Frauenstreik
Die lila Welle kommt
Farbige Laternen, Lampions, Fackeln: Der Helvetiaplatz war bunt in Beschlag genommen von Frauen und Männern jeden Alters, bereit für den Umzug durch die Zürcher Strassen, für die Frauenrechte, gegen jede Form von Rassismus und Ausgrenzung, für eine offene, gerechte und solidarische Welt. Von einem kleinen Podest aus ergingen Appelle gegen Diskriminierungen, deren Opfer Frauen und Angehörige der LGBTQ-Gemeinschaft sind. Verurteilt wurden alle Formen von Menschenrechtsverletzungen und von Gewalt, die in den allermeisten Fällen Frauen trifft. Vor allem aber fiel in Zürich der Startschuss des Jahres der Frauen. Einer der Höhepunkte wird der Frauenstreik am 14. Juni sein. Mit dabei waren auch Mitglieder der Schülerstreikbewegung, die sich von der schwedischen Aktivistin Greta Thunberg zum Protest gegen die Klimapolitik haben inspirieren lassen. Auch verschiedene Gruppierungen der Migrationsbewegung nahmen am Umzug teil.
Der Schlachtruf «Make feminism a threat again» (Lass den Feminismus wieder eine Bedrohung sein) – in Anlehnung an Trumps «Make America great again» – stand als Überschrift auf einem der Flugblätter, die in Zürich verteilt wurden. Das Flugblatt rief zur Erneuerung der weltweiten Frauenbewegung auf. Tatsächlich sind die Frauen in vielen Teilen der Welt mit neuem Schwung und neuer Kraft zurück auf die Bühne gekommen. Als Folge der #Metoo-Bewegung wird die Stimme der Frauen wieder frei gehört, und «die andere Hälfte des Himmels» ist entschlossen unterwegs, um den öffentlichen Raum zu erobern. Auch in der Schweiz haben die Frauen weiter an Kraft gewonnen und lassen sich immer deutlicher hören. Denn selbst in der Schweiz gehören Diskriminierung und Ungleichheit zum Alltag. Der neue Schwung zeigt sich über das ganze Land verteilt; neue feministische Gruppen sind entstanden und machen auf sich aufmerksam. Sie bringen eine neue Tonalität in die Diskussion um die Bedingungen der Frauen und gehen voran mit alter Kraft und neuen Forderungen. Es sind unabhängige Gemeinschaften und Arbeitsgruppen, die die Anliegen der Frauen auf verschiedene Art und mit vielfältigen Ideen und Empfindungen vorbringen. Die Vielfalt macht den Reichtum dieser Bewegung aus, die sich auf den Frauenstreik vom 14. Juni 2019 hinbewegt. Dieser wurde am letzten Frauenkongress des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes im Januar 2018 lanciert, aufgrund eines Antrags der Gewerkschaft VPOD, der von den Delegierten einstimmig angenommen wurde.
Eine nationale Koordinationsstelle ist seit Monaten aktiv, um die Ideen zusammenzuführen. Ein erstes Ergebnis ist das «Manifest für den feministischen Streik/Frauen*streik am 14. Juni 2019». Das programmatische Manifest führt in 19 Punkten die Gründe aus, weshalb die Frauen zu Hause wie am Arbeitsplatz in verschiedenen Formen und zu verschiedenen Zeiten streiken werden. Die 19 Punkte beleuchten die Arbeit, die unbezahlte Arbeit, die Betreuungsarbeit, den Ausgleich zwischen Familie und Beruf, die soziale Absicherung, die Arbeitszeit, den Lohn, Sexualität und sexuelle Identität, das Recht auf Selbstbestimmung, das Recht auf den eigenen Körper, die Gewalt, den Sexismus, die Diskriminierungen, die Vorurteile, das Asylrecht, die patriarchale Gesellschaft, die Homophobie, die Diskriminierung von Migrantinnen. Das Manifest umfasst weiträumig die Welt der Frauen* und verlangt klare Veränderungen. Dieser Wille zur Veränderung äussert sich immer stärker und entschlossener. Passend ist dazu das Motto aus Island: «Wir verändern nicht die Frauen. Wir verändern die Gesellschaft!»
Françoise Gehring