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Der SEV im Herbst 2024

«Politik darf das Personal nicht vergessen!»

Am 21. September gehen die Gewerkschaften in Bern auf die Strasse und demonstrieren für höhere Löhne. Der SEV fordert mehr Sicherheit für das Personal und mehr Investitionen in den öffentlichen Verkehr statt neue Sparmassnahmen. Ein Interview mit SEV-Präsident Matthias Hartwich zu den Herausforderungen des SEV im Herbst 2024.

Matthias Hartwich, Präsident SEV: «Wir betreiben keine Parteipolitik, aber wir sind gezwungen, zuweilen in die Politik einzugreifen.»

Warum soll man als SEV-Mitglied am 21. September an der grossen gewerkschaftlichen Lohndemonstration teilnehmen?

Es gibt viele Gründe, teilzunehmen, nicht nur wegen der Löhne. Wir hatten in den letzten Jahren einigermassen gute Lohnerhöhungen, dennoch bleibt bei vielen Menschen eine Kaufkraftlücke bestehen. Die Teuerung, die aus den grossen Krisen der vergangenen Jahre entstanden ist, konnte nicht überall eingefangen werden. Hinzu kommt: Die Krankenkassenkosten explodieren. Gleichzeitig drohen Kürzungen bei den Pensionskassen. Die 13. AHV muss nun dringend kommen. Höhere Löhne und höhere Renten sind nicht nur für die Bevölkerung gut, sondern auch für die Wirtschaft. Sie kurbeln die Nachfrage an und helfen am Schluss allen. Es ist an der Zeit, dass die Menschen in diesem Land wieder am Wohlstand teilhaben, den sie schaffen.

Wir wollen die Kundgebung aber auch nutzen, um auf die Sicherheitssituation des Personals im öV aufmerksam zu machen. Wir fordern einen besseren Schutz des Personals vor Aggression. Das Personal an der Front, also am Schalter, in den Zügen, Trams und Bussen ist immer öfter Aggressionen ausgesetzt. Das muss sich ändern. Also müssen wir in die Sicherheit investieren. Es geht um Geld, Ressourcen und Zeit.

Und genau da droht neues Ungemach.

Ganz Europa beneidet uns um unseren öffentlichen Verkehr. Das ist einerseits natürlich der Fernverkehr, andererseits auch der regionale Personenverkehr. Und hier droht uns Bundesrätin Karin Keller-Sutter einmal mehr mit Sparmassnahmen. Das heisst, mittelfristig wird eine Finanzierungslücke entstehen. Das belastet die Menschen mehrfach. Weniger Geld im System kann bedeuten, dass die Preise steigen, das Angebot schlechter und der Druck auf die Arbeitsbedingungen erhöht wird. Das ist fatal, weil wir heute schon Schwierigkeiten haben, Menschen in die Verkehrsberufe zu bringen. Das Personal erlebt zum Teil enorme Gesundheitsbelastungen. Deshalb haben wir gerade wieder eine neue Gesundheitsumfrage beim Buspersonal lanciert, um zu klären, wo die dringendsten Bedürfnisse sind.

Es gibt also viele Gründe auf die Strasse zu gehen. Eine Kundgebung ist ja immer auch eine politische Aktion. Müssen wir als Gewerkschaft politisch sein?

Wir machen ganz sicher keine Parteipolitik. Aber man muss wissen, dass in den kantonalen Parlamenten, aber auch im Bundeshaus viele Dinge entschieden werden, die unmittelbar die Arbeitsbedingungen im öffentlichen Verkehr betreffen. Da dürfen wir nicht schweigen. Wenn dort etwas entschieden wird und uns dann die Unternehmen sagen, wir können euch keine Lohnerhöhung zahlen, weil Sparmassnahmen beschlossen worden sind, dann können wir das nicht einfach hinnehmen. Mit anderen Worten, wir müssen uns in der Politik einbringen, ohne Parteipolitik zu betreiben.

Das Gleiche gilt beim Thema Europa. Wir sind nicht diejenigen, die sagen, ihr müsst mit Europa dies oder jenes vereinbaren. Aber wir müssen sicherstellen, dass, wenn es eine Einigung mit der Europäischen Union gibt, diese nicht zulasten des Personals im öffentlichen Verkehr geht. Das ist klassische Gewerkschaftsarbeit. Wir engagieren uns übrigens auch für ein Nein zur BVG-Reform am 22. September. Wir sind überzeugt, diese Reform schadet den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

Sprechen wir über Europa. Gibt es da Neuigkeiten in Bezug auf die Verhandlungen über die Liberalisierung des internationalen Schienenverkehrs?

Es ist natürlich so, dass die Europäische Kommission eine andere Agenda hat als die Eidgenossenschaft. Ich glaube, nach den gescheiterten Verhandlungen vor ein paar Jahren sind sich alle einig, dass ein Scheitern schwierig wäre und über Jahre hinaus viele Dossiers blockieren würde. Was ich im Moment sehe, ist, dass bei allen Beteiligten ein grosser Wille da ist, zu einer tragfähigen Vereinbarung zu kommen.

Der öffentliche Verkehr in der Schweiz ist vorbildlich. Er ist pünktlich, er ist zuverlässig, und er ist wirtschaftlich. Das darf auf keinen Fall in Frage gestellt werden. Deshalb erheben wir auch laut unsere Stimme. Dabei geht es nicht um Parteipolitik, sondern es geht wirklich darum zu sagen: Wir wollen, dass das, was unsere Kolleginnen und Kollegen jeden Tag leisten, nämlich ein zuverlässiger, guter und wirtschaftlicher öffentlicher Verkehr, regional wie auch im Fernverkehr, dass es den auch in Zukunft gibt, unabhängig davon, wie die Einigung mit der Europäischen Union aussieht. Wir werden keinen Millimeter weichen, wenn es um die Interessen unserer Kolleginnen und Kollegen geht.

Eine Diskussion, die von einem ehemaligen SBB-Chef in den Medien angestossen wurde, dreht um den Bahnausbau. Eine Gruppe, die sich öV-Experten nennt, fordert ein Moratorium beim Bahnausbau. Was sagst du zu dieser Forderung?

Eins ist klar: Nur die Tatsache, dass der Schienenverkehr in der Schweiz anständig durchfinanziert ist, hat dazu geführt, dass bei uns der Modal Split sehr viel besser ist als in anderen europäischen Ländern. Mobilität ist am wirtschaftlichsten und am umweltfreundlichsten dort, wo sie als öffentlicher Verkehr erfolgt. Dafür braucht es auch weiterhin Investitionen, sowohl für Neubauten als auch für den Unterhalt. Das ist gut angelegtes Geld, weil das der Gesellschaft und der Umwelt zugutekommt. Wichtig ist aber auch, das Personal braucht einen fairen Anteil. Es kann nicht sein, dass durch den Ausbau die Belastung steigt. Schon jetzt stösst das Personal an seine Grenzen. Es braucht genügend Personal, gute Arbeitsbedingungen mit anständigen Schichtplänen und die Möglichkeit, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Kurz: Investitionen in den öffentlichen Verkehr müssen immer auch Investitionen ins Personal sein.

Michael Spahr

Kundgebung 21. September 2024

Gemeinsam mit den anderen Gewerkschaften demonstriert der SEV für Sicherheit am Arbeitsplatz, faire Löhne und mehr Investitionen in den ÖV. Wir treffen uns um 13.30 Uhr auf der Schützenmatte neben dem Bahnhof Bern. Danach ziehen wir durch die Innenstadt zum Bundesplatz, wo um 15 Uhr die Schlusskundgebung mit Reden und Konzerten stattfindet.

Alle Infos unter: www.sev-online.ch.