Ob als Rangierer, Registraturverantwortlicher oder Organisationssekretär – Rolf Rubin sorgte für Systematik

«Sind wir intern noch richtig aufgestellt?»

Am 31. Oktober hatte Rolf Rubin seinen letzten Arbeitstag als SEV-Organisationssekretär. Durch seine Berufskarriere zog sich ein roter Faden bis zur Pensionierung: sein Flair für Ordnung und Logik.

Rolf Rubin hat vier Kongresse orchestriert – hier 2013 mit dem SEV- und dem Kongresspräsidenten.

kontakt.sev: Bevor du 1985 SEV-Angestellter geworden bist, hast du bei der SBB gearbeitet. Wie bist du Eisenbahner geworden?

Rolf Rubin: Ich bin über die Berufswahl zur SBB gekommen und habe 1971 in Rapperswil eine Lehre als Betriebsarbeiter gemacht. Mein Berufsziel war eigentlich Kondukteur, doch hat sich das verschoben und aus verschiedenen Gründen schliesslich nicht ergeben. Die Bahn hat mir schon immer gefallen, Bahnreisen mache ich heute noch oft und gern, und der Betrieb der Bahn hat mich bei der Berufstätigkeit immer mehr fasziniert. Da muss so manches Rädchen zusammenspielen, damit die Züge pünktlich verkehren …

Würdest du heute wieder den gleichen Beruf wählen?

Wohl kaum, da der Betriebsarbeiter bei der SBB ein aussterbender Beruf ist. Das arbeitende Personal der SBB, wie etwa das Rangierpersonal, geniesst auch nicht unbedingt sehr hohes Ansehen, obwohl es richtig gute Büez macht, bei jedem Wetter draussen und rund um die Uhr. Für all das, was es leistet, hat es eine bescheidene Anerkennung. Das finde ich schade.

Du warst als Milizgewerkschafter im Vorstand deiner Sektion und im Zentralausschuss des RPV aktiv. Hast du auch Kurse besucht?

Ja, natürlich. Ich besuchte die Bildungswochen von RPV und SEV und 1983/84 die Arbeiterschule, die dem heutigen Movendo-Lehrgang für Management in gewerkschaftlichen Organisationen entsprach. Sie dauerte zweimal vier Wochen. Damals hatte man bei der SBB Anrecht auf eine Bildungswoche alle zwei Jahre. Ich nahm dafür auch Ferien und erhielt vom SEV neben den Kurskosten auch eine Lohnausfallentschädigung bezahlt. Hätte ich eine Einschreibgebühr bezahlen müssen, wie sie nun der SEV-Vorstand verlangen will, hätte ich mir diese Ausbildung als junger Familienvater mit zwei Kindern damals kaum leisten können. Das war für mich eine grosse Geschichte, und ich finde es weiterhin wichtig, dass der SEV auch Milizfunktionären eine solche Ausbildung ermöglicht.

Wie bist du 1985 Profigewerkschafter geworden?

Weil mir als Mitarbeiter des Zentralstellwerks in Zürich die Zukunftsperspektiven bei der Bahn fehlten, habe ich mich beworben, als der SEV die Stelle eines Verantwortlichen Dokumentation und Registratur ausschrieb.

Hattest du für diese Aufgaben eine spezielle Affinität?

Zuerst eigentlich nicht. Ich hab mir das einfach zugetraut, wobei eine gewisse Logik und Systematik natürlich auch beim Rangieren nötig sind, damit man mit der Arbeit irgendwann mal fertig wird (lacht). Von daher lag mir das schon.

Wie lange hast du dich im SEV um Dokumentation und Registratur gekümmert?

Vom 1. Oktober 1985 bis 2006, als ich Behördendienstleiter wurde – heute heisst das Organisationssekretär. Da es zuerst noch kein gutes Karteikartensystem gab, haben wir eines eingerichtet und später, als die PCs aufkamen, mit dem Aufbau einer elektronischen Datenbank begonnen. Da bin ich einfach reingerutscht, weil ich das gerne mache. Informatik hat ja viel mit Ordnung, Systematik und Logik zu tun, wie die Registratur auch, und das begeistert mich jetzt noch.

Die Systematik des Archivs im Keller ist also von dir?

Ich habe sie einfach übernommen, bis 2006 weitergeführt und teilweise erneuert, wie das üblich ist. Daneben wurde ich etwa 1997 zum Sekretär der Statutenrevisionskommission des SEV bestimmt. Später ist noch das rote Info-Büchlein für die Vertrauensleute dazugekommen (bis 2006), und 1999 die Organisation von Unterschriftensammlungen. Damals sammelten wir zugleich für vier Initiativen Unterschriften und wir brachten für drei davon genügend zusammen, weil wir viele Milizler/innen zum Mitmachen begeistern konnten.

In den letzten Jahren hast du auch die SEV-Demos organisiert …

Das gehört zum Pflichtenheft des Organisationssekretärs.

Als solcher hast du die Reorganisation der SEV-Gremien auf Anfang 2010 hautnah miterlebt: Hat sich diese bewährt?

Es war auf alle Fälle ein Schritt in die richtige Richtung, und auch ein grosser Schritt. In all den Jahren, in denen ich beim SEV war, war es die erste Reform von Milizstrukturen, die durchkam. Der Vorstand hat sich inzwischen gefunden, doch gibt es immer noch Potenzial für Verbesserungen, vor allem bei der Diskussionskultur. Man sollte offener diskutieren, die Probleme offen ansprechen.

Welche Probleme?

Grundsätzlich frage ich mich: Sind wir intern noch richtig aufgestellt? Denn wir haben Mitgliederschwund seit Jahren. Mit dem Sektionscoaching können wir nun vielleicht Gegensteuer geben, aber die Mitgliederwerbung ist zentral, und Potenzial ist vorhanden. Man muss nicht unbedingt neue Gruppierungen suchen, sondern es gibt innerhalb der SBB grosse Bereiche, wo viele Mitarbeitende nicht geworben sind, zum Beispiel beim Verkauf oder beim Verwaltungspersonal, wo heute die vielen Quereinsteiger/innen schwierig zu werben sind. Der SBB-Personalbestand steigt aber wieder, und da sollten wir Mitglieder gewinnen. Wichtig ist auch, dass wir bei den neuen SBB-Tochtergesellschaften für den Regionalverkehr wie Tilo und bei andern Abspaltungen von der SBB den Fuss drin behalten, unsere Mitglieder dort halten und neue werben. Der Mitgliederschwund wirkt sich auch auf die Finanzen des SEV aus. Auch deshalb ist die jetzige Struktur zu hinterfragen.

Inwiefern?

Man muss sich fragen, ob es noch richtig ist, dass die Sektionen und Unterverbände je eine Kasse führen und Vermögen anhäufen, und ob die Mittel vom Gesamtbeitrag des Mitglieds, die dort hereinkommen, zielgerichtet genutzt werden. Auch wird sich die Gewerkschaftslandschaft weiter wesentlich verändern. Wenn man da nicht überrollt werden will, muss man an seinen Strukturen arbeiten und mindestens hin und wieder darüber sprechen, ob diese Strukturen noch stimmen. Solche Themen aufzugreifen und zu diskutieren sollte der Vorstand den Mut haben. Denn Diskussionsverweigerung führt nie zum Ziel, während die Diskussion zu Lösungen führen kann, ohne dass man gleich alles um 180 Grad drehen muss.

Wie hast du 2006 bis 2008 die Diskussionen über die Fusion mit der Gewerkschaft Kommunikation erlebt?

Dort habe ich erlebt, dass teilweise die Diskussion abgelehnt und dann einfach Nein gesagt wurde. Im Nachhinein kann man sagen, dass die Ablehnung wahrscheinlich nicht falsch war. Aber man darf bei so wesentlichen Fragen nicht die Diskussion verweigern.

Wie beurteilst du das Verhältnis zwischen Miliz und Gewerkschaftprofis im SEV?

Wir haben eine gute Milizstruktur. Sie ist eine Stärke des SEV, die ihn von andern Gewerkschaften unterscheidet. Es ist auch wichtig, dass die Miliz im Vorstand Verantwortung übernimmt und alleine stimmberechtigt ist.

Wäre ein Profi-Zentralpräsident wie beim Unterverband AS, der ihn mit den Beiträgen seiner Mitglieder finanziert, auch bei den andern Unterverbänden möglich?

Bei Unterverbänden mit unter 2000 Mitgliedern kaum. Man hat schon mal über eine Teilprofessionalisierung diskutiert, bei der die Zentralpräsidenten ihr Pensum beim Arbeitgeber um 20 Prozent reduzieren würden, wobei der SEV die Einkommenslücke bezahlen würde. Doch bei der Aufgabe des Zentralpräsidiums wäre eine Wiederaufstockung des Pensums nicht garantiert, jedenfalls nicht im gleichen Bereich. Tatsache ist, dass Freistellungen für Gewerkschaftsarbeit immer schwieriger zu erhalten sind.

2009 hat der Kongress den SEV offiziell vom Verband in eine Gewerkschaft umbenannt: Was steckt dahinter?

Das GAV-Zeitalter hat ein anderes Bewusstsein gebracht. Unter dem Beamtengesetz wurden die Lohnverhandlungen für alle Regiebetriebe des Bundes vom Föderativverband geführt, und das Ergebnis galt für alle, ohne dass unsere Mitglieder dazu etwas sagen konnten. Nur die GL hat sich dazu noch geäussert. Jetzt gibt es bei der SBB einen GAV, den die GAV-Konferenz gutheissen muss, und den GAV-Ausschuss für Lohnverhandlungen. Die GAV-Delegierten können Verhandlungsergebnisse annehmen oder ablehnen. Hier wie im Vorstand liegt die Verantwortung nun bei der Miliz. Das ist eine wesentliche Neuerung.

Dieses Jahr hast du im Auftrag des Vorstands mit der Arbeitsgruppe Mobilisierung noch einen fünfseitigen Leitfaden für die Mobilisierung verfasst. Was ist das Wichtigste beim Mobilisieren, etwa für eine Demo?

Dass wir die Sektionsverantwortlichen und Vertrauensleute dazu motivieren können, selber teilzunehmen, Kolleg/innen und Angehörige mitzubringen und in den Sektionen weiter zu mobilisieren, sodass sich das Ganze verästelt. Dafür muss man mit ihnen das persönliche Gespräch suchen. Ebenfalls wichtig ist das Controlling: Dass man Leute, von denen man nichts mehr hört, anruft. Dabei muss man nach einem relativ strikten Plan vorgehen. Das haben wir 2009 bei der grossen Demo in Bern für die Sanierung der Pensionskasse SBB durch den Bund so gemacht. Geholfen hat uns bei dieser Mobilisierung auch, dass die Mitglieder gespürt haben, dass es um ihre Rente geht. Wenn ein Thema die Mitglieder betrifft und «abholt», kommen sie auch heute an eine Demo, das bringen wir mit unserer Milizstruktur hin. Doch es müssen auf allen Ebenen alle mobilisieren.

Interview: Markus Fischer