Auf den Spuren von …
Sophie Aymon, erste Kapitänin der CGN
Am 28. März wurde Sophie Aymon vereidigt. Das war ein historischer Moment, denn als erste Frau hat sie bei der Genfersee-Schifffahrtsgesellschaft (CGN) in deren 151-jährigen Geschichte den speziellen Kapitänsgrad erreicht. Es ist der Höhepunkt ihrer langen Karriere bei der CGN, die 2002 begann.
Sophie Aymon ist sichtlich bewegt und glücklich, als sie das Abzeichen und die Mütze als Schiffsführerin erhält. Die 44-jährige Walliserin ist sich bewusst, dies ist «ein historischer Moment» und ein neues Kapitel in der Geschichte der CGN (Compagnie Générale de Navigation sur le Lac Léman) beginnt: «Ich bin sehr stolz darüber, für mich und für die Frauen allgemein. Der Abschluss ist eine Genugtuung. Es ist Herz erwärmend, dass meine Familie, Freundinnen, Freunde und Kollegen hier sind. Es ist ein schöner und besonderer Tag.»
Sie zieht Bilanz über den zurückgelegten Weg und die neuen Verpflichtungen, die sie erwarten. Sobald sie das Schiff betritt, ist sie «für alles verantwortlich: fürs Schiff, für die Besatzung, für das Personal im Restaurant und für die Reisenden sowie für die Umwelt. Man ist alleiniger Chef an Bord», hält sie fest. Sophie weiss, was sie vom Leben erwartet, und sagt es auch klar – so auch, was ihre Mütze betrifft. «Da die Frauen keine Kopfbedeckung haben und mir die Mütze der Männer nicht passt, haben wir eine Alternative gefunden. Ein Dreispitz. Das ist derselbe, den die Frauen bei der französischen Marine tragen», erklärt sie. Seit sie vor 22 Jahren bei der CGN begonnen hat, träumte sie davon, Kapitänin zu werden, «aber eher so zum Spass, da es ja keine gab». Die ganze Geschichte geht allerdings auf einen anderen Traum zurück, der sich bis heute nicht erfüllt hat.
Sie verbringt ihre ganze Kindheit im Wallis, in Martigny. Mit 15 Jahren überlegt sie sich, was aus ihr werden soll: Tierärztin, Briefträgerin, Archäologin? Sie absolviert eine kaufmännische Ausbildung mit Berufsmatur. Mit dem Abschluss in der Tasche träumt sie von einer Reise durch Australien. Sie sucht sich eine Schule aus und bereitet ihre Unterlagen vor. Zur Finanzierung braucht sie einen Sommerjob.
Nach einem misslungenen Versuch bei Aquaparc erfährt sie von ihrer Schwester, bei der sie in Le Bouveret wohnt, dass sich der dortige Kassier der CGN verletzt hat und die Ein- und Ausstiege nicht mehr machen kann. So verbringt sie den Sommer damit, die Stege zwischen Quai und Schiff zu positionieren. Ihr gefällt diese Welt und sie versteht sich gut mit den Kollegen. Sie raten ihr, sich für die Ausbildung als Matrosin zu bewerben. Nun ist es kein Thema mehr, ans andere Ende der Welt zu reisen. «Ich sage gerne, dass die CGN zu meinem Australien geworden ist. Obwohl ich seither viel gereist bin, bin ich nie dort gewesen. Ich wurde für die Saison 2002 angestellt.» Um das Schiff führen zu dürfen, muss man ans Steuer können, aber es war eine Stelle an der Kasse frei. Sophie arbeitet sich langsam hoch, wird Kassenverantwortliche. Doch nach gut zehn Jahren will sie ans Steuer. «Schliesslich war ich deshalb gekommen. Die Schiffsführer unterstützten mich, und 2014 stimmte die Direktion zu. Ich begann wieder von vorn. 2015 machte ich meine ersten Landungen.»
Zwar hatte die CGN seit rund 30 Jahren Frauen auf der Brücke und in den Häfen, aber Sophie ist die erste Kapitänin, die vereidigt wird. Dies nach sieben Jahren Ausbildung, in denen sie die Schiffe, die Anlegestellen und alles bei jedem Wetter kennenlernen musste. Ende 2020 bewirbt sie sich und legt alle nötigen Prüfungen ab.
Manchmal muss sie am Morgen sehr früh beginnen. Sie steht um 2.30 Uhr auf, um den Dienst um 3.50 Uhr anzutreten: «Manchmal ist es etwas hart! Aber dann kommt der Sonnenaufgang und man weiss, dass es sich gelohnt hat. Einen Raddampfer zu steuern ist etwas Aussergewöhnliches. Das ist reinste Mechanik. Wir sind weltweit nur wenige, die das machen.» In diesem Beruf ist es schwierig, ein Familien- und Sozialleben zu haben. «Im Sommer arbeiten wir in der Regel zwei Wochen und haben dann eine Woche frei. Es gibt viele touristische Fahrten am Abend. Zwei Wochen lang hast du praktisch keinen freien Abend. Vom Sozialen her ist es nicht die einfachste Arbeit.»
Im Winter gibt es weniger touristische Fahrten. Seit 2011 unterstützt Sophie mit ihrer KV- Ausbildung den Einkauf der CGN und arbeitet auch im Lager: «Da habe ich geregelte Arbeitszeiten, freie Wochenenden und Abende.» Sie kümmert sich um den Eingang, die Lagerung und die Verteilung des Verbrauchsmaterials. «Wir sind eine gute kleine Truppe. Wenn die Post alle diese Pakete bringt, bin ich im siebten Himmel», sagt sie, die von einer Lehre bei der Post träumte.
Die Gewerkschaft? «Ich bin über Patrick Clot dazugekommen, Mechaniker und damals Sektionspräsident. Ich fragte ihn, worum es geht. Er sagte mir, dass sie die erkämpften Rechte verteidigen, sich um das Wohlbefinden der Kolleginnen und Kollegen kümmern und versuchen muss, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Darauf fragte ich ihn, weshalb nicht mehr Leute dabei sind. Die Gewerkschaft ist nötig, weil sie Leitplanken setzt und die Leitung daran erinnert, dass sie ihren Zielen entsprechende personelle Ressourcen braucht. Bei der Erneuerung des GAV und des Lohnsystems hat die Gewerkschaft gearbeitet wie verrückt», sagt sie dankbar.
In ihrer Freizeit geht Sophie gerne in den Bergen wandern, fotografiert und sucht Pilze. Sie hat wieder angefangen zu reisen. Wer weiss, ob sie nicht doch noch einmal bei den Kängurus landet ...
Yves Sancey