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Vaterschaftsurlaub

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Anfang 2021 trat der gesetzlich garantierte zweiwöchige Vaterschaftsurlaub in Kraft. Eine Vielzahl von Gesamtarbeitsverträgen (GAV) sahen bereits vorher bezahlte Vaterschaftsurlaubstage vor. Es stellt sich daher die Frage, wie sich in dieser Konstellation der neue gesetzliche Vaterschaftsurlaub und der gesamtarbeitsvertraglich verankerte Anspruch zueinander verhalten.

Eine Möglichkeit wäre es, dass die neue gesetzliche Regelung den im GAV verankerten Vaterschaftsurlaub verdrängt. Denkbar wäre andererseits aber auch, dass die bereits im GAV garantierten Vaterschaftsurlaubstage zum neuen gesetzlichen Vaterschaftsurlaub hinzuzuzählen sind. Die Frage ist umstritten, nach Lage der Dinge unterschiedlich zu beurteilen und von der Rechtssprechung bis dato noch nicht geklärt. Nach einem aktuellen Gutachten von Prof. Dr. Thomas Geiser gilt es nachfolgende Gesichtspunkte zu beachten:

  • Zu prüfen ist zunächst, ob die Frage möglicherweise bereits vom jeweiligen GAV selber beantwortet wird, nämlich in sogenannten Übergangsregelungen. Das sind Vorschriften, welche die Rechtslage bei sich ändernder Gesetzeslage festhalten. Haben die Vertragsparteien derartige Übergangsregelungen getroffen, gilt das, was vereinbart wurde. In den allermeisten Gesamtarbeitsverträgen aber wird man keine Übergangsregelungen finden.
  • Hält der GAV keine Übergangsregelung fest, so gilt es weiter zu prüfen, welchen Zweck der bisherige gesamtarbeitsvertraglich geregelte Vaterschaftsurlaub verfolgte. Diverse GAV führen aus, was die Sozialpartner unter den «üblichen freien Tagen» gemäss Art. 329 Abs. 3 OR verstehen. Steht der bisherige gesamtarbeitsvertragliche Vaterschaftsurlaub in engem Zusammenhang mit diesen «üblichen freien Tagen», worauf etwa eine systematische Nähe der beiden Regelungskomplexe hinweist, so besteht keine Konkurrenz zum neuen gesetzlich geregelten Vaterschaftsurlaub. Folgerichtig wären dann die bisherigen gesamtarbeitsvertraglichen und die gesetzlich geregelten Vaterschaftsurlaubstage zusammenzuzählen.

Verfolgt hingegen die bisherige gesamtarbeitsvertragliche Bestimmung zum Vaterschaftsurlaub denselben Zweck wie die neue gesetzliche Regelung, worauf etwa eine Nähe zum Elternurlaub hindeuten mag, sind weitere Prüfungen anzustellen. Entscheidend ist dabei, was die Sozialpartner mit dem bisherigen gesamtarbeitsvertraglichen Vaterschaftsurlaub beabsichtigten. Wollten die Vertragsparteien die Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern in diesem Punkt bewusst besser stellen, so spricht dies dafür, dass die gesetzlichen zu den gesamtarbeitsvertraglichen Vaterschaftsurlaubstagen hinzuzuzählen sind. War es hingegen die Absicht der Sozialpartner, die gesetzliche Regelung des Vaterschaftsurlaubs ganz oder teilweise vorwegzunehmen, so spricht dies eher für eine Verdrängung der gesamtarbeitsvertraglichen Regelung durch den nun gesetzlich geregelten Vaterschaftsurlaub.

  • Hinzuweisen ist zuletzt auf das Günstigkeitsprinzip, wonach die gesamtarbeitsvertragliche Regelung weiterhin Gültigkeit hat, soweit sie den Arbeitnehmer gegenüber der gesetzlichen Regelung besserstellt (etwa indem sie für die Dauer des Vaterschaftsurlaubs 100 % Lohnzahlung vorsieht statt lediglich 80 % wie gesetzlich vorgesehen).

Nun gilt es abzuwarten, welcher Argumentation die Gerichte im Einzelfall folgen werden.

SEV-Rechtsschutzteam