren muss in den engen innerstädtischen Verhältnissen der Individualverkehr Platz abtreten, was Einsprachen der Automobilverbände provoziert. Ähnliches gilt für die öV-Bevorzugung bei Lichtsignalanlagen. Sie stehen in Konkurrenz zu den Ansprüchen der übrigen Verkehrsteilnehmer, seien es die Automobilisten, Velofahrerinnen oder Fussgänger: «Das geht immer zulasten von jemand anderem», sagt Ledergerber.
Der ETH-Professor Ulrich Weidmann, Leiter des Instituts für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT), hat festgestellt, «dass die öV-Priorisierung nicht mehr so stark wirkt wie einst.»
Zumal in Winterthur bestehe noch Optimierungspotenzial, ist Thomas Nideröst überzeugt. Als eine geeignete Massnahme nennt er die Verlagerung der Staus mittels Lichtsignalanlagen an Stellen, an denen es möglich sei, Busspuren zu schaffen: «Dort können wir den Stau dann gewissermassen umfahren.»
Weidmann macht einen anderen Vorschlag vor allem für den Agglomerationsbereich ausserhalb der Zentren, wo Busspuren oft ebenfalls sinnvoll seien. Sie könnten hier bei vorhandener Doppelspur dynamisch ausgestaltet und mit Signalen nur dann reserviert werden, wenn der Bus tatsächlich vorfährt.
Planen wie beim Tram
Weidmann erachtet die Verbesserung des Busangebots als vordringlich. «Es gibt nicht nur die Schiene, wir müssen auch beim Bus einen grossen Schritt machen.» Den Schlüssel zum Erfolg ortet er weniger bei den Fahrzeugen und der Antriebstechnik als auf Seiten der Infrastruktur. Weidmann spricht sich dafür aus, bei der Planung von stark belasteten Buslinien die Denkweise der Tramprojekte zu übernehmen und sie nicht wie bisher als «Restmenge» zu behandeln. «Ein Bus ist ebenfalls ein System, das auf dem ganzen Korridor eine passende Infrastruktur benötigt.»
Nebst reservierten Spuren sei die Gestaltung der Haltestellen besonders an den Umsteigeplätzen entscheidend. Heute platziere man sie oft einfach dort, wo es gerade praktisch sei. In Zukunft gehe es darum, sie von den Bedürfnissen der Fahrgäste und vom Bus her neu zu gestalten: «Den flexibleren Individualverkehr kann man darum herum anordnen.»
Lausanne in der Pionierrolle
Solche Systeme entsprechen dem, was die Fachleute als «Bus mit hohem Angebotsniveau » bezeichnen. In der Schweiz betätigt sich die Agglomeration Lausanne als Vorreiterin in dieser Sache. In ihrem «Réseau des axes forts» (Netz der Hauptlinien), das ab 2018 in Betrieb geht, sind drei Buslinien «à haut niveau de service» (BHNS) vorgesehen.
Dank Eigentrassen und absoluter Vorfahrt an den Kreuzungen sollen die Zuverlässigkeit und die kommerzielle Geschwindigkeit erhöht werden. Angestrebt sind 18 km/h, was gegenüber dem heutigen Tempo von manchmal bloss 10 km/h ein beträchtlicher Fortschritt wäre. Eine gute Frequenz, Doppelgelenkbusse mit einer Kapazität von 150 Passagieren und Niederflureinstieg sind weitere Merkmale der BHNS-Linien.
Schrittweise zum Tram?
Doch setzt man auf solchen Achsen nicht besser gleich aufs Tram, das 250 Fahrgäste fasst? Laut Ulrich Weidmann gibt es keine feste Regel, ab welchem Passagieraufkommen sich das Tram rechtfertigt. Bei einem Takt des Trams zwischen fünf und zehn Minuten brauche es in den am stärksten frequentierten Abschnitten jedenfalls eine sehr gute Auslastung, für die der Bus alle 2 bis 3 Minuten verkehren müsste. Zusätzlich spielten aber auch städtebauliche Überlegungen eine Rolle: Wenn das Tram dank dem «Schienenbonus » dazu dient, ein Gebiet aufzuwerten und zu entwickeln.
Mehrere mittelgrosse Schweizer Städte überlegen sich, das Tram oder eine Stadtbahn einzuführen, darunter Biel, Luzern und Winterthur. Weidmann erachtet ein schrittweises Vorgehen als pragmatischen Ausweg aus den Grundsatzdiskussionen: Es bestehe die Möglichkeit, eine Verkehrsachse «verkehrsmittelneutral » freizuhalten und auszubauen: Zuerst für den Bus, mit der Möglichkeit zu einem späteren Zeitpunkt aufs Tram umzustellen, wenn sich die Passagierzahl entsprechend entwickle.
Nideröst beurteilt solche «Investitionen auf Vorrat» allerdings mit Skepsis. Der Zeitraum, bis sie einen Nutzen generieren könnten, sei lang: «Vor 2035 ist das Tram für Winterthur nicht erhältlich», ist er überzeugt. Entsprechend müssten die Businfrastrukturen erst mal so ausgebaut werden, dass sie die nächsten 25 Jahre überdauerten: «Dank der langen Fahrzeuge ist der Sprung zum Tram nicht mehr so gross wie früher.»
Peter Krebs
So sieht es das Personal
kontakt.sev: Wie erleben Busfahrerinnen und Busfahrer die Entwicklung der Fahrgeschwindigkeit?
Ueli Müller: Die Spitzenzeiten der Pendlerströme werden seit Jahrzehnten länger; in diesen Phasen komme ich mit dem Linienbus an der Endhaltestelle schon zu spät an, statt noch 5 Minuten «Gesundheitspause» zu haben.
Welches sind die Einflüsse, die am stärksten bremsen?
Kreisel kann man nur sehr langsam befahren. Enge Quartierstrassen lassen jeden Linienbus «schneggeln». Und mit dem Bus Velos zu überholen, scheitert oft am fehlenden Platz.
Welche Massnahmen drängen sich aus Sicht des Personals auf?
Die Fahrpläne müssen dem Bedürfnis des Personals angepasst und nicht nur nach theoretischen Berechnungen festgelegt werden.
Systematisch gebaute Busnetze als Alternative zum Tram: Hat das Zukunft?
Eindeutig: Trennt die Verkehrsteilnehmer! Reserviert kleine Strassen für die Velos und den Zubringerverkehr. Führt die Buslinien über Hauptverkehrsachsen auf Busspuren mit Priorisierung der Lichtsignalanlagen. Trennt auf Bahnhofplätzen und vor Einkaufszentren die Fussgänger und den Rest des Verkehrs voneinander, indem entweder die Haltestellen oder aber der Verkehr unterirdisch geführt wird. Mit diesen Massnahmen haben die Velos ihren Raum, die Busse können zügig fahren, und die Fussgänger fühlen sich auf den grossen Haltestellen wohl.
Ueli Müller ist Vizepräsident des VPT und vertritt im Zentralvorstand die Branche Bus; er arbeitet als Buschauffeur in Thun.