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Sozialversicherungen: Was ändert 2022?
Die wichtigste Neuerung bei den Sozialversicherungen ist das Inkrafttreten einer Änderung der Invalidenversicherung (IV). Im Mittelpunkt steht dabei die Einführung eines linearen Rentensystems. Mehr dazu und zu den Änderungen bei den übrigen Sozialversicherungen im traditionellen Überblick zum Jahresbeginn.
Das Projekt «Weiterentwicklung der Invalidenversicherung (IV)» verbessert die Massnahmen zur beruflichen Eingliederung und Wiedereingliederung. Neue Bestimmungen betreffen Kinder, Jugendliche und Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen. Sie zielen in erster Linie darauf ab, die Betreuung der Betroffenen zu intensivieren, bereits bewährte Massnahmen auszuweiten und die Zusammenarbeit mit der behandelnden Ärzteschaft und den Arbeitgebern zu verstärken.
Für die Kinder wird die Liste der Geburtsgebrechen, die 1985 letztmals überarbeitet wurde, aktualisiert. Für Jugendliche und junge Erwachsene mit gesundheitlichen, insbesondere psychischen Beeinträchtigungen werden gezielte Massnahmen ergriffen, um die Übergänge von der Schulzeit zur Berufsausbildung und später in den Arbeitsmarkt zu verbessern.
Verschiedene neue Bestimmungen sollen die berufliche (Wieder-)Eingliederung von Personen mit psychischen Beeinträchtigungen verbessern: Die Beratung und Begleitung orientiert sich stärker an den Bedürfnissen und erfolgt kontinuierlicher und länger. Die Früherfassung wird ausgedehnt. Die Integrationsmassnahmen werden flexibler gehandhabt. Ausserdem wird als neue berufliche Massnahme der Personalverleih eingeführt: Arbeitgeber haben so die Möglichkeit, potenzielle künftige Mitarbeitende unverbindlich kennenzulernen, ohne einen Arbeitsvertrag mit ihnen abschliessen zu müssen. Und die versicherte Person kann einen Schritt zurück in den ersten Arbeitsmarkt machen, sich präsentieren und ihre Berufserfahrung erweitern, was ihre Chancen auf eine Anstellung erhöht.
Seit dem 1. Januar 2022 gilt für alle Neurentner:innen ein neues stufenloses Rentensystem: Die Höhe des Anspruchs auf eine Invalidenrente wird neu in prozentualen Anteilen an einer ganzen Rente festgelegt und nicht mehr in Abstufungen von Viertelsrenten (siehe Grafik). Wie bisher werden Renten ab einem Invaliditätsgrad von 40 % gewährt. Der Anspruch auf eine ganze Rente entsteht ab einem Invaliditätsgrad von 70 %. Bei einem Invaliditätsgrad von 50 bis 69 % entspricht der prozentuale Anteil neu genau dem Invaliditätsgrad. Für die Invaliditätsgrade von 40 bis 49 % liegt die Rente zwischen 25 und 47,5 % . Bereits laufende Renten werden nach dem neuen System berechnet, wenn sich bei einer Revision der Invaliditätsgrad um mindestens fünf Prozentpunkte ändert. Die Renten von unter 30-jährigen Versicherten werden innerhalb von zehn Jahren ins stufenlose System überführt. Für Versicherte über 55 Jahre wird der Besitzstand garantiert. Die neue prozentgenaue Abstufung wird in der Invalidenversicherung und in der obligatorischen beruflichen Vorsorge verwendet.
Die Weiterentwicklung der IV bringt auch mehrere Neuerungen bei den medizinischen Gutachten: Bei der Wahl des/der Sachverständigen ist die versicherte Person auf deren Wunsch zu konsultieren. Zudem wird bei den Begutachtungen die Transparenz verbessert, indem die Interviews, welche die Sachverständigen mit den Versicherten führen, neu mit einer Tonaufnahme erfasst werden. Die IV-Stellen führen eine öffentlich zugängliche Liste mit Angaben zu den von ihnen beauftragten Sachverständigen. Neu werden auch bidisziplinäre Gutachten nach dem Zufallsprinzip vergeben, was bisher nur für die polydisziplinären Begutachtungen galt.
Ab dem 1. Januar 2022 wird eine unabhängige ausserparlamentarische Kommission die Qualität der Gutachten beurteilen und gewährleisten. Sie überwacht die Zulassung der Gutachterstellen, das Verfahren zur Erstellung der Gutachten und die Ergebnisse der medizinischen Gutachten. In der Kommission werden die verschiedenen Sozialversicherungen, die Ärzt:innen, die Sachverständigen, die Wissenschaft, die Bildungseinrichtungen der Versicherungsmedizin sowie Patienten- und Behindertenorganisationen vertreten sein.
Berufliche Vorsorge (BVG)
Auf den 1. Januar 2022 wurden verschiedene Hinterlassenen- und Invalidenrenten der obligatorischen beruflichen Vorsorge erstmals an die Preisentwicklung angepasst. Die Anpassung beträgt 0,3 % für die seit 2018 laufenden Renten und 0,1 % für die seit 2012 laufenden Renten.
Der Mindestzinssatz in der obligatorischen beruflichen Vorsorge bleibt 2022 unverändert bei 1 %. Der Mindestzinssatz betrifft nur die Guthaben der obligatorischen 2. Säule. Ansonsten steht es den Vorsorgeeinrichtungen frei, eine andere Verzinsung festzulegen. Der Satz von 1 % ist seit 2017 in Anwendung.
Krankenversicherung
Im Jahr 2022 wird die durchschnittliche Prämie der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zum ersten Mal seit 2008 sinken. Die monatliche Prämie beläuft sich auf 315 Franken 30 pro Monat, im Vergleich zu 2021 ist das ein Rückgang um 0,2 %. Der Bundesrat wird Ende 2022 einen Bericht dazu veröffentlichen, wie sich die Covid-19-Pandemie auf die Gesundheitskosten und damit auf die künftigen Krankenkassenprämien auswirken wird.
Kostenübernahme bei Psychotherapien: Ab 1. Juli können psychologische Psychotherapeut:innen zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung tätig sein. Vor- aussetzung ist eine ärztliche Anordnung. Dank der Verordnungsrevision erhalten Menschen mit psychischen Problemen einfacher und schneller Zugang zur Psychotherapie. Die Anordnung der Hausärztin bzw. des Hausarztes ersetzt die bisherige Konsultation bei einer Fachärztin / einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und die anschliessende ärztliche oder delegierte Psychotherapie.
EO: Adoptionsurlaub
Im Herbst 2021 gab das Parlament grünes Licht für die Einführung eines zweiwöchigen Adoptionsurlaubs, der über die Erwerbsersatzordnung (EO) entschädigt wird. Die Referendumsfrist lief bis zum 20. Januar 2022. Da bis dahin kein Referendum zustandegekommen ist, kann nun der Bundesrat das Datum des Inkrafttretens festsetzen. Als Zeitpunkt für die Einführung kommen Mitte 2022 oder Anfang 2023 infrage. Der Urlaub ist erwerbstätigen Adoptiveltern von Kindern unter vier Jahren vorbehalten. Die Adoptiveltern können wählen, wer von ihnen den Urlaub in Anspruch nimmt. Sie können den Urlaub auch untereinander aufteilen. Der vierzehntägige Urlaub kann tage- oder wochenweise bezogen werden.
Rechtsschutzteam SEV