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Der Schein kann auch mal trügen
Thomas, Chauffeur bei der Busunternehmung X, hat seinen Dienst ordnungsgemäss am Bahnhof beendet. Er geht durch den Bus und sammelt einige Zeitungen ein, die auf den Sitzen liegen geblieben sind, und trifft dabei auch auf eine Bierdose, die am Boden steht. Er hebt sie auf und da er merkt, dass sie noch halb voll ist, nimmt er sie mit nach draussen, um sie dort auszuleeren. Draussen gesellt er sich aber erst einmal noch zu den beiden Kollegen, von denen der eine seine Ablösung ist. Die drei plaudern kurz, bis der Ablöser den Bus übernimmt und Thomas auf dem Weg zum Dienstzimmer die Bierdose entsorgt.
Das «Beweis»-Foto
Zwei Tage darauf wird er zur Personalchefin zitiert. Diese konfrontiert ihn damit, dass die Unternehmung (von dritter Seite) ein Foto zugesandt erhalten habe, auf dem er zu sehen sei — und zwar, wie er in Uniform mit einer Bierdose in der Hand mit Kollegen rede. Man erwarte seine Stellungnahme, er habe ja schliesslich vor einigen Jahren bereits einen Vorfall mit Alkohol gehabt.
Weder Zeugen noch Akten
Tatsächlich hat Thomas einmal bei Dienstantritt nach Hause geschickt werden müssen, da eine «Fahne» bemerkt worden war. Die damalige Disziplinarsanktion hatte Thomas akzeptiert, und seither war nie wieder etwas Ähnliches vorgefallen.
Thomas beteuert, er habe ganz sicher nicht getrunken, sondern lediglich die Bierdose aus dem Bus entsorgt. Da er nicht sicher ist, ob man ihm wirklich glaubt, will er seine beiden Kollegen als Zeugen aufbieten, was aber von der Personalchefin abgelehnt wird, da sie kein Aufsehen erregen will. Thomas möchte auch das Foto sehen, was ihm verweigert wird. Statt dessen wird ihm ein Verweis in Aussicht gestellt.
Am Ende ist alleshalb so wild
Thomas wendet sich daraufhin an den SEV, der mit der Unternehmung Kontakt aufnimmt, um zu klären, was Thomas genau vorgeworfen wird. Die Unternehmung bestätigt, dass nicht nachgewiesen werden könne, dass Thomas Bier getrunken hat. Aber in Uniform mit einer Bierdose herumzustehen sei ein Verstoss gegen die Verhaltensvorschriften, die zu Recht so streng seien, wie das zugeschickte Foto beweise. Dieses Bild könne schliesslich dazu führen, dass Passagiere den Eindruck bekämen, der Busfahrer trinke im Dienst. Deshalb sei ein Verweis durchaus gerechtfertigt.
Das Recht, den «Beweis» sehen zu können
Seitens des SEV wird festgehalten, dass es unverständlich ist, dass Thomas’ Kollegen nicht angehört wurden. Wenn die Unternehmung Thomas sanktionieren will, liegt es an ihr, den Beweis für seinen Verstoss zu erbringen, und wenn dieser Beweis ein Foto ist, so muss es dem Angeschuldigten vorgelegt werden. Zudem hat die Unternehmung bereits eingeräumt, dass das Foto kein Beweis für den Konsum sein kann. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass Thomas diese Bierdose in Erfüllung einer Dienstpflicht in der Hand hatte, reduziert sich sein «Vergehen» darauf, die Bierdose nicht sofort entsorgt zu haben. Dem Einsender des Fotos kann die Unternehmung ziemlich mühelos klar machen, dass der Schein zuweilen trügt.
Der Sturm im Wasserglas beruhigt sich – die Unternehmung verzichtet auf den Verweis.
Rechtsschutzteam SEV