| Aktuell / SEV Zeitung

Mitwirkungsgesetz

Welche Bilanz ziehen wir aus 30 Jahren Mitwirkung?

Das Mitwirkungsgesetz, das im Zuge der Ablehnung des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) entstand, ist unverbindlich, manchmal fakultativ und enthält praktisch kein Mitbestimmungsrecht, lediglich das Recht auf Information und Konsultation. Aber es hat zumindest den Vorteil, dass es existiert.

Wie so oft im Arbeitsrecht war die Schweiz Vorreiterin, bevor sie auf halber Strecke stehen blieb und dann überholt wurde. Das Gesetz über die Mitwirkung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, das sog. «Bundesgesetz über die Information und Mitsprache der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Betrieben» oder «Mitwirkungsgesetz», ist ein gutes Beispiel dafür. Die Schweiz kam der EU zwar um einige Monate zuvor, indem sie einen allgemeinen Rahmen für die Mitwirkung der Arbeitnehmenden schuf. Allerdings führte dieser Rahmen arbeitgeberseitig zu wenig Verbindlichkeit. Das Mitwirkungsgesetz bildet zwar eine nützliche Grundlage für die Schaffung von Arbeitnehmenden-Vertretungen, macht diese aber nicht zur Pflicht und gibt ihnen nur wenig Rechte. Es ersetzt also weder die gewerkschaftliche Mobilisierung noch die Machtverhältnisse.

Hintergrund des Gesetzes

Die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) hat bereits 1971 das Übereinkommen 135 (Ü 135) erlassen, um die Beteiligung der Arbeitnehmenden in den Unternehmen zu fördern, die gewählten Vertreter:innen zu schützen und die Erfüllung ihrer Aufgaben unter guten Bedingungen zu ermöglichen. Die IAO sah die Spannungen voraus, die zwischen innerbetrieblicher Vertretung und Gewerkschaften bestehen können. Die Ü 135 sieht vor, dass das Vorhandensein der Vertreter:innen «nicht dazu benutzt wird, die Stellung der beteiligten Gewerkschaften oder ihrer Vertretung zu untergraben», und fordert die Staaten auf, «die Zusammenarbeit zwischen den gewählten Vertreter:innen und den beteiligten Gewerkschaften [...] in allen einschlägigen Fragen zu fördern.» Die Schweiz hat das Ü 135 nicht ratifiziert und so einmal mehr ihrem Status als Gastgeberstaat der IAO geschadet. Durch die Ablehnung der Initiative «für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer» und des direkten Gegenentwurfs des Parlaments (obwohl aus Freisinniger Feder) am 21. März 1976 mit über 66 % Nein-Stimmen bzw. 70 % wurde die Mitwirkung für lange Zeit beerdigt.

Durch die EWR-Abstimmung erlebte die Arbeitnehmendenbeteiligung einen neuen Aufschwung. Die Schaffung eines Mitwirkungsgesetzes war (zusammen mit ersten Regeln über Massenentlassungen und Unternehmensfusionen) im «Eurolex»-Gesetzespaket vorgesehen, das die Schweizer Gesetzgebung an die EWR-Normen anpassen sollte und 1993 in das «Swisslex»-Gesetzespaket übernommen wurde. Dieser Rahmen wurde durch neue sektorale Gesetze ergänzt: obligatorischer Sozialplan in Grossunternehmen (2013), Erleichterung der Arbeitszeiterfassung (2016). 2020 verankerte das Bundesgericht endlich ein wichtiges Mitbestimmungsrecht, indem es jeden Wechsel der Vorsorgeeinrichtung ohne Zustimmung der Personalvertretung für ungültig erklärte.

Herausragende Punkte des Gesetzes

Das Mitwirkungsgesetz enthält Informations- und Konsultationsrechte, aber kein Mitbestimmungsrecht. In der Schweiz haben Arbeitnehmende kaum eine Möglichkeit, ihre Arbeitsbedingungen anders zu beeinflussen als durch ihre Meinung, nach der sie manchmal gar nicht gefragt werden. Das Gesetz sieht vor, dass die Arbeitnehmenden mindestens einmal pro Jahr über den Geschäftsverlauf informiert werden müssen. Das ist alles. Eine gewählte Vertretung kann die Informationen erhalten, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigt. Da der Hauptteil des Mitwirkungsgesetzes jedoch «relativ zwingender Natur» ist, kann ein GAV weiterreichende Rechte vorsehen.

Das Mitwirkungsgesetz schreibt die Personalvertretung nicht zwingend vor, sondern ermöglicht lediglich, dass in Unternehmen mit mindestens 50 Beschäftigten eine Abstimmung über ihre Einrichtung durchzuführen ist, sofern mindestens ein Fünftel der Beschäftigten dies beantragt. Die Vertretung muss von den Arbeitnehmenden frei gewählt werden und hat die Aufgabe, deren Interessen kollektiv zu vertreten. Der Arbeitgeber muss ihre Tätigkeit unterstützen, indem er u. a. Räumlichkeiten und Finanzmittel zur Verfügung stellt. Zudem muss er den Vertreter:innen die Aufgabenerfüllung während ihrer Arbeitszeit ermöglichen und darf sie nicht behindern, weder durch Einschüchterung von Arbeitnehmenden noch durch Repressalien gegen Mitglieder der Personalvertretung. Leider macht der zu schwache Schutz vor missbräuchlicher Kündigung in der Schweiz diesen Schutz illusorisch.

Die Personalvertretung ist zur Geheimhaltung von Informationen, die sie im Rahmen ihrer Tätigkeit erhält, verpflichtet. Sie hat jedoch das Recht, externe Experten hinzuzuziehen, sofern diese ebenfalls an die Geheimhaltungspflicht gebunden sind. Letztlich hindert die Existenz einer Personalvertretung die Arbeitnehmer:innen nicht daran, sich an eine Gewerkschaft zu wenden oder sie sogar formell zu beauftragen, wenn sie der Meinung sind, dies liege in ihrem Interesse. In Krisensituationen ist eine externe, professionelle und unabhängige gewerkschaftliche Unterstützung in der Tat oft effektiver.

Wie lautet die Bilanz?

Trotz der wenigen und kaum verbindlichen Vorschriften und fehlender Sanktionen wird die Tragweite des Mitwirkungsgesetzes durch einige den Arbeitgeberkreisen nahestehende Jurist:innen weiter geschwächt. Sie postulieren, dass der Arbeitgeber nicht begründen muss, weshalb er einen Vorschlag der Personalvertretung ablehnt, was gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstösst. Andere möchten einen Begriff des Amtsgeheimnisses durchsetzen, der dermassen absolut ist, dass er die Tätigkeit der Vertretungen selbst infrage stellt, indem er sie dem guten Willen des Arbeitgebers unterwirft.

Das Mitwirkungsgesetz hat einige Vorteile. So kann eine Gewerkschaft die Verletzung von Mitwirkungsrechten gerichtlich feststellen lassen, was die Ausübung individueller Rechte erheblich vereinfacht, insbesondere im Falle einer ungerechtfertigten Massenentlassung. Sie hat auch den Vorzug, dass es sie gibt und man auf diesem Mindestsockel aufbauen kann. Dazu bedarf es jedoch eines Kräfteverhältnisses und einer Mobilisierung der betroffenen Arbeitnehmenden – eine Methode, die im Übrigen in allen Situationen wirksam ist.

Jean Christophe Schwaab, Dr. iur., ist ehemaliger SGB-Zentralsekretär und Autor mehrerer Bücher über Arbeitsrecht.