Delegiertenversammlung LPV: «Wir lassen uns nicht provozieren»
Im Hotel Bern trafen sich am 26. Oktober 2022 rund 60 Delegierte und Gäste zur DV des LPV. Mit einer Aktion begrüssten die Lokführer:innen den SBB-CEO Vincent Ducrot, der als Redner eingeladen war. Ausserdem besuchte der neue SEV-Präsident Matthias Hartwich die Versammlung.
«CFF: ça suffit avec les provocations ! » (SBB: Es reicht mit Provokationen!) stand auf einem Transparent, das rund ein Dutzend Lokführerinnen und Lokführer entrollten, als der Gastredner der Delegiertenversammlung, SBB-CEO Vincent Ducrot, das Podium betrat. Der Protest gegen Sparmassnahmen bei der SBB irritierte den Gast sichtlich. Und er begann sogleich zu erklären, warum die SBB aus seiner Sicht wohl nicht darum herumkomme, in den nächsten Jahren den Gürtel enger zu schnallen: «Wenn ich der CEO einer Privatunternehmung wäre, würde ich im Moment sehr schlecht schlafen». Trotz guten Zahlen und Unterstützung des Bundes schreibe die Bahn nach wie vor Verluste aufgrund der Coronapandemie. Auch die Zukunft sehe wegen dem Ukraine-Krieg und den damit verbundenen hohen Energiekosten nicht gerade rosig aus. Hinzu kommen Teuerung und eine drohende Rezession. Und das seien nicht die einzigen Probleme, mit der die Bahn kämpfen müsse, erklärte Ducrot. Man habe auch Probleme beim Nachschub von dringend benötigtem Rollmaterial. Hier spiele neben dem Ukraine-Krieg auch das Abseitsstehen der Schweiz bei der EU eine Rolle. Grosse Zulieferer, wie zum Beispiel Siemens, würden zuerst ins EU-Land Italien liefern. Die Schweiz stehe leider auf dem letzten Platz.
Lichtblicke am Horizont
Doch das Bild, das Ducrot malte, war nicht nur düster. Positiv sei das Reiseaufkommen. Zwar gebe es wegen der «Entdeckung des Homeoffice» weniger Pendler:innen, doch beim Bahntourismus wachse das Geschäft. Auch beim Lokführer:innenmangel zeigten sich Lichtstreifen am Horizont, sagte SBB-CEO Vincent Ducrot. Im Moment machten wieder mehr Menschen eine entsprechende Ausbildung. Er verbringe viel Zeit im Bundeshaus, bei der Politik, um für die Bahnanliegen zu kämpfen, betonte Ducrot mehrfach. Viele Entscheidungen lägen nicht bei ihm, sondern bei Bundesrat und Parlament. Am Schluss seines Diskurses sagte er: «Merci sagt man zu wenig bei der SBB, deshalb sage ich jetzt: Merci!»
Menschen oder bloss «human ressources»?
Bei den Delegierten des LPV liessen diese Worte der Wertschätzung gemischte Gefühle aufkommen. Nach den angekündigten – und inzwischen zum Teil wieder zurückgenommenen – Sparmassnahmen, stehen weiterhin viele Fragezeichen im Raum. SEV-Vizepräsidentin Valérie Solano fragte rhetorisch: «Wie gross ist die Wertschätzung für das Personal tatsächlich? Sind die SBB-Angestellten echte Menschen oder bloss ‹human ressources›?» LPV-Zentralvorstandsmitglied und RhB-Lokführer Patrick Cavelti ergänzte, dass man auch bei der Rhätischen Bahn zuweilen grosse Worte verlauten lasse und dann nur wenig Taten folgten: «In guten Zeiten hat es nichts gegeben, in schlechten Zeiten sowieso nicht. Eigentlich müsste man auch mal in schlechten Zeiten etwas geben.»
Kämpferisch in die Zukunft
Trotz einer gewissen Unzufriedenheit im Raum, als Vincent Ducrot – sekundiert von Claudio Pellettieri, Leiter Zugführung und Rangier SBB – den Saal im Hotel Bern verliess, ging die Versammlung unter der Leitung von Tagespräsident Thomas Giedemann voller Zuversicht weiter. So schaute LPV-Zentralpräsidentin Hanny Weissmüller positiv auf die ersten beiden Jahre ihrer Amtszeit zurück. Die Delegierten verabschiedeten das Budget und die Rechnung einstimmig. Sie nahmen Ersatzwahlen vor und behandelten diverse Anträge. Am Schluss der DV besuchte der designierte Nachfolger von Giorgio Tuti, Matthias Hartwich, die Lokführerinnen und Lokführer. Er zeigte sich kämpferisch und setzte damit ein wichtiges Zeichen für die Zukunft.
Michael Spahr