SGB-Delegierte diskutierten hart aber fair
AHV-Steuer-Deal: knappes Ja und Stimmfreigabe
Am gleichen Morgen, als im Parlament die Schlussabstimmungen zum Bundesgesetz über die Steuervorlage und die AHV-Finanzierung (STAF) stattfanden, hatte auch schon die Delegiertenversammlung des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes darüber zu befinden. Nach emotionaler, aber fairer Debatte resultierte ein knappes Ja, das sofort zu einer Stimmfreigabe abgeschwächt wurde.
Die SGB-DV vom 28. September debattiert eigentlich zuerst über Lohnschutz, doch manche Delegierte sind gedanklich schon bei STAF. VPOD-Vizepräsident Stefan Giger deponiert gleich nach der Rede von ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian (siehe Infobox) formell korrekt, aber völlig zur Unzeit den Protest des VPOD-Vorstands gegen die kurzfristige Ansetzung der ausserordentlichen SGB-DV einen Tag vor der Behandlung von STAF im VPOD-Vorstand. «Aus unserer Wahrnehmung handelt es sich um einen Versuch, den VPOD zu beeinflussen und Fakten zu schaffen», moniert Giger. Andere Delegierte feilen an ihren STAF-Voten.
Nach der Pause um 11 Uhr 30 beantragt SGB-Präsident Paul Rechsteiner die sofortige Schliessung der Rednerliste, die schon 20 Namen umfasst, und die Beschränkung der Redezeit auf 3 Minuten. Die Delegierten akzeptieren diese Spielregeln, worauf SGB-Chefökonom Daniel Lampart STAF aus Sicht der SGB-Spitze präsentiert (siehe auch Details zu STAF ganz unten). Sein Fazit: «Das Referendum gegen die Unternehmenssteuerreform (USR) III hat sich gelohnt, STAF ist besser als ihr Ruf: Es ist die erste Steuerreform auf Bundesebene seit langem, bei der die Aktionäre und ein Teil der Firmen mehr Steuern bezahlen. Für Rohstoffhändler gibt es keine Steuerprivilegien mehr. Allerdings erfolgt die Umsetzung in den Kantonen, und da besteht die Gefahr, dass sie die Gelegenheit für Steuersenkungen missbrauchen. Dagegen müssen wir kämpfen!» Der SGB finanziere einen Fonds zur Unterstützung kantonaler Referenden gegen Steuerabbau und Sparprogramme. Vor allem aber lobt Lampart die 2 Mia. Franken für die AHV: «Sie decken deren Zusatzbedarf aufgrund der grossen Babyboomer-Jahrgänge, die nun in Pension gehen, sicher bis 2025. Erstmals seit 1975 werden die Lohnbeiträge für die AHV erhöht. Diese sind sozial, weil die Firmen mitzahlen und die Topverdienenden viel mehr einzahlen, als sie über die plafonierten Renten beziehen.»
Die Diskussion eröffnen die Präsident/innen der grössten Gewerkschaften. Unia-Präsidentin Vania Alleva teilt mit, dass am frühen Morgen der ausserordentliche Unia-Zentralvorstand STAF abgelehnt hat (im Verhältnis von 60 zu 40). Bedenken zur Steuervorlage und deren Folgen in den Kantonen hätten den Ausschlag gegeben. Doch das Referendum wolle der Vorstand nicht unterstützen, sondern vor allem eine interne Zerreissprobe vermeiden.
Bei Syndicom habe der Vorstand noch nicht entschieden, sagt Präsident Daniel Münger. Er persönlich unterstütze die Vorlage, weil sie den Steuerwettbewerb nicht verschärfe und nicht zu mehr Steuergeschenken führe, vor allem aber wegen den 2 Milliarden für die AHV.
Service public nicht für AHV opfern
VPOD-Präsidentin Katharina Prelicz-Huber findet den AHV-Teil von STAF an sich auch gut, «doch 2 Milliarden an Steuergeschenken für Multis und Superreiche sind ein zu hoher Preis: Darunter leidet der Service public. Von diesem profitieren auch die Multis, darum sollen auch sie ordentlich Steuern bezahlen!»
SEV-Präsident Giorgio Tuti ist anderer Meinung, obwohl auch er Service-public-Angestellte vertritt: «Aus deren Sicht interessieren mich vor allem die 2 Milliarden für die AHV: Wir sind gut beraten, die jetzt zu nehmen, denn dazu erhalten wir kaum eine zweite Chance! Natürlich gibt es schönere Geschichten als die geplanten Steuersenkungen, doch müssen wir sowieso in den Kantonen bekämpfen. Seien wir mutig und trauen uns das zu!»
VPOD-Zentralsekretärin Michela Bovolenta warnt, dass die 2 Milliarden an Steuereinbussen beim Service public den dort arbeitenden Frauen gleich dreifach schaden: wegen schlechterer Anstellungs- und Arbeitsbedingungen, wegen dem Leistungsabbau und weil sie noch mehr Gratisarbeit leisten müssten.
Unheilige Allianz?
«Das hatten wir doch schon vor Jahresfrist», sagt Rolf Zimmermann von der SGB-Rentnerkommission: «Das Parlament beschliesst einen Kompromiss, den träumende Linke zusammen mit der Rechten attackieren. Schaut doch, wie NZZ und SVP dagegen polemisieren. Eure Grundsatzkritik dient der Rechten!» Ein Nein würde deren Druck auf die AHV erhöhen, ein Ja dagegen ihre Politik der leeren Kassen stoppen, die AHV stabilisieren und Vorstösse für verfassungskonforme Renten ermöglichen.
Corinne Schärer und Véronique Polito von der Unia-Geschäftsleitung plädieren für ein Nein, weil sie befürchten, dass die Gewerkschaften nicht glaubwürdig gegen die Steuersenkungen in den Kantonen mobilisieren können, wenn sie die Bundesvorlage unterstützen, welche die Kantone zu diesen Steuersenkungen ermuntert. Auch Nico Lutz von der Unia-GL ist gegen STAF, weil dieses «massive Steuersenkungsprogramm» den Steuerwettbewerb national und international anheize statt bekämpfe. Zumindest müsse sich der SGB im Abstimmungskampf zurückhalten. Corrado Pardini, auch von der Unia-Geschäftsleitung und Nationalrat, tritt engagiert für STAF ein: «Nur dank unserem erfolgreichen Referendum gegen die USR III haben wir verhandeln können und diesen Sieg in bare Münze umgewandelt. Von diesen 2 Milliarden für die AHV hätten wir vorher nur geträumt.» Die Stabilisierung der AHV schaffe eine gute Basis für die kommende AHV-Reform. «Sagt Ja, damit wir gewinnen können! Natürlich sind wir bei den Steuern noch nicht dort, wo wir hinwollen, doch die Richtung stimmt auch hier.» Ein Nein mache den Steuerwettbewerb nur noch brutaler.
Urs Stauffer, Präsident Öffentliches Personal Schweiz und Steuerverwalter der Stadt Biel, warnt, dass mit STAF viel mehr als 2 Mia. Franken an Steuern verloren gehen könnten: «Die neuen Steuersparinstrumente werden unterschätzt!» Weitere Redner/innen vor allem vom VPOD wollen nicht den Service public für die AHV schwächen, dieser Wahlzwang sei «eine Schande». Die 2 Milliarden für die AHV seien ein «vergiftetes Geschenk» und die Steuersenkungen «eine grosse Kacke in der AHV-Suppe». «Steuergeschenke für Multis gehen auf Kosten anderer Länder: Wo bleibt die Moral?»
«In der Schweiz gibt es zwei grosse Maschinen für die Umverteilung von oben nach unten: die AHV und die direkte Bundessteuer», sagt als letzter Redner Paul Rechsteiner, «beide werden durch STAF gestärkt …» Doch nach drei Minuten übertönt ihn ein Handy aus der DV, als Rache für Daniel Lamparts Handyalarm nach jeweils drei Redeminuten. Mit 46 : 41 bei 3 Enthaltungen sagen die Delegierten Ja zu STAF. Aber auch der Antrag des Gewerkschaftsbunds Schaffhausen für Stimmfreigabe, «damit es unter uns nicht zur Zerreissprobe kommt», wird mit 50 : 40 bei 1 Enthaltung angenommen.
Markus Fischer,
AHV-Steuer-Paket «STAF»: der Deal im Detail
Kern des Bundesgesetzes über die Steuervorlage und die AHV-Finanzierung (STAF), die das Parlament am 28. September verabschiedet hat, ist die Abschaffung von (vor allem kantonalen) Steuerprivilegien für internationale Firmen, deretwegen EU und OECD der Schweiz mit Sanktionen drohen. Somit müssten diese Firmen künftig viel mehr Gewinnsteuern bezahlen, z.B. in den Kantonen BS und GE rund viermal mehr. Das könnte sie zur Abwanderung veranlassen. Dies würde auch den Bund schmerzen, da ihm diese Firmen heute jährlich ca. 5 Mia. Franken an direkten Steuern bezahlen. Daher sieht STAF neue, international akzeptierte Steuerprivilegien vor:
– Die Kantone können Erträge aus Patenten ermässigt besteuern («Patentbox»).
– Die Kantone können den Firmen bis zu 150% des Aufwands für Forschung und Entwicklung (in der Schweiz) von den Steuern abziehen.
– Erleichterungen sind auch bei der Kapitalsteuer und bei den stillen Reserven möglich.
– Hochsteuerkantone (voraussichtlich nur ZH) können einen fiktiven Zins auf dem Eigenkapital von den Steuern abziehen. Diese «zinsbereinigte Gewinnsteuer» sah die im Februar 2017 mit 59,1% Nein abgelehnte Unternehmenssteuerreform III auch auf Bundesebene vor, STAF nun nicht mehr. Im Vergleich zur USR III wie auch zu heute bringt STAF aus SGB-Sicht weitere Verbesserungen:
– Aktionäre müssen ihre Dividenden auf Bundesebene neu zu 70 statt 60% versteuern (was dem Bund rund 80 Mio. mehr Steuern bringt), auf kantonaler Ebene mindestens zu 50%.
– Firmen dürfen Kapitaleinlagereserven nur noch dann steuerfrei auszahlen, wenn sie in gleicher Höhe steuerbare Dividenden ausschütten. Damit steigen ihre Steuern etwa um 90 Mio.
Zudem erhalten die Kantone vom Bund rund 1,1 Mia. pro Jahr, indem ihr Anteil an den direkten Bundessteuern von 17 auf 21,2% steigt. Dieses Geld können sie für Senkungen der ordentlichen Gewinnsteuern oder sonst nach Belieben verwenden. Doch sie müssen damit die Auswirkungen von STAF für die Gemeinden abgelten.
Dem Bund entgehen mit STAF total rund 700 Mio. an Steuern pro Jahr, den Kantonen je nach Umsetzung schätzungsweise 1,3 Mia. Als sozialer Ausgleich erhält die AHV 2 Mia. Franken an Zusatzeinnahmen pro Jahr: je 600 Mio. von Arbeitgebern und Arbeitnehmenden über je 0,15 zusätzliche Lohnprozente sowie 800 Mio. aus der Bundeskasse, indem das 1999 eingeführte Mehrwertsteuerprozent zu 100 statt 83% an die AHV fliesst. Das kann sich der Bund leisten, denn er rechnet für die kommenden Jahre mit strukturellen Überschüssen von rund 1,9 Milliarde Franken pro Jahr.
Europäische Unterstützung für Schweizer Lohnschutz
Der Bundesrat entschied am 28. September über das weitere Vorgehen bei den Verhandlungen mit der EU über ein Rahmenabkommen. Gemäss Aussenminister Cassis bleibt als «Hauptdifferenz» die Forderung der EU, die Flankierenden Massnahmen (Flam) abzuschwächen und sie dem EU-Gerichtshof (EuGH) zu unterstellen. Demgegenüber hielt die SGB-Delegiertenversammlung in einer Resolution klar fest, dass sie keinen Abbau bei den Flam akzeptiert. Im Gegenteil müsse der Schutz der Löhne und Arbeitsbedingungen gegen Dumping weiter verbessert werden, in der Schweiz und in ganz Europa.
Diese Position unterstützen der Europäische Gewerkschaftsbund und Gewerkschaften aus EU-Ländern in Solidaritätsschreiben an den SGB. «Gebt dem Druck auf die Flam nicht nach!», sagte an der DV der Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes ÖGB, Wolfgang Katzian. Das Dumpingproblem kenne auch sein Land: Bei aus dem Ausland entsandten Arbeitnehmenden würden 50-mal mehr Verstösse gegen Lohnvorschriften entdeckt als bei solchen österreichischer Firmen. Und Bussen könnten z.B. von ungarischen Firmen kaum eingetrieben werden. Darum kämpfe auch der ÖGB für Kautionen, genügend lange Voranmeldefristen für Kontrollen und weitere Massnahmen wie in den Flam. «Wir wollen keinen Wettbewerb auf dem Rücken der Werktätigen, sondern gute, faire Löhne und ein soziales Europa. Sonst haben die Populisten leichtes Spiel!» Doch Österreichs Rechtsregierung tue nichts für den Arbeitnehmerschutz, sondern setze wie die EU-Kommission auf Liberalismus. Ja, sie hat den 12-Stunden-Tag eingeführt und will alle Sozialgesetze darauf prüfen, ob sie EU-Vorschriften übererfüllen. Bei den Tarifverhandlungen droht ein heisser Herbst. Katzian warnte auch vor dem EuGH, der bisher in der Regel gegen die Arbeitnehmenden entschied. Fi