VPT-Branchentagung Bahn&Touristik
Digitalisierung: Personal braucht Unterstützung
Von allen grossen und vielen kleineren Bahnen kamen am 3. März 70 Milizgewerkschafter/innen nach Olten an die jährliche Tagung der Branche Bahn und Touristik, des SEV-Unterverbands VPT (Personal privater Transportunternehmen). Hauptthema war die Digitalisierung, doch zur Sprache kamen auch die SEV-Mobilisierungen im 2020 – z.B. für die Fahrvergünstigungen des Personals (FVP) – die Mitgliederwerbung und die SEV-Jugendkommission.
«70 Teilnehmende, das ist phänomenal!», beglückwünschte VPT-Zentralpräsident Gilbert D’Alessandro die Kolleg/innen des Branchenvorstands, welche die Tagung organisierten. Der Branchenvorstand wurde für die Jahre 2021–24 neu gewählt: siehe Foto.
Ein Thema, das sich von selber einlud, war das Coronavirus. «Wer hätte vor zwei Wochen gedacht, dass deswegen viele Veranstaltungen abgesagt werden müssen», sagte Mitorganisator Laurent Juillerat. «Viele von euch leben mit einem besonderen Ansteckungsrisiko: Zug- und Schalterpersonal, Mitarbeitende der Bahnrestauration usw. Betroffen sind aber letztlich alle, und die Folgen der Epidemie sind nicht absehbar.» SEV-Vizepräsident Christian Fankhauser gestand: «Wie die Politiker leide auch ich unter dem Verbot, beim Begrüssen die Hand zu geben, das ist für uns ungewohnt…»
FVP sind Teil von Lohn und Rente
Christian Fankhauser rief alle auf, weiter Unterschriften für die SEV-Petition «Hände weg vom FVP» zu sammeln, um eine weitere Verschlechterung der Fahrvergünstigungen des Personals zu verhindern. «Das Bundesamt für Verkehr will angeblich nur mehr ‹Transparenz›, und der Verband öffentlicher Verkehr beteuert, er müsse handeln. Dieses Schwarzpeterspiel ist inakzeptabel!» SEV-Präsident Giorgio Tuti sieht im Angriff auf die FVP einen Wortbruch: «Die Einführung der FVP in den 90er-Jahren gründete auf folgender Abmachung: Das Verkehrspersonal verzichtet auf etwas Lohn und erhält dafür freie Fahrt auf dem öV-Netz bis zum Lebensende. Weniger Lohn heisst weniger Rente. Darum sind die FVP auch ein Bestandteil der Rente der Pensionierten und können nicht einfach gestrichen werden!»
Digitalisierung muss allen dienen
«Was uns die Digitalisierung und Roboterisierung alles bringen werden, wissen wir heute nicht. Sicher ist: der technische Fortschritt lässt sich nicht aufhalten. Aber es gilt dafür zu sorgen, dass er den Menschen dient statt schadet», leitete Christian Fankhauser das Tagungsthema ein. Zum Beispiel wären 400 Meter lange Geister-IC ohne Zug- und Lokpersonal sicher irgendwann machbar, für viele Reisende aber ein Gräuel. Auch in den selbstfahrenden Shuttle-Bussen gibt es vorläufig – wie früher in den Fahrstühlen – «Grooms», die im Notfall als Co-Piloten eingreifen können, weil sonst viele Leute nicht einsteigen würden. «Geisterbahnhöfe» und «Geistersupermärkte» sind auch nicht beliebt, denn wenn Mitarbeitende da sind, fühlt man sich sicherer. Die Mensch-zu-Mensch-Kommunikation wird weiterhin geschätzt. Sogar Ikea will jetzt an Bahnhöfen Läden eröffnen, während die Bahnen dort weiterhin Schalter schliessen… Doch sie scheinen allmählich zu merken, dass persönliche Beratung für viele Kund/innen nötig und wichtig bleibt, auch wenn die SBB letztes Jahr 52,8% der Billette über digitale Kanäle (Internet) verkaufte und ca. 38% über Automaten. Die SBB setzt auch wieder mehr auf menschliche Zugdurchsagen statt Computerstimmen.
Kurz: Damit der öffentliche Verkehr attraktiv bleibt, werden weiterhin Mitarbeitende gebraucht. Aber die Berufsbilder verändern sich, Aufgaben fallen weg, wie z.B. das mühsame Kuppeln der Wagen von Hand. Und neue Aufgaben, wie das ganze Handling der digitalen Hilfsmittel, verlangen neue Fähigkeiten. Die Hauptforderungen der Gewerkschaften sind:
- Contrat social bei allen Unternehmen wie bei der SBB: Niemand darf wegen der Digitalisierung entlassen werden!
- Branchenlösung für die Weiterbildung.
- Produktivitätsgewinne sind ans Personal weiterzugeben.
Für VPT-Zentralpräsident Gilbert D’Alessandro muss der Staat mit Vorschriften an die Unternehmen dafür sorgen, dass sie diese Forderungen erfüllen. Erwähnt wurde auch das Recht auf Nichterreichbarkeit in der Freizeit.
Fehlende Unterstützung
Die Tagungsteilnehmenden hatten mittels Aufklebens von Punkten an einer Pinwand folgende drei Fragen zu beantworten:
- «Dein Arbeitsplatz wurde sicher schon verändert. Wie empfindest du diese Änderungen?» – Drei Viertel antworteten «positiv und negativ», ein Viertel «positiv» und ein Kollege «negativ». («Weil mein Unternehmen noch nichts digitalisiert hat», erklärte er.)
- «Glaubst du, dass es deinen Arbeitsplatz in drei bis fünf Jahren noch gibt und dass du fähig bist, diese Arbeit zu erledigen?» – Sieben Achtel antworteten «ja», ein Achtel «vielleicht» und ein Einziger «nein».
- «Unterstützt dich dein Arbeitgeber beim Erlernen der digitalen Neuerungen?» – Zwei Fünftel antworteten «teilweise», ein Fünftel «ja» und ein Fünftel «nein». Ein Kollege nannte als Beispiel, dass sein Unternehmen den Reiseverkäufer/innen keine Smartphones oder Tablets zur Verfügung stellt, aber von ihnen erwartet, dass sie ein Handy haben und alle nötigen Apps beherrschen, um die Kundschaft beraten zu können…
Christian Fankhauser fasste zusammen: «Die Arbeitgeber müssen ihre Mitarbeitenden bei der Bewältigung der Digitalisierung besser unterstützen, vor allem bei der Weiterbildung. Es gibt viel zu tun, packen wir es an!»
Markus Fischer
Jugendkommission
SEV-Gewerkschaftssekretärin Xenja Widmer stellte die SEV-Jugendkommission vor: Diese hat aktuell 25 Mitglieder, darunter eines vom VPT. Ziel wären mind. zwei pro Unterverband. Interessierte melden sich unter . Hauptzweck der Juko ist das Werben und Vernetzen junger Mitglieder. «Aus aktiven Juko-Mitgliedern werden aktive Sektionsmitglieder», sagte Xenja Widmer.
2020 organisiert die Juko 5 Freizeitaktivitäten und 6 Sitzungen mit jeweils einem Bildungsteil am Nachmittag: Programm unter www.sev-young.ch. Auch will die Juko u. a. die Hälfte aller «Junior Business Teams» im öV besuchen und auf Instagram (instagram.com/sevyoung) mind. 500 Follower gewinnen. FB: facebook.com/sev.jugend
Seit 1991 haben alle Arbeitnehmer/innen und Lernenden unter 30 Jahren ein Anrecht auf fünf Tage Bildungsurlaub für freiwillige Jugendarbeit (OR-Artikel 329e). Dieser ist zwei Monate im Voraus mit einem Formular zu beantragen. Download unter www.sev-young.ch.
Personalrekrutierung und Mitgliederwerbung
Bei vielen Bahnen gehen in den nächsten fünf bis acht Jahren rund ein Drittel der Mitarbeitenden in Pension. Um dieses Demografieproblem zu lösen, müssen die Unternehmen in kurzer Zeit viele neue Mitarbeitende rekrutieren. «Das schaffen sie nur, wenn ihre Arbeits- und Anstellungsbedingungen und Berufe attraktiv sind», unterstrich SEV-Vizepräsident Christian Fankhauser. «Das heisst konkret: bessere Löhne, vor allem für Schichtarbeitende mit Wochenend- und Nachtarbeit, und mehr Lebensqualität dank kürzerer Dienstschichten, kompakter Arbeitstage, Fünf-Tage-Woche usw.»
Der SEV muss viele neue Mitarbeitende werben, damit sein Organisationsgrad nicht sinkt. Sonst wird es schwierig, die Qualität der GAV zu halten und verbessern. Alle Mitglieder sind aufgerufen, Arbeitskolleg/innen zu werben. Und die Sektionen werben bei Aktionen aller Art, mit Unterstützung der SEV-Profis und der Unterverbände.
VPT-Werbeaktion 2020: Der VPT unterstützt Aktionen seiner Sektionen auch 2020 mit einem Beitrag von mindestens 75 bis maximal 1000 Franken, berechnet nach der Formel «Anzahl Sektionsmitglieder am 1.1.2020 x 2 Franken», wie der VPT-Werbeverantwortliche René Schnegg erklärte. Um den Beitrag zu erhalten, ist die Aktion im Voraus an die Adresse zu melden. «Der VPT hat 2019 542 Neumitglieder geworben und damit die Zahl der berufstätigen Mitglieder leicht erhöht», freute sich Schnegg. «Doch weil die Zahl der Pensionierten zurückging, sank die Gesamtmitgliederzahl um 62 auf 10146. Jede der 60 VPT-Sektionen hat 2019 mindestens ein Neumitglied geworben, 2020 sollen es mindestens drei sein!»