René Windlin geht in Pension,Wossen Aregay stösst neu zum Rechtsschutz-Team
Immer im Fokus: das Recht der Kolleg/innen
Nach vierzig Jahren Tätigkeit im Bereich des öffentlichen Verkehrs geht René Windlin, der seit elf Jahren im Rechtsschutzteam des SEV arbeitet, in Pension. An seiner Stelle neu im Zentralsekretariat tätig ist Wossen Aregay – ein Jurist ebenso wie ein überzeugter Gewerkschafter.
René, du arbeitest seit 2006 beim SEV. Was hast du vorher gemacht?
Angefangen habe ich 1977 als Betriebsdisponent bei der SBB. Ich habe mich nach den Lehr- und Wanderjahren bei der SBB schon bald – zuerst noch bei den Kreisdirektionen Luzern und Zürich und alsdann im Konzern an mehreren Stellen – mit arbeitsrechtlichen Fragen befasst.
Das Jahr 1977 führt schon zu einer ersten Parallele zu dir, Wossen…
Ja, in diesem Jahr habe ich «auf der Erde angefangen», es ist mein Geburtsjahr. Nach meinem Jura-Studium habe ich zuerst meine Dissertation geschrieben, was einige Zeit in Anspruch genommen hat. Mein Anwaltspraktikum habe ich in einer Kanzlei gemacht, in der Vertrauensanwälte der UNIA arbeiten.
In diesem Rahmen konnte ich alle zwei Wochen in Biel einen Nachmittag Rechtsberatung zu einfachen arbeitsrechtlichen Fragen geben. Das hat mir gefallen und es hat mein Interesse für die Gewerkschaft geweckt. Der Kontakt mit den Mitgliedern, das Menschliche – ich habe gemerkt, dass ich mit den im Studium erworbenen Kenntnissen etwas bewirken konnte.
Nach dem Praktikum habe ich dann eine befristete Stelle bei der UNIA gefunden. Nach deren Auslaufen wusste ich, dass ich im juristischen Bereich bei einer Gewerkschaft arbeiten wollte; ich habe gemerkt, dass dies die Welt ist, in der ich mich wohlfühle, wo ich bei der Arbeit Sinn finde.
Auch du, René, hast mal einen beruflichen Wechsel gemacht, jener von der Bahn zur Gewerkschaft. War dieser Wechsel auch bei dir ein bewusster Entscheid?
1997 begannen die ständigen Reorganisationen bei der SBB, man musste sich immer wieder neu bewerben. Ich habe – als Nichtjurist – lange im juristischen Bereich gearbeitet und gemerkt, was mir allenfalls blühen könnte und begonnen, mich zum Gemeindeschreiber weiterzubilden, blieb aber vorläufig bei der SBB. Als ich bei der internen Beschwerdeinstanz der SBB arbeitete, war die neutrale, faire Arbeit wohl gesetzliche Pflicht, aber zunehmend nicht mehr gefragt.
Als die Stelle beim SEV ausgeschrieben war, wusste ich, dass ich mich da bewerben «musste». Mitglied des SEV bin ich – selbstverständlich – seit 1977. Nach dem Wechsel durfte ich dann auch wirklich meinen Gerechtigkeitssinn pflegen und Partei ergreifen für die Mitglieder, die fast immer mit berechtigten Anliegen zu uns kommen.
Du hattest aber auch mit Rechtsschutzfällen bei andern Unternehmen als der SBB zu tun.
Die SBB war klar ein Schwerpunkt, die Fälle bei den KTU werden wenn immer möglich von den zuständigen Gewerkschaftssekretär/innen erledigt. Vereinzelt habe ich mich aber auch um solche Fälle gekümmert, insbesondere bei Sozialversicherungsfragen oder in Stellvertretung.
Du verfügst über eine sehr langjährige Erfahrung in diesem Bereich. Wie hat sich deiner Einschätzung nach das Klima zwischen Arbeitnehmer/innen und Arbeitgeber/innen entwickelt?
Ich empfinde es als kälter. Ich hatte Fälle auf meinem Tisch, bei denen man um Selbstverständlichkeiten kämpfen musste, die eigentlich im GAV geregelt sind. Spielräume des GAV werden oft nicht zugunsten der Mitarbeitenden ausgelegt. Es wird mit andern Worten versucht, die Zitrone auszupressen, was auch zu vermehrten und längeren Krankheitsunterbrüchen führt.
Auch die Personalbeurteilung wird in letzter Zeit zunehmend missbraucht, um «missliebige» Mitarbeitende loszuwerden. Diese Entwicklungen sind wirklich schwierig. Die Vorgesetzten und HR-Leute haben auch oft Mühe, eigene Fehler zu sehen und einzugestehen. Die Fronten haben sich verhärtet.
Da es die interne Beschwerdeinstanz, welche teils noch korrigierend wirkte, seit Mitte 2013 nicht mehr gibt, müssen wir gegen SBB-Entscheide direkt beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde führen.
Wossen, wenn du René so zuhörst: Hast du das Gefühl, als Jurist in diesem Bereich etwas bewirken und gestalten zu können, das über eine «Verwaltungstätigkeit» hinausgeht?
Ich hoffe es – deswegen wurde ich ja auch angestellt! Es geht darum, den rechtlichen Rahmen im Sinne der Mitglieder auszuschöpfen, und ich habe in der kurzen Zeit, seit ich beim SEV arbeite, so einige Möglichkeiten gesehen: Ich kann die Mitglieder in Bezug auf ihre rechtliche Situation aufklären und bewirke somit, dass die Erwartungshaltung sich eher mit den rechtlichen Möglichkeiten deckt.
Ich kann schauen, dass die Verfahrensabläufe korrekt ablaufen und bewirke somit, dass das Mitglied fair und objektiv behandelt wird. Vorhandene Ansprüche können geltend gemacht und durchgesetzt werden, sodass die Mitglieder zu ihrem Recht kommen.
Und wenn es auch nur darum geht, ein offenes Ohr zu leihen, so bewirkt dies doch letztlich, dass sich das Mitglied in seinen Sorgen und Nöten nicht alleine gelassen fühlt, sondern im SEV einen vertrauenswürdigen Ansprechpartner hat, auf den Verlass ist und der ihn ernst nimmt.
Hast du denn schon einen ersten Eindruck gewinnen können – du bist ja erst seit August hier?
Ich sehe nur gelb [gelb ist die Farbe der Rechtsschutz-Aktenumschläge im SEV, Anm. d. Red.]! Die Vielfalt der Dossiers, die Intensität, das ist schon sehr beeindruckend. Es gibt jede Menge Arbeit und viele Anfragen.
René, du hast dein gewerkschaftliches Engagement oft etwas kleiner erscheinen lassen, als es war. Du bist im Kanton Zug, wo du wohnst, aber sehr aktiv, z. B. im Vorstand des kantonalen Gewerkschaftsbundes, das bleibt ja wohl so. Was sind deine gewerkschaftlichen wie persönlichen Zukunftspläne?
In der Zwischenzeit bin ich zum Präsidenten des Gewerkschaftsbundes des Kantons Zug gewählt worden und bin auch Präsident der SEV-Sektion Deutsche Bahn. Ich werde von diesen Ämtern her gewerkschaftlich tätig bleiben – auch Unterschriften sammeln und Flyer verteilen oder an einer Demo auftauchen, solche werden sicher wieder einmal nötig werden.
Ich habe auch daneben viele Zukunftspläne, denn ich habe viele Hobbys, die durch die Belastung durch die Arbeit in den letzten Jahren zu kurz gekommen sind. Da möchte ich an erster Stelle das Fotografieren nennen, ich bin «seit ewigen Zeiten» Mitglied des Eisenbahner-Fotoclubs (aktuell in Luzern, früher in Basel). Da möchte ich, zusammen mit meiner Frau, die ebenfalls gern fotografiert, wieder aktiv ins Geschehen eingreifen – und mir auch mal einen anständigen Fotoapparat leisten, ich habe noch einen alten, in den man einen Film einspannen muss!
Daneben würde es mich auch reizen, das eine oder andere Land zu bereisen in den nächsten Jahren. Und dann bin ich ja auch Fan des Eishockeyclubs Zug, das pflege ich selbstverständlich weiter. Ich habe schon abgemacht, dass die früheren SEV-Sekretäre Jérôme Hayoz [ein Freiburger, Anm. d. Red.] und Olivier Barraud [Fan des EHC Lausanne, Anm. d. Red.] einmal in den «Zuger Eishockey-Tempel» kommen. Diese und andere Freundschaften will ich weiterpflegen.
Daneben habe ich sehr viele Bücher, die noch ungelesen bei mir daheim stehen – es wird mir auf gar keinen Fall langweilig. Ich bin auch im Vorstand einer linken Zeitung im Kanton Zug (sie heisst «Bulletin» und wer ein Abo möchte: www.bulletin-zug.ch).
Dann bist du froh, dass du die Bürotüre bald das letzte Mal hinter dir schliessen kannst?
Ich habe diesen Job extrem gern gemacht, es ist mein Traumjob, man kann viel bewirken, wie es Wossen schon gesagt hat, und ich konnte in vielen Fällen eine Lösung für unsere Mitglieder erreichen, Erfolge oder Teilerfolge waren möglich.
Die extreme Dankbarkeit der Mitglieder war mir eine grosse Befriedigung in diesem wirklich intensiven Job. Schon nur, weil man zuhört, weil man sich Zeit nimmt, weil man sie ernst nimmt, weil man versucht, etwas zu machen. Während und nach den Verfahren gab es immer wieder Dank, auch in Form eines kleinen Kartengrusses oder ähnlichem. Das ist schon sehr beeindruckend.
An dieser Stelle ist es mir ein Anliegen, den Kolleg/innen, welche ich in einem Rechtsschutzfall begleiten durfte, für ihr Vertrauen zu danken. Mein Dank gilt aber auch dem ganzen SEV-Team und meiner Vorgesetzten Barbara Spalinger für die gute Zusammenarbeit. Wossen wünsche ich bei seiner wirklich tollen Aufgabe viel Erfolg und starke Nerven.
Ich habe einen grossen Gerechtigkeitssinn und habe mich manchmal über gewisse Vorkommnisse stark aufgeregt. Ich konnte aber auch immer wieder abschalten. Weil so viele verschiedene Anfragen kommen, kann man aber auch nicht zu sehr einem einzelnen Fall, einem traurigen Einzelfall, nachhängen.
Trotz dem langen Arbeitsweg bin ich nie ungern zur Arbeit gekommen dies im Gegensatz zu einigen Phasen bei der SBB. Auch stand für mich nie der Lohn im Zentrum, sondern die Arbeitsinhalte, die Selbstständigkeit und echte Anerkennung der Leistung.
Ich habe bei der SBB viel gelernt und bin den damaligen Vorgesetzten, die das ermöglicht haben, auch dankbar. Dank meiner SBB-Erfahrungen konnte ich nach dem Wechsel zum SEV vom ersten Tag an gleich mit der Arbeit beginnen, auch ich sah damals, wie Wossen gesagt hat, nur «gelb»…
Du hast sehr aufmerksam zugehört, Wossen.
Hinter dem, was René gerade geschildert hat, kann ich voll stehen. Ich habe den Wunsch und den Willen, dieses Engagement im selben Geiste weiterzuführen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich dir, René, für die gute Einführung danken, und ich wünsche dir für deine Zukunft Gesundheit und viel Lebensfreude.
Fragen und Gesprächsmoderation: Peter Anliker
Wer sind die beiden?
René Windlin ist ausgebildeter Bahnbetriebsdisponent und lebt mit seiner Frau und seiner Tochter in Steinhausen im Kanton Zug. Er ist Mitglied der Grünen Partei.
Wossen Aregay stammt aus Äthiopien, er lebte in seiner Kindheit und Jugend sieben Jahre im damaligen Ost-Berlin (DDR), wo sein Vater einen Posten als Diplomat hatte. Mit einem Stipendium kam er 1993 in die Schweiz; in Freiburg i. Ü. studierte er die Rechte und promovierte mit einer Dissertation im Bereich Verfassungsrecht. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Mit seiner Familie wohnt er in Freiburg.