Zukunft des Schienengüterverkehrs
SBB Cargo: Aufwärtsstrategie oder Kaputtsparen?
Unter diesem provokativen Titel diskutierten am 3. Oktober am Sitz von SBB Cargo in Olten Alexander Muhm, Leiter SBB Cargo, und Gewerkschaftssekretär Philipp Hadorn, Leiter Team Cargo beim SEV, über die Zukunft der Gütertochter der SBB und des Einzelwagenladungsverkehrs (EWLV).
Organisiert wurde das Podium vom SEV-Unterverband AS im Personalrestaurant des Aareparks. Obwohl etwas kurzfristig angekündigt, folgten gut 40 Kolleg:innen auch von anderen Standorten der offen und ehrlich geführten Diskussion, die der Bahnjournalist Peter Moor moderierte, und hatten viele Fragen.
Reorganisation und Bundeshilfen
Das Thema ist aktuell, weil zurzeit bei SBB Cargo ein 45-köpfiges Team die Reorganisation «G-enesis» ausarbeitet, die effizientere Abläufe und eine Kosteneinsparung von 60 Mio. Franken pro Jahr anstrebt, wie Muhm bestätigte. Und weil das Parlament gerade über die Revision des Gütertransportgesetzes debattiert. Damit sollen Anbieterinnen des EWLV – also vor allem SBB Cargo – auf acht Jahre befristet Betriebsbeiträge erhalten. 2026 bis 2029 sind dafür 260 Mio. budgetiert, d. h. rund 65 Mio. pro Jahr. Zusätzlich will der Bundesrat die Einführung der digitalen automatischen Kupplung (DAK) ab 2026 bis 2032 mit 180 Mio. unterstützen. Unbefristet sind ab 2026 Umschlags- und Verladebeiträge für Betreiber von Verladeanlagen von jährlich 50 Mio. (statt 25 wie bisher) geplant. Hinzu kommen jährlich maximal 10 Mio. (statt 6 wie bisher) für ungedeckte Kosten von Angeboten im Gütertransport, die von Kantonen bestellt werden. All diese Hilfen sollen aus dem Anteil des Bundes am Ertrag der Schwerverkehrsabgabe (LSVA) finanziert werden, der sonst in den Bahninfrastrukturfonds (BIF) fliesst. Der Ständerat ist am 24. September dem Bundesrat weitgehend gefolgt, doch der Nationalrat muss im Dezember noch zustimmen.
Ziel Eigenwirtschaftlichkeit
Alexander Muhm betonte, dass der Bundesrat den EWLV nicht unbefristet als Service public abgelten will, sondern eine Transformation des EWLV finanzieren will, um ihn reinvestitionsfähig zu machen. In der Eintretensdebatte im Ständerat habe aber eigentlich die Einsicht vorgeherrscht, dass der EWLV nicht eigenwirtschaftlich betrieben werden kann, rief Peter Moor in Erinnerung. «Dieses System funktioniert ohne Subventionen nicht», zitierte Moor den Aargauer Ständerat Thierry Burkart, Präsident der Schweizer FDP und des Nutzfahrzeugverbands Astag. Doch Philipp Hadorn bestätigte: «Die Betriebsbeiträge sind zwar sehr positiv, aber nur für eine Übergangsphase gedacht.» Leider – obwohl bisher schon mit mehreren Reorganisationen vergeblich versucht worden ist, den EWLV eigenwirtschaftlich zu machen, hielt Hadorn fest und unterstrich: «SBB Cargo hat jetzt wieder etwas in Aussicht gestellt, das leider kaum erfüllt werden kann. Das finde ich eine ganz schwierige Ausgangslage. Das Risiko ist gross, dass durch weiteres Verkleinern etwas Grundlegendes kaputtgeht für die Verlagerung und den Güterverkehr.»
Drei Elemente
«Wir können mit drei Elementen die Reinvestitionsfähigkeit erreichen», erklärte Muhm. «Das erste Element ist Partnerschaft mit unseren Kunden. Dort geht es auch um Preiserhöhungen. Das zweite ist: Veränderung des Produktionsmodells. Dazu sagt Philipp Hadorn: ‹Ihr macht es zu klein!› Wir (SBB Cargo) sagen: ‹Wir optimieren es, um die Kosten zu senken.› Das dritte Element ist Investition in Technologie. Uns fehlen 2,4 Milliarden Investment. Dort haben wir jetzt vor Kurzem die ersten Millionen gesprochen, um neue Streckenloks zu beschaffen. Investition ist notwendig, um die Betriebskosten zu senken.» Muhm scherzte, er fühle sich manchmal wie ein Museumsdirektor, denn das Rollmaterial sei überaltert – und abgeschrieben: «Normalerweise ist das der Zeitpunkt, wo man richtig verdient, und wir machen jedes Jahr 90 Millionen Minus. Das ist aktuell unser strukturelles Defizit.» «Also wenn ich das richtig verstehe: Auch wenn Sie alles richtig machen, machen Sie 90 Millionen zu wenig Einnahmen?», fragte Peter Moor. «Ja», bestätigte Muhm, «denn insbesondere decken die aktuellen Preise die Produktionskosten nicht nachhaltig.» Der Bund sei zwar bereit, die Defizite vorläufig weiter zu tragen, bis das Gütertransportgesetz greift, wolle aber keine dauerhafte Wirtschaftsförderung mittels EWLV. «Der Bund hat gesagt: Es gibt Unternehmen, die machen pro Jahr 2,8 Milliarden Gewinne, warum soll denn die SBB diese mit 3 bis 6 Millionen subventionieren?» Viele Firmen könnten sich Preiserhöhungen leisten und nutzten die Bahn opportunistisch. «Was ist ihre Gegenleistung, wenn die Kunden mehr bezahlen müssen?» fragte Peter Moor. «Unsere Gegenleistung ist, dass es uns morgen noch gibt», antwortete Muhm. «Es tut mir leid, viel mehr können wir nicht.» Die Diskussion mit den Kunden betreffe nicht die Qualität, Einzelfälle ausgenommen, denn SBB Cargo sei z. B. sehr pünktlich. Aber viele Kunden wollten einfach nicht mehr bezahlen. Der Bund investiere eine halbe Milliarde in den nächsten fünf Jahren. SBB Cargo müsse 60 Millionen Effizienzsteigerung bringen, und die Kunden müssten 50 Mio. pro Jahr beitragen. «Und die werden das wahrscheinlich auch bringen, die können rechnen und wissen, was sie von uns haben.» Muhm rechnet aber mit rund zehn Prozent Volumenverlust durch Verlagerungen auf die Strasse.
Ungesunder Volumenverlust
«Ein solcher Volumenverlust ist nicht gesund für die Zukunft des Güterverkehrs», warnte Philipp Hadorn. Natürlich könnten Preise angepasst und Bedienpunkte hinterfragt werden, wenn dort kaum mehr etwas abzuholen ist. «Aber es kann sich lohnen, weiter dazu bereit zu sein, auf Abruf dorthin zu fahren, ohne dass ein kleiner Kunde gleich die vollen Kosten tragen muss, indem das jemand anderes finanziert.» Es gelte beim EWLV eine kritische Masse von Volumen aufrechtzuerhalten, damit das System finanzierbar bleibt. «Und grundsätzlich steigen die Volumen im Güterverkehr: An diesem Kuchen muss die Bahn angemessen teilhaben!» Auch zum Schutz von Umwelt und Bevölkerung und zur Entlastung der Strasse.
Personal bitte einbeziehen
Eine weitere eindringliche Bitte von Philipp Hadorn und von Teilnehmenden, die Fragen stellten, war: Bitte bezieht bei der Reorganisation die Mitarbeitenden wirklich ein, berücksichtigt deren Einwände und profitiert von deren Detailkenntnis und Erfahrung!
Markus Fischer
Philipp Hadorn antwortet
«G-enesis» allein bringt Güter nicht auf die Bahn
Ist nach den vielen Reorganisationen von SBB Cargo in den letzten Jahren die komplette Umkrempelung des Unternehmens mit «G-enesis» wirklich sinnvoll und zielführend?
Weiterentwicklungen sind per se nichts Negatives. Veränderungen sind normale Prozesse in Wirtschaft und Gesellschaft. Fragwürdig wird es, wenn eine Transformation die andere ablöst und Prozesse neu definiert werden, bevor vorgängige Reorganisationen überhaupt abgeschlossen, geschweige denn sauber evaluiert worden sind. Veränderungen sollen kontinuierlich erfolgen und nicht abhängig vom Elan eines einzelnen CEO, dessen Stuhl während der Umsetzung meist bereits wieder einer Nachfolge übergeben wird. So geschehen bei SBB Cargo, und zwar mehrfach.
Im Moment scheint es mir wichtig, Politik, Mitarbeitenden und Kunden «reinen Wein» einzuschenken: SBB Cargo kann und will auch in Zukunft die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene vorantreiben, auch mit Einzelwagenladungsverkehr. Nebst neuem Rollmaterial braucht es dafür weitere Investitionen – digitale und analoge – und einen Gesetzgeber und Kunden, die Warentransport auf die Schiene bringen, bringen müssen.
SBB Cargo erbringt mit den Mitarbeitenden den Beweis, dass die Güterverlagerung auf die Schiene effektiv möglich ist. Und weil dies ein wichtiger Service public ist, hat die Finanzierung wie bei allem Service public zu erfolgen: zu einem Teil durch die direkten Nutzniessenden, zum andern durch die öffentliche Hand. Nur so werden zukünftige Generationen vor Verkehrschaos und Klimakollaps bewahrt!
Philipp Hadorn ist Gewerkschaftssekretär und leitet im SEV unter anderem das Team Güterverkehr.
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