Roger Thuillard
Jahrgang 1919, wie der SEV
Dieses Jahr feiert nicht nur der SEV sein 100-jähriges Jubiläum. Auch 23 Mitglieder sind 1919 geboren. Wir haben eines davon getroffen: den ehemaligen SBB-Angestellten Roger Thuillard. Ein Blick auf den Verlauf seiner Karriere verrät einiges über das Leben eines hundertjährigen Eisenbahners.
Roger Thuillard ist am 17. September 1919 geboren und lebt mit seiner Frau Georgette in Renens. Die 98-jährige Tochter eines Eisenbahners ist noch rüstig. Sie arbeitete einst als Schneiderin. Die beiden lernten sich in sehr jungen Jahren in der Schule in Yverdon kennen und sind seit 76 Jahren verheiratet. «Wir hatten Glück und waren gesund.» Trotzdem kamen mit dem Alter einige Sorgen, die den Alltag belasten: Die Sehkraft gibt ab und erschwert das Lesen, das Gehör verschlechtert sich und führt zu Gleichgewichtsproblemen bei unserem bald Hundertjährigen. Doch das Paar lebt weiterhin selbstständig in seiner Wohnung in einem ruhigen Quartier, wo Kinder und Grosskinder oft zu Besuch kommen. «Wir haben es schön im Ruhestand», finden sie beide.
Genaue Erinnerungen
Roger Thuillard kann sich an vieles in seinem Leben genau erinnern. Er zögert nicht, mir auf meinem Handy die Fahrstrecken der Wagen auf dem Weg zur Reparatur zu erklären. Er zeigt mir die Handgriffe, die er einst ausführen musste. Roger Thuillard kommt aus keiner Eisenbahnerfamilie. Zunächst machte er eine Lehre als Schlosser und lernte einen Ingenieur der SBB kennen, der jeweils seine Baustellen kontrollierte. So begann er 1942 für zwei Jahre in den SBB-Werkstätten in Yverdon zu arbeiten. «Es war Krieg und wir machten die grossen Reparaturen an den Wagen. Es gab keine Ersatzteile, also mussten wir sie selber herstellen. Ich war ein guter Schweisser!» An den Krieg erinnert er sich noch gut: 1939 hat er die Rekrutenschule gemacht, «dann war ich 1200 Tage im Einsatz – im Bunker», erzählt er.
Im SEV seit 77 Jahren
Kurz nach der Ankunft in der Werkstätte «haben wir das Beitrittsformular direkt unterschrieben. Uns wurde gesagt, dass alle Arbeiter zusammen stärker sind. Und das stimmte!» Nun ist Roger seit 77 Jahren SEV-Mitglied. «Wir fuhren oft in die Deutschschweiz für Kongresse und hatten Versammlungen im Lausanner Bahnhofbuffet. Wir waren immer zufrieden damit, was der SEV für uns leistete. Ich habe alles immer verfolgt, obwohl ich nie in einem Vorstand war. Einmal gab es Probleme mit der Arbeitszeit. Also haben wir gesagt: ‹Wir müssen alle hingehen!›»
Später arbeitete Roger im Depot Bern, wo er die Getriebe elektrischer «Maschinen» reparierte. Er nennt sie nicht «Lokomotiven», denn für ihn verdienen diesen Namen nur solche, die mit Kohle betrieben werden. «Zu der Zeit wohnte ich in Bümpliz und ging im Laufschritt zur Arbeit. Damals war ich in Topform! Mit acht Jahren habe ich mit Sport angefangen. Ich sage immer: Macht Sport, das hilft im Alter!» In der Leichtathletik gewann er sogar einen Kranz. Später sang er im Chor der Eisenbahner in Renens.
Nach einigen Jahren in Bern wurde im Depot Renens 1946 ein Platz frei. «Ich war in dem Bereich angestellt, wo das Rollmaterial repariert wurde: Güter- und Personenwagen. Wir haben zum Beispiel die Achsen ausgetauscht. Dazu musste man in eine Grube steigen und dort auch wieder herauskommen! Zu jenem Zeitpunkt wurde er zum Vorgesetzten ernannt.
Alle Westschweizer Güterzüge kamen in Renens vorbei. Die «Visiteure», wie sie genannt wurden, markierten die Wagen für die Reparatur mit einer roten Etikette. Diese Züge wurden dann einen Laufberg hinuntergeschickt, um sortiert zu werden. Roger trennte die Kupplungen der Wagen, die von allein angerollt kamen, und die Weichensteller schickten sie über eines der 28 Gleise zur richtigen Werkstätte. Das war eine heikle Sache. Wenn der Bremsschuh, der die Wagen bremsen sollte, nicht richtig platziert war, kam es manchmal zu Entgleisungen», erinnert sich Roger Thuillard. Mit der Zeit wurde er zu einem gefragten Spezialisten bei Entgleisungen. «Dann sind wir mit Wagenhebern hingegangen, um die Wagen wieder aufzugleisen. Oft wurde ich in der Nacht angerufen.»
«La Maison des Rails»
Am Ende seiner Karriere bei der SBB leistete er einen wichtigen Beitrag zum Umzug und zur Inbetriebnahme des neuen Depots in Denges (VD), das jenes in Renens mit der Zeit ersetzte, und wurde zum Werkstattleiter. «Wir wohnten 20 Jahre lang auf der Ferme des Tilleuls neben dem Güterbahnhof in Renens.» Er erinnert sich an den furchtbaren Lärm zwischen der Strasse und dem Güterbahnhof. Bei der letzten Dampflokomotive, deren Feuer die ganze Nacht lang brennen musste, machte das Ventil «einen Riesenkrach, wenn sie zu viel Dampf hatte! Direkt unter unserem Schlafzimmerfenster!» Seine Gesundheit litt unter dem Schlafmangel, bis der Arzt ihm nicht mehr lange zu leben gab. Er überlegte zu kündigen. Die SBB fand es nicht normal, dass er nicht zu seinem Schlaf kam, und liess ihn mit 56 Jahren in den Ruhestand treten. Das war vor 54 Jahren!
Roger Thuillard ist sehr gefragt: Neben diesem Portrait wird er im Film La Maison des Rails zu sehen sein, der vom Leben der Bewohner der Ferme des Tilleuls berichtet, heute ein Kulturzentrum, in dem der Film am 16. Juni um 17 Uhr zum ersten Mal öffentlich gezeigt wird.
Yves Sancey/Übersetzung: kt
Kommentare
Meurant Isabelle 02/06/2019 16:28:22
Merci pour cet article sur mon "pépé" Roger...un bel hommage à ce cheminot de coeur.
Serait il possible d'avoir une version par email de cet article?
Meilleures salutations
Isabelle Meurant