Höhere Berufsbildung
Fachausweis bringt Mehrwert im Führerstand
Die Vorgeschichte war lang, aber letztlich erfolgreich: Ende letztes Jahr wurden die ersten eidgenössischen Fachausweise für Lokomotivführerinnen und Lokomotivführer vergeben. Sie bieten den Zugang zu weiterführenden Schulen und öffnen auch Türen im eigenen Unternehmen.
Soeben ist die Ausschreibung für die Berufsprüfung 2021 erfolgt. «Unterdessen sollte es sich unter den Kolleginnen und Kollegen herumgesprochen haben, dass es diese Zusatzausbildung gibt, weshalb wir mit mehr Anmeldungen rechnen als bei den ersten beiden Ausschreibungen», erklärt Felix Traber, Präsident der Prüfungskommission. Der SBB-Lokführer aus Zizers GR arbeitet zu 60 Prozent bei Cargo, zu 40 Prozent beim Personenverkehr. Er hat das Projekt geleitet, das schliesslich zur eidgenössisch anerkannten Berufsprüfung geführt hat. «Es brauchte mehrere Anläufe, bis wir eine Lösung gefunden haben, die dem Bund, den Bahnunternehmen und den Arbeitnehmerorganisationen gepasst hat», fasst er die Vorgeschichte zusammen.
Ein Aufwand, der sich lohnt
Wer die Prüfung absolvieren will, muss allerdings bereit sein, während rund einem Jahr einen beträchtlichen zusätzlichen Aufwand zu leisten. Hanny Weissmüller, Lokführerin aus St.Maurice und Mitglied des LPV-Zentralvorstands, vertritt die Gewerkschaften im Trägerverein der Prüfungsorganisation. Sie betont, dass das neben Beruf und Familie nicht ganz einfach ist: «Mit Schichtarbeit und den periodischen Prüfungen alle fünf Jahre sind wir alle schon stark ausgelastet. Aber ein Fachausweis, der neue Türen öffnet, ist den Aufwand wert.»
Die Gewerkschafterin erinnert daran, dass es viele Gründe gibt, weshalb jemand den Beruf nicht mehr ausüben kann und sich dann ohne irgendein anerkanntes Papier neu orientieren muss. Da lohne es sich, bereits einen Ausweis in der Hand zu haben, der zusätzliche Möglichkeiten biete. Ebenso wichtig sei jedoch, dass sich mit dem Fachausweis Türen im eigenen Unternehmen öffnen: «Er bringt gute Chancen, das Pensum zwischen der Fahrtätigkeit und Projektaufgaben aufzuteilen, was für viele von uns sehr interessant ist.»
Hier sind sich alle Beteiligten einig: Die eigentliche Lokführer/innen-Ausbildung ist anspruchsvoll; sie erfordert bereits einen Berufsabschluss oder die Matur, aber dennoch hat sie im schweizerischen Bildungssystem überhaupt keine Bedeutung. Die Berufsprüfung ändert das: Mit einem eidgenössischen Fachausweis kann ein Nachdiplomstudium an einer höheren Fachschule absolviert werden. Auch der Zugang zu diversen höheren Fachprüfungen ist gegeben. Zum Teil besteht die Möglichkeit, an einer Fachhochschule zugelassen zu werden oder ein CAS (Certificate of Advanced Studies) zu absolvieren.
Weiterbildung ist immer wichtiger
Felix Traber findet, es sei unabhängig vom Alter nützlich, die Prüfung zu absolvieren: «Man weiss nie, was im Leben noch kommt!» Bei der ersten Durchführung lag die Spannweite denn auch zwischen 23 und 58 Jahren, das Durchschnittsalter bei 37 Jahren. Aber natürlich sind es eher jüngere Lokführerinnen und Lokführer, die zur Prüfung antreten. «Diese Generation weiss, wie wichtig die laufende Weiterbildung ist, und sie weiss auch, wie wichtig heute ‹Papiere› im Berufsleben sind», ergänzt er.
Die Berufsprüfung für Lokführerinnen und Lokführer ist etwas Einzigartiges im schweizerischen Bildungssystem. Es geht nicht nochmals um Themen, die bereits an der BAV-Prüfung behandelt wurden. Wer die Prüfung absolvieren will, muss selbstständig einen sogenannten Reflexionsbericht verfassen. Dabei geht es um Fragen aus dem beruflichen Alltag, die vertieft beleuchtet werden sollen. Dieser Reflexionsbericht gilt als schriftliche Prüfung und ist dann auch das zentrale Thema der mündlichen Prüfung.
Tiefer hineinblicken
«Ich erlebe es nur selten, dass wir untereinander vertieft über Dinge reden, die uns bei der Arbeit beschäftigen. Die Reflexionsarbeit für die Prüfung gibt uns die Gelegenheit, dies für uns selbst zu tun», erläutert Hanny Weissmüller. Sie ist ein gutes Beispiel für eine heutige Berufskarriere: Erst mit 40 stieg sie in den Führerstand, davor hatte sie unter anderem einen Abschluss als Erwachsenenbildnerin gemacht. Ihr Blick auf die Situation ist also zusätzlich geschärft.
Im Vorstand des Vereins, der die Trägerschaft der Berufsprüfung ist, vertritt sie die Gewerkschaften. Geleitet wird der Verein von SBB-Urgestein Mani Haller, weiter sind BLS, die Vereinigung der Meterspur-Bahnen und der VöV darin vertreten. «Nur dank dieser Geschlossenheit hat es überhaupt geklappt, diese Prüfung zu realisieren», erläutert Traber. Der Bund hätte die Zulassung nicht gegeben, wenn nicht die Branche in ihrer ganzen Breite dahinter stände.
Hanny Weissmüller sieht ihre Aufgabe innerhalb der Organisation klar: «Ich muss die Kolleginnen und Kollegen vom Nutzen überzeugen, den der Fachausweis bringt.» Da passt es ganz gut, dass sie auch im SEV einen Schritt weiter geht: Im September wird sie voraussichtlich zur neuen Präsidentin des LPV gewählt.
Alle Infos zur Berufsprüfung für Lokomotivführerinnen und Lokomotivführer: vhbl-afsm.ch
Peter Moor
Vier Fragen an Hans-Ruedi Schürch, Zentralpräsident LPV
SEV-Zeitung: Die Berufsprüfung hat eine lange Vorgeschichte. Auch der SEV-Unterverband LPV hat sich immer wieder dafür eingesetzt, dass der Beruf im Bildungswesen seinen Platz findet. Ist dieses Ziel erreicht?
Hans-Ruedi Schürch: Ich denke schon. Der LPV hat schon vor etwa 15 Jahren einen Antrag der RhB-Kollegen zu diesem Thema behandelt, allerdings mit einer Forderung zugewartet.
Die neuen Generationen bleiben immer weniger bis zur Pensionierung auf dem Führerstand, und die Gefahr, aus medizinischen Gründen absteigen zu müssen, hat ebenfalls zugenommen. Auch ein Wiedereinstieg schon nach ein paar Jahren wird schwierig. Überall hier eröffnet uns der Fachausweis viele Möglichkeiten.
Was ist die Funktion des LPV im Trägerverein der Berufsprüfung?
Wir haben von Beginn an im Projekt mitgearbeitet, später mit einem Darlehen das Gründungskapital geäufnet, haben in unseren Reihen Kolleginnen und Kollegen für die Prüfungskommission gesucht und werden weiter ideell und werbend unterstützen.
Die Gewerkschaftsvertreterin im Vorstand, Hanny Weissmüller, sagt im Artikel, ihre Aufgabe sei es, die Kolleginnen und Kollegen vom Nutzen des Abschlusses zu überzeugen. Wird sie dabei vom LPV unterstützt?
Natürlich! Nachdem die ersten Fachausweise abgegeben werden konnten, erste Erfahrungen gemacht wurden und auch langsam sichtbar wird, welche FHS-Bereiche sich für uns öffnen, dürfte es noch einfacher sein, unsere Mitglieder dazu zu motivieren.
Nachdem dieser Meilenstein erreicht ist: Gibt es weitere Anliegen des LPV für die Aufwertung des Berufs?
Die Automatisierung und damit Assistenzsysteme werden unseren Beruf verändern. Es besteht die Gefahr, dass wir immer mehr überwachen und nur bei Gefahr eingreifen, und Kundendienst könnte zunehmend Teil unseres Berufsbildes werden. Die Herausforderung wird sein, den optimalen Automatisierungsgrad zu finden, um im Führerstand herausgefordert und wachsam zu bleiben und damit die Digitalisierung so unseren Beruf auf- statt abwertet.