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Mobbingfälle vor Gericht

Im August 2020 haben wir in dieser Rubrik einige Erläuterungen zum Begriff Mobbing gegeben. Nun folgen einige Beispiele von Gerichtsentscheidungen zu diesem Thema, unabhängig davon, ob sie das Vorliegen von Mobbing anerkannt haben oder nicht.

Die ordentliche Kündigung eines Arbeitsvertrags ist missbräuchlich, wenn sie in einer der in Art. 336 Abs. 1 OR aufgeführten Situationen erfolgt. Ein Missbrauch kann sich auch in anderen vergleichbaren Situationen zeigen, insbesondere dann, wenn der Kündigungsgrund auf eine Verletzung der Arbeitgeberpflichten zurückzuführen ist.

Artikel 328 OR regelt die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Diese besagt, dass er die Persönlichkeit des Arbeitnehmers schützen und achten muss, auf dessen Gesundheit gebührend Rücksicht zu nehmen hat, für die Wahrung der Sittlichkeit sorgt, zum Schutz von Leben, Gesundheit und persönlicher Integrität des Arbeitnehmers die nach der Erfahrung gebotenen, nach dem Stand der Technik anwendbaren und den Verhältnissen des Betriebes oder Haushaltes angemessenen Massnahmen treffen muss, soweit es das Arbeitsverhältnis und die Natur der Arbeit billigerweise von ihm verlangen können.

Psychische Belästigung oder Mobbing stellen laut einem Urteil des Bundesgerichts vom 10. Juni 2020 einen Verstoss gegen Artikel 328 OR dar.

Eine Kündigung ist missbräuchlich, wenn der Arbeitgeber seine eigene Verletzung der Fürsorgepflicht ausnutzt. Dies ist der Fall, wenn die Kündigung mit einer Arbeitsunfähigkeit begründet wurde, die durch eine dem Arbeitgeber zuzuschreibende Mobbingsituation verursacht wurde. Dies ist beispielsweise auch der Fall, wenn der Arbeitgeber mit einem Arbeitnehmer mit schwierigem Charakter konfrontiert ist und einen Konflikt eskalieren lässt, ohne etwas zu tun, um ihn zu entschärfen, und dann dem Arbeitnehmer kündigt, mit der Begründung des schlechten Arbeitsklimas aufgrund seines Charakters.

Definition

Mobbing wird definiert als sich über einen längeren Zeitraum hinziehende feindselige Äusserungen und/oder Handlungen, mit denen eine oder mehrere Personen versuchen, eine Person am Arbeitsplatz zu isolieren, an den Rand zu drängen oder sogar auszugrenzen. Das Opfer befindet sich oft in einer Situation, in der jede einzelne Handlung als erträglich angesehen werden kann, während die Gesamtheit der Handlungen eine Destabilisierung der Persönlichkeit darstellt, die bis zur beruflichen Eliminierung des Opfers geht. Mobbing kann darin bestehen, die betroffene Person daran zu hindern, sich zu äussern und zu kommunizieren, sie zu isolieren, ungesunde Gerüchte über sie zu verbreiten, ihr ohne Rücksprache Aufgaben zuzuweisen oder zu entziehen oder ihr Aufgaben zu übertragen, die deutlich unter oder über ihren Qualifikationen liegen. Dies mit dem Ziel, das Opfer zu entwerten.

Mobbing liegt nicht allein aufgrund eines Konflikts in den Arbeitsbeziehungen vor, einer Unvereinbarkeit der Charaktere, eines schlechten Arbeitsklimas oder weil ein Vorgesetzter seinen Pflichten gegenüber seinen Mitarbeitern nicht immer nachgekommen wäre. Auch wenn ein Arbeitnehmer, sogar unter Androhung von Sanktionen, aufgefordert wird, seinen Pflichten nachzukommen, ist dies noch kein Mobbing.

Im Oktober 2004 stellte das Bundesgericht eine psychische Belästigung im Sinne von Artikel 328 OR fest, als ein Arbeitnehmer ausgegrenzt und unter Druck gesetzt wurde, der wahrscheinlich darauf abzielte, ihn zur Kündigung zu bewegen. Er hatte Anweisungen erhalten, die eine unangemessene, harte, ungerechte, verletzende, herabsetzende und beleidigende autoritäre Haltung widerspiegelten. In einem anderen Fall vom April 2003 hat das Bundesgericht ebenfalls Mobbing festgestellt, diesmal ging es um negative Kommunikation, sehr grosse Aggressivität, ständige berufliche Disqualifizierung, wiederholten Machtmissbrauch und Schikanen aller Art, insbesondere im Zusammenhang mit Arbeitszeiten und Ferien.

In einem weiteren Fall vom Juni 2020 ging das Bundesgericht hingegen nicht von Mobbing aus, bei dem es um das verabscheuungswürdige Verhalten eines Direktors gegenüber einer Untergebenen ging, allerdings nur für eine begrenzte Zeit im Zusammenhang mit einer objektiv schwierigen Übergangszeit. Es gab in diesem Fall einen Konflikt zwischen zwei unvereinbaren Persönlichkeiten, dem Direktor und der Betroffenen. Diese neigte dazu, sich mit dem Projekt zu identifizieren. Da sie eine verantwortungsvolle, gut bezahlte Position innehatte, konnte von ihr eine überdurchschnittlich hohe Stress- und Kritikresistenz erwartet werden.

Auch in einem Fall vom August 2007, in dem es zwischen einem Arbeitnehmer und einer Vorgesetzten zu Meinungsverschiedenheiten über das Konzept der auszuführenden Arbeit kam, wurde kein Mobbing festgestellt. Die Vorgesetzte wollte ein einheitliches Konzept durchsetzen, wobei der Arbeitnehmer nicht ertragen konnte, sich ihren Vorstellungen zu beugen. Zwar hatte die Vorgesetzte zweifellos einige Ungeschicklichkeiten begangen, dies aber nicht mit der erkennbaren Absicht, dem Arbeitnehmer zu schaden. Sie hatte ihre Auffassung durchgesetzt, wogegen der Arbeitnehmer opponierte. Das Bundesgericht stellte fest, dass der Umstand, dass ein Konflikt nicht optimal bewältigt werden konnte, nicht mit Mobbing gleichzusetzen ist.

Voraussetzungen

Wer behauptet, gemobbt zu werden, muss dies beweisen (Art. 8 ZGB). Da dies aufgrund der Besonderheiten des Mobbings im Allgemeinen jedoch schwierig zu beweisen ist, muss sein Vorhandensein meist aufgrund mehrerer, übereinstimmender Indizien angenommen werden. Und da es häufig keine direkten Zeugen für derartige Verletzungen gibt, können auch andere Indizien berücksichtigt werden, insbesondere Aussagen von Personen, denen sich das Opfer anvertraut hat. Es ist unzulässig, von vornherein die Aussagen anderer Personen auszuschliessen, die ebenfalls Opfer von feindseligem Verhalten geworden sind und Ressentiments gegen den Täter hegen.

Der Richter hat einen Ermessensspielraum, um anhand der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden, ob die vorliegenden Indizien auf Mobbing schliessen lassen oder nicht. Allein die Tatsache, dass ein Verhalten nicht in allen Punkten der Definition von Mobbing entspricht, schliesst eine rechtswidrige Persönlichkeitsverletzung nicht zwangsläufig aus; dies kann insbesondere bei einem kritikwürdigen «nichtdiskriminierenden» Verhalten der Fall sein, das mehrere Angestellte belastet.

Die Mehrheit der Lehrmeinung, die darin einem kantonalen Urteil folgt, erkennt an, dass ein Arbeitgeber, der alle zumutbaren Massnahmen zur Beendigung des Mobbings ergriffen hat, berechtigt ist, die belästigte Person und nicht die belästigende Person zu entlassen, wenn dies im Interesse des Unternehmens liegt. Dies ergibt sich aus der Vertragsfreiheit des Arbeitgebers, der ein Arbeitsverhältnis beendigen darf.

Andererseits verstösst ein Arbeitgeber, der nicht verhindert, dass sein Arbeitnehmer gemobbt wird, gegen Artikel 328 OR. Nach dieser Bestimmung muss der Arbeitgeber die Persönlichkeit des Arbeitnehmers nicht nur achten, sondern auch schützen; er muss also nicht nur selbst von Mobbinghandlungen absehen, sondern auch angemessene Massnahmen ergreifen, wenn die Persönlichkeit des Arbeitnehmers durch andere, insbesondere durch andere Mitarbeitende verletzt wird.

Im Juni 2020 hielt das Bundesgericht auf der Grundlage von Artikel 101 OR fest, dass ein Arbeitgeber für Persönlichkeitsverletzungen durch Vorgesetzte oder Personalverantwortliche haftbar gemacht werden kann. So wurde beispielsweise das Verhalten des Direktors einer Aktiengesellschaft bestraft, der des Mobbings gegenüber einer seiner direkten Untergebenen beschuldigt wurde. In mehreren anderen Fällen hat das Bundesgericht auch den Generalsekretär eines Vereins, einen Fussballtrainer oder einen Vorgesetzten zur Verantwortung gezogen.

Artikel 101 OR führt eine sozusagen kausale Haftung ein. Seine vorbehaltlose Anwendung kann jedoch dann zu streng sein, wenn der Arbeitgeber alle erforderlichen Präventions-, Organisations- und Überwachungsmassnahmen ergriffen hat und es in seinem Betrieb trotzdem zu Mobbing gekommen ist, ohne dass er es wissen konnte. Auch kann sich ein Arbeitgeber gemäss Artikel 328 OR von seiner Haftung befreien, indem er nachweist, dass er die zumutbaren Massnahmen ergriffen hat, um Mobbing zu verhindern oder zu beenden. Die Gerichte haben also noch viel Arbeit vor sich …

Rechtsschutzteam SEV
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