SEV plant Neuausrichtung der Kommunikation und bezieht Mitglieder mit ein
Unterwegs in die Zukunft mit Zeitung und Internet
Bis zum Kongress im nächsten Frühling will der SEV seine Kommunikation neu ausrichten und den Bedürfnissen der Zukunft anpassen. Dazu arbeitet er mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften zusammen. Deren Analyse zeigt: Der SEV macht schon heute vieles richtig. Angesichts der neuen Möglichkeiten muss er stärker mit den Mitgliedern in den Dialog treten und sich in der politischen Arena noch gezielter in Szene setzen.
Die digitale Revolution betrifft alle und alles. Für die Verkehrsunternehmen führt kein Weg daran vorbei, und für die Gewerkschaften auch nicht. Ganz besonders betroffen ist dabei die Kommunikation. Fast jede und jeder hat heute ein Smartphone oder ein Tablet bei sich; immer mehr trifft dies auch auf die älteren Generationen zu. Damit hat die Verbreitung von Informationen neue Formen angenommen: Sie ist nicht nur schneller (und häufig oberflächlicher) geworden, sondern es hat auch ein Wandel von der Einweg- zur Zweiwegkommunikation stattgefunden. Das heisst: Die klassischen Medien Zeitung, Radio und Fernsehen sind noch klar von einem Absender an eine grosse Zahl von Empfängerinnen und Empfänger gerichtet. Die Gegenrichtung ist nicht vorgesehen. SMS und E-Mail, aber auch das Internet mit seinen sozialen Medien wie Facebook ermöglichen es heute hingegen, dass die Kommunikation in beide Richtungen läuft.
SEV sucht den richtigen Weg
Kommunikation – mit den Mitgliedern, mit den Unternehmen, mit der Öffentlichkeit – ist für den SEV lebenswichtig. Dabei muss er nicht an der Spitze der technischen Entwicklung stehen wie ein Medienhaus, aber er darf erst recht die Entwicklung nicht verpassen. Unter diesem Aspekt hat die Abteilung Kommunikation bereits vor längerer Zeit begonnen, sich mit einer neuen Ausrichtung zu beschäftigen. Schon damals war als Zeitpunkt für Neuerungen der Kongress 2017 ins Auge gefasst worden. Hinzu kam ein Entscheid des Vorstands SEV, der eine Arbeitsgruppe eingesetzt hatte, die nach Einsparungsmöglichkeiten in allen zentralen Aufgaben des SEV suchte. Schliesslich ergab sich daraus ein Sparauftrag an die Kommunikation, der nun zeitlich mit der Konzeptentwicklung gekoppelt wurde.
Fachkräftige Unterstützung
Der SEV entschied sich, externe Beratung beizuziehen. Gesucht wurde eine Fachstelle, die Erfahrung aus der Kommunikation in vergleichbaren Organisationen mitbringt. Für den SEV geht es schliesslich darum, aus den beschränkten Mitteln das bestmögliche Angebot herauszuholen. Die Wahl fiel auf die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW und deren Institut für Angewandte Medienwissenschaft IAM. Dort leitet Prof. Dr. Peter Stücheli-Herlach den Forschungsbereich Organisationskommunikation und Öffentlichkeit. Er war früher Regional- und Bildungsredaktor bei der NZZ und ist inzwischen Spezialist für die strategische Kommunikation besonders auch grosser Mitgliedorganisationen. In den letzten Monaten hat Stücheli-Herlach den SEV als Organisation und dessen heutige Kommunikationsmittel analysiert und einen Bericht erstellt, den der Vorstand inzwischen zur Kenntnis genommen hat.
Die wichtigsten Ergebnisse
Für Peter Stücheli-Herlach ist es zentral, dass Kommunikationsmittel auf die Strategie der Organisation ausgerichtet sind. Er beschreibt es bildlich mit einem Fussballfeld: Für eine Gewerkschaft geht es nach seiner Beurteilung darum, auf der einen Seite (in der Verteidigung, vor dem eigenen Tor) die Interessen der Mitglieder gegenüber den Arbeitgebern zu verteidigen. Auf der anderen Seite (im Sturm, vor dem gegnerischen Tor) soll sie die grossen Arbeitnehmeranliegen kraftvoll in der Politik platzieren. Im «Mittelfeld» findet die Verknüpfung dieser beiden Positionen statt, indem der SEV als Vertreter seiner Mitglieder gegenüber den Unternehmen sowie als Vermittler und Netzwerker auftritt. Für jede dieser Kommunikationsrollen müssen die geeigneten Mittel gefunden werden.
Mit den richtigen Mitteln das Richtige tun
In seiner Analyse untersuchte und bewertete Stücheli-Herlach den Medieneinsatz und das Mediendesign.
Beim Medieneinsatz geht es um die Frage, ob die vorhandenen Medien in bester Weise für ihre jeweiligen Aufgaben gebraucht werden, ob sie dafür überhaupt geeignet sind.
Beim Mediendesign steht im Vordergrund, ob die eingesetzten Mittel auch zielführend gestaltet sind. Dabei zeigte sich, dass die Medien des SEV insgesamt reichhaltig, aber zu wenig dialogisch und abwechslungsreich gestaltet sind. Stücheli betonte aber auch: «Aus der Mitgliederumfrage sehen wir, dass die Zeitung kontakt.sev eine ausgesprochen hohe Beachtung findet; das gilt es für die Zukunft zu nutzen.»
Er weist jedoch darauf hin, dass Medien wie die Positionspapiere oder der Sozialbericht aufgrund ihrer strategischen Bedeutung zu wenig genutzt werden, verglichen mit dem grossen Aufwand, den der SEV dafür, wie für die Mitgliederzeitung betreibt.
Personen in den Vordergrund
Innerhalb der Zeitung vermisst Stücheli-Herlach einen konsequenten Einbezug von Personen, die eine Gewerkschaft ausmachen: Mitglieder an der Basis, Frauen, Milizfunktionäre, die Spitze der Gewerkschaft, verbündete Politikerinnen und Politiker und Vertreter anderer Gewerkschaften. Im Gegenzug stellt er ein Übergewicht an eigenen «Verlautbarungen» fest. Dazu gehören auch die Berichte aus Sektionen und Unterverbänden, die vor allem in der deutschen Ausgabe viel Platz beanspruchen.
Positiv beurteilt er, dass die Aufmachergeschichten der Redaktion den verschiedenen Aufgaben der Gewerkschaft in den Arenen von Mitgliedern und Politik gut entsprechen.
Stücheli entwickelte schliesslich ein Stärken-Schwächen-Profil für den SEV. Die Bedeutung des SEV innerhalb der Verkehrs- und der politischen Landschaften nennt er unter den Stärken ebenso wie die Breite der Mitgliedschaft. Als Stärke beurteilt er zudem die Bereitschaft, den digitalen Wandel aktiv mitzumachen. Zu den Schwächen gehört die Medieneffizienz, also dass der SEV nicht den bestmöglichen Nutzen aus den Mitteln zieht, die er in seine Medien steckt. Damit verbunden nutzt der SEV seine Chancen zu wenig, sich als starke, aktive Mitgliederorganisation zu positionieren. Und angesichts der technischen Entwicklung bemängelt Stücheli schliesslich, dass bisher die Möglichkeiten zu wenig genutzt wurden, mit den Mitgliedern über neue mobile Medien in einen Dialog einzutreten.
Digitalen Austausch fördern
Die Entwicklung von Medien und politischer Kommunikation der letzten Jahre unterliegt laut Stücheli-Herlach einem Paradigmawechsel, also einem grundlegenden Umbruch, den es zu beachten, zu gestalten und zu nutzen gelte. Konkret empfiehlt er in seinem Bericht dem SEV, mehr den Dialog mit den Mitgliedern zu führen und dazu die digitalen Medien zu nutzen; entsprechend könnten die gedruckten Medien noch besser auf Wesentliches konzentriert werden. Ganz allgemein sollte der SEV «bisher nicht erzählte Geschichten entwickeln und erzählen», anders ausgedrückt: das aktive Leben der Gewerkschaft zu zeigen, also Geschichten aus dem Gewerkschaftsalltag darzustellen, die alltäglichen Berufsheldinnen und -helden ebenso zu zeigen wie die poltischen Vertreterinnen und Vertreter, die Spitze der Gewerkschaft und deren Leistungen.
Mitglieder machen mit
Peter Stücheli-Herlach empfiehlt dem SEV, die neuen Kommunikationsmittel und -formen gemeinsam mit der Basis zu entwickeln, in einem partizipativen, kreativen, schrittweisen, experimentierfreudigen Prozess. Genau dies soll nun als nächstes geschehen (siehe Ausschreibung).
Nach diesem grossen Austausch über alle Ebenen des SEV soll danach die Strategie der Kommunikation festgelegt und dem Vorstand vorgestellt werden. Danach geht es an die Knochenarbeit: Zeitung, Internet und weitere Mittel auf die neue Strategie ausrichten, und dies alles im gegebenen Kostenrahmen.
Peter Moor
Vier Fragen an Kommunikationswissenschafter Peter Stücheli
kontakt.sev: Sie haben den SEV vor diesem Beratungsauftrag nicht näher gekannt. Was hat Sie am meisten überrascht?
Peter Stücheli-Herlach: Zuallererst die faszinierende Vielfalt der relevanten Themen und der Mitgliederschaft dieser Organisation. Dann auch das solid aufgestellte Medienangebot; bei näherer Betrachtung zeigte sich, dass die Mitglieder- und Politikkommunikation stark auf Gedrucktes und auf Routinen setzt. Beides ist nicht einfach falsch. Aber es reicht im aktuellen Umfeld nicht mehr.
Ihre Analyse zu den SEV-Medien fällt durchzogen aus. Aber wie steht der SEV damit im Vergleich zu andern Organisationen?
Das Bild ist nicht untypisch für solche Organisationen, und es ist auch erklärbar durch die Geschichte, Aufgaben und Strukturen dieser Organisationen. Die Vernetzung und die Vielfalt der Gewerkschaft sowie die Aktualität ihrer Anliegen müssten aber doch besser ausgespielt werden können.
Welche Stärken des SEV als Organisation bzw. seiner Kommunikation gilt es zu fördern?
Die Themen sind vielfältig, sie rufen danach, durch eine teilprofessionelle Organisation bearbeitet, strukturiert, bewertet und diskutiert zu werden. Die Mitglieder sind engagiert, verbunden und klug. Sie könnten sich mit diesen Eigenschaften durchaus mehr zeigen, sie könnten noch mehr zu Wort kommen, sie könnten ihre Ideen schneller und direkter einbringen. Die Gewerkschaft ist gut vernetzt, es wäre möglich, mehr Expertinnen, Verbündete, aber auch konstruktive Kritiker ins Gespräch zu ziehen. Insgesamt ist es diese Gemeinschaftskultur, welche eine grosse Ressource darstellt und die mit digitalen und mobilen Medien weit besser genutzt werden könnte.
Es ist offensichtlich, dass Kommunikation in Zukunft stärker digital ausgerichtet sein wird. Wie sehen Sie künftig die Aufgabenteilung zwischen gedruckten und digitalen Kommunikationsmitteln?
Es wird immer beides brauchen. Die verschiedenen Medien haben je ihre technischen, logistischen, funktionalen und symbolischen Stärken und Schwächen. Das gilt es, gezielt zu orchestrieren. Dabei müssen wir uns bewusst sein, dass Kommunikation insgesamt rascher, direkter, dialogischer wird. Es gibt im politischen Geschehen und im Berufsleben der Mitglieder sehr viel häufiger wichtige Momente, in denen Kommunikation nötig oder erwünscht ist. Diese Momente
darf der SEV nicht verpassen; sonst nämlich nutzen sie einfach andere.