1. Mai 2024
Daniel Lampart: «Die Leute danken den Gewerkschaften»
Daniel Lampart ist Chefökonom und Sekretariatsleiter des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. Der SGB ist mit 20 einzelnen Gewerkschaften – darunter der SEV – und rund 370'000 Mitgliedern die grösste Arbeitnehmerorganisation der Schweiz. Ein Interview zum Tag der Arbeit am 1. Mai.
Daniel Lampart, ist der 1. Mai 2024 ein Tag der Arbeit, der in die Geschichte eingeht?
Wenn wir auf den 3. März zurückblicken, sicher. Zum ersten Mal konnten wir Gewerkschaften eine Initiative an der Urne gewinnen, die soziale Verbesserungen mit sich bringt. Die 13. AHV-Rente ist ein wichtiger Beitrag für die Leute, die mit sinkenden Renten kämpfen, weil die Pensionskassen immer weniger bezahlen. Es ist berührend, dass ich einen Monat später immer noch fast täglich auf der Strasse oder im Restaurant von den Leuten angesprochen werde und sie uns Gewerkschaften danken für unser Engagement. Das dürfen wir am 1. Mai noch einmal feiern. Gleichzeitig müssen wir an diesem Tag auch vorausschauen. Als nächstes müssen wir für höhere Prämienverbilligungen kämpfen, dann gegen die missratene Reform des BVG, also gegen eine Verschlechterung bei der Pensionskasse. Das grösste Thema für uns sind die Löhne. Obwohl es der Wirtschaft gut geht, stagnieren die Reallöhne. Seit rund einem Jahrzehnt geht es für mittlere und kleine Einkommen kaum vorwärts. Wegen der Teuerung und den Krankenkassen-Prämien haben viele Leute am Ende des Monats immer weniger im Portemonnaie. Wir müssen uns auf einen heissen Lohnherbst vorbereiten.
Wenn wir jetzt noch mal auf die 13. AHV schauen: Der Bundesrat will die 13. Monatsrente mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer und der Lohnprozente finanzieren. Wie sieht das der SGB?
Eine soziale Finanzierung kam für uns immer in Frage. Das heisst, wir befürworten eine Teilfinanzierung über Lohnprozente. Zusätzlich sollte die 13. AHV von den Kantonen finanziert werden. Dank der 13. AHV werden sie höhere Steuereinnahmen haben und können so einen Beitrag leisten. Was aus unserer Sicht gar nicht geht, ist eine Kürzung der Bundesbeiträge. Positiv ist, dass die 13. AHV-Rente ab Januar 2026 eingeführt wird, unabhängig davon, ob die langfristige Finanzierung geregelt ist oder nicht. Im Moment hat die AHV genug Reserven, um eine zusätzliche Monatsrente zu zahlen.
Die Gewerkschaften werden dafür kämpfen, dass die Finanzierung so sozial wie möglich gestaltet wird. Jetzt steht bereits die nächste Abstimmung vor der Tür, die Prämien-Entlastungs-Initiative am 9. Juni. Passend dazu der Slogan des diesjährigen 1. Mai, «Prämien runter, Löhne rauf»?
Genau, für den SGB und alle Gewerkschaften stehen im Moment Reallohnerhöhungen im Vordergrund. Hinzu kommt die Senkung der Krankenkassenprämien. In vielen Kantonen erhalten Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen keine Prämienvergünstigungen und zahlen über 1000 Franken pro Monat für die Krankenkasse. Bereits vor zehn Jahren haben wir an einem SGB-Kongress beschlossen, dass wir dafür kämpfen werden, dass Krankenkassenprämien einen Haushalt nicht mehr als 10 % kosten dürfen. Es wäre ein Riesenfortschritt, wenn wir diese bedeutende gewerkschaftliche Forderung am 9. Juni an der Urne ebenfalls durchbringen.
Es gibt aber leider immer noch Menschen, die trotz Arbeit von ihrem Lohn kaum leben können. An mehreren Orten werden am 1. Mai Mindestlohninitiativen gestartet. Gibt es national auch wieder einen Anlauf?
Wir unterstützen im Moment vorerst kantonale und kommunale Initiativen, die gute Aussichten auf Erfolg haben. Erschreckend ist, dass die Arbeitgeber einen Angriff auf die Mindestlöhne gestartet haben. Sie wollen, dass man über Gesamtarbeitsverträge die existenzsichernden kantonalen Mindestlöhne unterbieten kann. Das Parlament hat einer Motion zugestimmt, die fordert: Wenn ein Mindestlohn in einem GAV tiefer ist als ein kantonaler Mindestlohn, gilt der tiefere Lohn. Damit öffnen die Arbeitgeber Tür und Tor für Armut und Missbrauch. Das ist ein Affront gegenüber der Bevölkerung der Kantone, wo es bereits Mindestlöhne gibt. Wenn die Arbeitgeber gegen Mindestlöhne kämpfen, ist das ein Armutszeugnis für die Sozialpartnerschaft.
Mindestlöhne und GAV sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden. Leider haben nur ungefähr 50 % der Beschäftigten einen GAV. Das muss sich ändern. Wir fordern GAV in Bereichen, bei denen es noch keine oder nur wenige GAV gibt, zum Beispiel im Detailhandel, in der Langzeitpflege oder bei Kitas. Es ist leider so, dass gerade in sogenannten Frauenberufen, also dort, wo mehr Frauen als Männer arbeiten, die Löhne im Schnitt schlechter sind. Mit einem GAV kann man das endlich ändern.
Ein anderes grosses Projekt ist Europa bzw. die Verhandlungen der Schweiz mit der EU. Wie gross sind die Chancen, dass unsere Positionen ernst genommen werden?
Die SVP hat soeben ihre 10-Millionen-Schweiz-Initiative eingereicht, welche bei einem Ja zu einem Ende der bilateralen Verträge und der Personenfreizügigkeit führen würde. Dagegen werden wir kämpfen, weil der bilaterale Weg und die Personenfreizügigkeit der Bevölkerung viele Vorteile gebracht haben. Umso wichtiger ist es, dass unsere Unterhändler in Brüssel wie die Löwen dafür kämpfen, dass der Lohnschutz erhalten bleibt und wir nicht eine Liberalisierung des Strommarkts und des Schienenverkehrs akzeptieren müssen. Wenn der Bundesrat will, stehen wir für Gespräche zur Verfügung. Verantwortlich dafür ist ausgerechnet ein SVP-Bundesrat, nämlich Guy Parmelin. Bisher hat er keine Verantwortung übernommen.
Noch einmal zum 1. Mai: Feiern wir – dank der Abstimmung vom 3. März – eine Zeitenwende? Eine Wende zurück zum Gemeinschaftlichen, statt dem Profit des Einzelnen?
Die 13. AHV ist ein sehr wichtiger Schritt in diese Richtung, aber es wird uns auch in Zukunft wenig geschenkt werden. Das A und O der Gewerkschaftsarbeit ist, uns für Projekte zu entscheiden, für die wir uns mit letzter Konsequenz einsetzen können, wie wir das bei der 13. AHV erfolgreich getan haben. Ich gehe davon aus, wenn wir das so machen, dass wir weitere grosse Erfolge feiern werden.
Michael Spahr
Der SEV am 1. Mai
Unter dem Motto «Prämien runter, Löhne rauf» finden in der ganzen Schweiz Veranstaltungen zum 1. Mai statt. Der SEV ist präsent in Biel (Rede von SEV-Präsident Matthias Hartwich), Bern, Chur, Freiburg, Olten, Solothurn , Rapperswil-Jona (Rede von SEV-Vizepräsidentin Valérie Boillat) und Zürich.
Hier findest du alle Veranstaltungen in der Schweiz: