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Ceneri-Basistunnel: Chance für die Bahn

Testfahrt im Ceneri-Basistunnel Anfang September. Foto: Ti-Press / Alessandro Crinari.

Am 4. September ist am Monte Ceneri der 15,4 Kilometer lange Basistunnel eingeweiht worden. Nach Versuchsfahrten mit kommerziellen Zügen soll am 13. Dezember der Normaltrieb beginnen. Was heisst das für Schweizer Güterbahnen und ihr Personal?

Im Personenverkehr verkürzt der Ceneri-Basistunnel (CBT) die Reise zwischen Zürich und Lugano um rund eine Viertelstunde auf knapp zwei Stunden. Die Fahrt von Zürich nach Mailand dauert noch drei Stunden 17 Minuten gegenüber bisher deri Stunden 40 Minuten. Zudem erhält der Kanton Tessin im Dreieck Bellinzona–Locarno–Lugano eine neue S-Bahn. Die Fahrzeit Lugano–Locarno sinkt durch die neue Direktverbindung von einer Stunde auf 30 Minuten.

Dass der CBT mit einem Güterzug als Erstzug eingeweiht wurde, erinnerte daran, dass die 1992 vom Schweizer Stimmvolk beschlossene Neue Eisenbahn-Alpentransversale (Neat) durch Gotthard und Lötschberg in erster Linie für den Güterverkehr gebaut wurde. «Die Flachbahn durch die Alpen ist das Herzstück des europäischen Güterverkehrskorridors Rotterdam–Genua. Sie dient dazu, Güter von der Strasse auf die Bahn zu bringen und stärkt so den Alpenschutz und die Verlagerungspolitik der Schweiz», so das Bundesamt für Verkehr zur Einweihung des CBT.

Neat vollendet, Flachbahn noch nicht perfekt

Seit Juni 2007 ist der Neat-Basistunnel durch den Lötschberg (34,6 km) in Betrieb, doch auf der Simplon-Südrampe bleiben Vorspannloks nötig. Am Gotthard können die Rampen zum Scheiteltunnel seit Dezember 2016 durch den 57 km langen Basistunnel umfahren werden. Nun fallen auch am Ceneri die grossen Aufstiege weg. Doch zwischen dem CBT-Südportal, wo die Neat endet, und Chiasso bleiben kürzere steile Aufstiege bestehen. Wann die Neat bis Chiasso verlängert wird, ist offen. Die Flachbahn existiert seit Dezember 2016 via Luino–Gallarate, doch gibt es vor allem am Bözberg weiterhin Gefälle von 10 bis 12 Promille.

Bahn wird konkurrenzfähigergegenüber der Strasse

Die SEV-Zeitung hat bei drei Güterbahnen nachgefragt, welche Vorteile ihnen der CBT bringt. «Er ist ein wichtiger Meilenstein für den Schienengüterverkehr», antwortet die SBB-Medienstelle für SBB Cargo. «Mit dem CBT wird die Neat in der Schweiz vollendet. Damit profitiert der internationale und nationale Schienengüterverkehr auf der Nord-Süd-Achse von mehr Kapazität, schnelleren Verbindungen und einer höheren Zuverlässigkeit.»

SBB Cargo International präzisiert: «Mit der Flachbahn können wir Züge mit über 2000 Tonnen durch die Schweizer Alpen fahren und gewinnen so bis zu 30% an Kapazität auf dem Zug, auch wenn auf bestimmten Teilstrecken noch eine zweite Lok notwendig ist. Kopfzerbrechen bereitet jedoch noch der nicht überall vollendete Ausbau für die 740 Meter langen Züge. Mit dem neu gewonnenen P400-Standard (= internationaler 4-Meter-Korridor, Anm. d. Red.) erhöhen wir unsere Marktmöglichkeit um 50%, da wir nun auch hochprofilige Trailer befördern können. Darin sehen wir grosses Potenzial für die Verlagerung von der Strasse auf die Schiene.»

Auch BLS Cargo schreibt: «Der 4-Meter-Korridor ist nun durchgehend via Gotthardachse vorhanden. Das ist eine zentrale Ergänzung zur Lötschbergachse, die bislang alleine als 4-Meter-Korridor ausgebaut war. Nun bestehen in der Schweiz diese wichtigen redundanten Achsen. Das hilft, vor allem bei Störungen oder Bauphasen, während derer Verkehr von der einen Achse auf die andere umgeleitet werden muss.»

Verkehrs- und Personalentwicklung noch offen

Bewirkt die Vollendung der Neat bei den Güterbahnen einen Stellenabbau, bedingt durch Einsparung von Vorspannloks und längeren Zügen? «Nein», antwortet für SBB Cargo die SBB-Medienstelle, «der Ressourcenbedarf orientiert sich am Markt, das heisst an der Nachfrage unserer Kunden und an den laufenden Weiterentwicklungen von SBB Cargo. Der Markt schwankt in der Regel. Aktuell ist er aufgrund von Covid19 und der konjunkturellen Situation rückläufig.»

Auf die Frage, ob SBB Cargo mittelfristig dank Mehrverkehr aufgrund besserer Konkurrenzfähigkeit gegenüber der Strasse Stellen aufbauen kann, antwortet die Medienstelle: «Unser Ressourcenbedarf orientiert sich wie gesagt an der Nachfrage unserer Kunden. Diese beurteilen Preis und Qualität. Nach wie vor sind die Strukturkosten zu hoch bei SBB Cargo. Dies ist ein wichtiger Punkt in Bezug auf die Konkurrenzfähigkeit zur Strasse. Wie alle marktorientierten Unternehmungen müssen auch wir marktfähige Leistungen erbringen. Um die Kosten nachhaltig zu gestalten, müssen wir vor allem die Arbeitsorganisation vereinfachen und die Auslastung steigern.»

SBB Cargo International schreibt: «Durch die Attraktivitätssteigerung sehen wir eher eine Stärkung der Gotthardachse und eine klare Stabilisierung unserer Depots in Basel und Bellinzona. Der Effekt von längeren Zügen kommt leider noch nicht zum Tragen, da an verschiedenen Stellen die Ausbauten noch nicht fertiggestellt sind. Insbesondere Deutschland hinkt hier den Zielen hinterher. (...) Unsere Konkurrenzfähigkeit wird sicherlich wachsen. Der Kostendruck ist jedoch immer noch immens, da der Dieselpreis nun mal tief und somit die Strasse günstig ist. Zudem bedarf es einiger Zeit, bis die Verlader ihre Konzepte (von der Strasse auf die Bahn) umstellen können.» Darum sei der potenzielle Stellenaufbau noch nicht abschätzbar.

Für BLS Cargo ist klar: «Es wird zu keinem Stellenabbau wegen der neuen Infrastrukturen kommen. Im Gegenteil: die allseits besprochene Knappheit an Lokführern ist wohlbekannt. (...) Steigen die Verkehrsvolumen, benötigen wir auch mehr Personal, vor allem Lokführer.»

Standortkonzept wird nur bei SBB Cargo überprüft

Von den drei Bahnen wollten wir zudem wissen, ob der CBT Änderungen in der betrieblichen Organisation bewirke, wie andere Depotstandorte oder Personalverschiebungen. «Nein, bei uns nicht», antwortet BLS Cargo. Auch SBB Cargo International winkt ab: «Nach aktuellem Stand der Verkehrskonzepte wird sich unser Standortkonzept in der Schweiz nicht ändern.»

SBB Cargo dagegen macht laut SBB-Medienstelle zurzeit eine Auslegeordnung, weshalb man sich derzeit nicht konkret dazu äussern könne. «U.a. vor dem Hintergrund des aktuellen Lokführermangels stehen Stellenaufhebungen nicht zur Diskussion», beruhigt die Medienstelle.

Markus Fischer
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Grenzüberschreitender Verkehr: Dumping verhindern

Die Neat ist gut für die Konkurrenzfähigkeit des Schienengüterverkehrs gegenüber der Strasse. Doch die verkürzten Fahrzeiten machen es heute auch möglich, dass ausländisches Lokpersonal in einer Tagestour durch die Schweiz hindurchfährt oder tief hinein und retour. Falls dies zu ausländischen Arbeitsbedingungen geschieht, sind Schweizer Bahnarbeitsplätze bedroht. «Diese Gefahr begann schon vor 15 Jahren konkrete Züge anzunehmen, weshalb der SEV damals lautstark forderte, dass auf Schweizer Schienen Schweizer Anstellungsbedingungen gelten müssen», ruft SEV-Präsident Giorgio Tuti in Erinnerung. «Auf massiven Druck des SEV intervenierte schliesslich Verkehrsminister Moritz Leuenberger bei den Schweizer Güterbahnen, und diese boten zu einer pragmatischen Lösung Hand: Lokpersonal ausländischer Depots darf bei ihnen nicht mehr Leistungen in der Schweiz fahren als Schweizer Lokpersonal im Ausland. Heute, wo die Neat vollendet ist, ist es erst recht wichtig, diese Regelung weiterzuführen, um Dumping zu verhindern – und zwar im Transit wie im Import/Export.»

Weiter erwartet Tuti vom Bundesamt für Verkehr als Aufsichtsbehörde, dass es mit genügend Kontrollen sowie scharfen Sanktionen im Fall von Verstössen gegen das Arbeitszeitgesetz und andere Vorschriften zum Schutz der Arbeits- und Anstellungsbedingungen dafür sorgt, dass sich alle Bahnen daran halten. «Kontrollieren müssen die Aufsichtsbehörden auch, dass bei grenzüberschreitenden Einsätzen von ausländischem Personal die branchenüblichen Anstellungsbedingungen in der Schweiz eingehalten werden», betont Tuti. «Diese Bedingungen sind endlich klar und unmissverständlich zu definieren. Dafür wäre ein Branchen-GAV Cargo hilfreich. Deshalb will der SEV mit den Güterbahnen einen solchen aushandeln.»

Markus Fischer

 

Falsche Sparlogik

Kommentar von Philipp Hadorn, Gewerkschaftssekretär SEV

Die Neat wurde für 24 Milliarden gebaut, um das Wachstum im Güterverkehr auf die Schiene zu bringen. Da überrascht die kleinkrämerische Antwort von SBB Cargo auf die Frage, ob dank Mehrverkehr Stellenaufbau möglich sei, schon: Die Entwicklung hänge von Markt und Kundennachfrage ab… Nachfrage kann, darf und muss auch stimuliert werden! Natürlich wollen die Kunden attraktive Preise, aber auch ein gutes Angebot. Dieses darf nicht unter kurzsichtiger Abbau- und Sparpolitik wegen Corona und illusorischer Eigenwirtschaftlichkeit leiden. Cargo darf die Chance nicht verpassen, nach der Coronakrise rasch wieder zu wachsen.

 

Ceneri-Basistunnel: Was ändert für das Personal?

Die Inbetriebnahme des Ceneri-Basistunnel am 13. Dezember bringt Änderungen. Was sagen dazu Kollegen von SBB Cargo International, BLS Cargo und SBB Cargo, Personenverkehr und Infrastruktur?

«Das BAV muss seine Aufgabe als Aufsichtsbehörde vollumfänglich wahrnehmen und die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes in Echtzeit kontrollieren.»
 

Thomas Giedemann, Präsident LPV Ticino, Lokführer bei SBB Cargo International: «Die Flachbahn durch die Alpen existiert schon seit 2016, denn seit der Inbetriebnahme des Gotthard-Basistunnels kann über Luino mit einer einzigen Lok Richtung Milano oder Novara gefahren werden. Die Eröffnung des Ceneri-Basistunnels bringt weitere Zeiteinsparungen, die es Güterbahnen ermöglichen, Dienstleistungen zu planen, die in die fünf Stunden Fahrzeit zwischen Chiasso und Basel hineinreichen, auch wenn nur auf einem kurzen Stück. Allerdings verunmöglicht der dichte Personenverkehr auf der Gotthardachse den Güterzügen ein rasches Durchqueren der Schweiz, ausser mitten in der Nacht. Aus diesem Grund besteht aus meiner Sicht das grösste Risiko darin, dass ausländisches Lokpersonal von Norden und Süden in die Schweiz hineinfährt, mit Lokführerwechsel in Bellinzona. Darum ist es von grösster Bedeutung, dass das Bundesamt für Verkehr seine Aufgabe als Aufsichtsbehörde vollumfänglich wahrnimmt und die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes in Echtzeit kontrolliert.»

Marcel Maurer, Sekretär im Zentralvorstand Unterverband LPV: «Für mich als Lokführer von BLS Cargo ändert vorerst kaum etwas. Ich fahre meistens zwischen Basel und Bellinzona hin und her, mit verspäteten Zügen manchmal auch nur bis Goldau. Der CBT verkürzt für meine Kollegen vom Depot Bellinzona die Fahrzeit Richtung Chiasso. Doch unsere Transitzüge verkehren wohl weiterhin über die flachere Linie via Luino–Gallarate. BLS Cargo will zwischen Nordsee und Norditalien möglichst mit derselben Lok ohne Doppeltraktion fahren. Bei uns in Basel fahren einige Kollegen mehr oder weniger regelmässig nach Deutschland. Umgekehrt fahren zurzeit kaum deutsche Kollegen für BLS Cargo in die Schweiz, und am Gotthard auch keine italienischen Kollegen. Jedoch müssen wir da schon wachsam sein, denn für nichts hat man die Sprachanforderungen nicht geändert: deutsche Sprachkenntnisse reichen heute bis Bellinzona und italienische bis Goldau…»

Beat Kieliger, Koordinator Cargo im Zentralvorstand Unterverband LPV: «Der Ceneri-Basistunnel darf nicht zum Anlass genommen werden, das Cargo-Depot Goldau zu schliessen. Wir produzieren von der Mitte der Schweiz aus zwischen Chiasso und Basel, Solothurn Rbl und Buchs, sehr erfolgreich nach Singen und sogar nach Mannheim. Beim Unterbruch in Rastatt trug unser Depot wesentlich dazu bei, den Verkehr am Laufen zu halten. Auch unsere Zusammenarbeit mit SBB Cargo International macht weiterhin Sinn. Zudem stammen viele der ca. 50 Lokführer in Goldau aus dem ehemaligen Cargo-Depot Erstfeld und wollen nicht nach Zürich oder Basel wechseln. Manche könnten zu anderen Bahnen abspringen, was bei diesem extremen Lokführermangel bei der SBB keinen Sinn macht. Wenig überzeugend ist das Argument seitens Infrastruktur, dass ein Lokführerwechsel von ca. 5 Minuten in Goldau den Verkehr verzögert, denn viele Züge müssen vor dem Gotthard-Basistunnel eh warten. Auch stimmt es nicht, dass im Raum Goldau Gleise zum Überholenlassen anderer Züge fehlen, zumal vorläufig kaum viele 750-Meter-Züge fahren werden. Zumindest Deutschland ist noch lange nicht bereit dazu. Ich finde es recht zynisch, wegen drei Wagen mehr in wenigen Güterzügen 50 verdiente Kollegen so vor den Kopf zu stossen. Der Ausbau des Personenverkehrs im Raum Bellinzona ist sicher zu begrüssen, doch müssen genug Trassen für den Güterverkehr freibleiben.»

«Das zuständige Personal wird pro Woche zwei Nachtschichten ausschliesslich im Tunnel zu leisten haben. Damit steigt die psychische und physische Belastung.»
 

Davide Perini, Sektion SEV-BAU Ticino, technischer Leiter Sicherungsanlagen und Störungsmanager bei SBB Infrastruktur: «Für den ordentlichen Unterhalt und die Behebung von Störungen an der bahntechnischen Anlagen im Ceneri-Basistunnel (CBT) ist das Personal des Einsatzperimeters Giubiasco von SBB Infrastruktur zuständig. Die Anlagen entsprechen jenen, die im Gotthard-Basistunnel (GBT) bereits in Betrieb sind. Was die Arbeitsbedingungen betrifft, wird zuständige Personal pro Woche zwei Nachtschichten ausschliesslich im Tunnel zu leisten haben. Damit steigt die psychische und physische Belastung erheblich. Bezüglich Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz gibt es klar definierte Protokolle, doch wird im Betrieb zu prüfen sein, ob diese unter realen Bedingungen ihren Zweck erfüllen. Denn die Realität entspricht nicht immer der Simulation in der Testphase, wie sich im GBT gezeigt hat. Die effektiven Arbeitsbedingungen werden strengstens überwacht werden müssen, auch und vor allem beim Personal privater Firmen.»

Marco Belloli, Präsident ZPV Ticino:«Der CBT hat Auswirkungen auf unsere tägliche Arbeit, zusammen mit dem Ende der Baustelle zwischen Goldau und Walchwil, dem Wegfall des Halts in Chiasso bei einigen EC-Zügen sowie dem SOB-Angebot auf der Gotthard-Bergstrecke. Mit den Zeitgewinnen steigt die Produktivität des Zugpersonals: Es kann künftig auch vom Depot Chiasso aus an einem Tag zweimal nach Zürich oder Luzern fahren. Das wird je nach persönlichen Präferenzen verschieden beurteilt, ich selber finde es wenig attraktiv. Neben genügend und gutem Rollmaterial erwartet die Kundschaft auch genügend Kundenbegleiter/innen. Mit dem CBT wird es zudem mehr Regionalzüge geben, und damit mehr Stichkontrollen. Bei der Dienstplanung müssen die Verantwortlichen auf einen guten Mix achten, damit die Arbeit des Zugpersonals auch künftig interessant ist.»

Markus Fischer, Françoise Gehring, Ferruccio C. Noto