Unfallserie
«So kann es nicht weitergehen»
Nach der Unfallserie bei der SBB, vor allem im Baustellenbereich, schrieben der SEV und der SEV-Unterverband BAU der Leitung von SBB Infrastruktur einen Brief. Darin wiesen sie auf verschiedene Punkte hin, wo die Sicherheit verbessert werden muss, und forderten eine schnelle Aussprache. Diese Aussprache fand statt und führte zur Bildung von sieben Arbeitsgruppen zu sieben Themenfeldern. Am 13. Dezember folgt die nächste Zusammenkunft auf Ebene Division Infrastruktur.
2022 ist ein unfallträchtiges Jahr auf dem SBB-Netz. Vor allem bei Arbeiten für Bau und Unterhalt im Gleisbereich passierten viele schwere und zum Teil tödliche Unfälle. Wie bereits in der SEV-Zeitung berichtet, gelangten der SEV-Unterverband BAU und der SEV schriftlich an die SBB und verlangten eine schnelle Aussprache. In diesem Schreiben wurden fünf Themenfelder aufgeführt, die untersucht werden sollten.
Die Spitze der SBB Infrastruktur reagierte und traf sich dann kurzfristig am 1. November mit dem SEV. Sie zeigte sich sehr offen, über die genannten Punkte nicht nur zu sprechen, sondern dazu auch Arbeitsgruppen zu bilden. Im Laufe der offenen Aussprache ergaben sich zwei weitere Themenfelder, sodass sich nun insgesamt sieben Arbeitsgruppen mit je einem Thema und einer entsprechenden These auseinandersetzen. Sie wollen die Lösung der Probleme möglichst rasch und konkret angehen. Bis am7. Dezember sassen Vertreter des SEV und der SBB bereits in sechs Arbeitsgruppen mindestens einmal zusammen. Schon jetzt ergaben sich erste Erkenntnisse, die nicht unbedingt zu einer sofortigen Besserung führen, aber Schwächen und mögliche Verbesserungen aufzeigen konnten.
Die gemeinsam vereinbarten Vertiefungsthemen lauten:
- Kontrolle Arbeiten von Drittfirmen - These: Mangelhafte Umsetzung von gesetzlichen Vorgaben durch Dritte, worunter auch krasse Beispiele wie Doppelschichten am gleichen Tag. Keine oder mangelhafte Kontrolle.
- Flut an Informationen, Systemen, Arbeitsmitteln - These: Die Mitarbeitenden werden laufend zugedeckt mit zusätzlichen Systemen, Arbeitsmitteln, Prozessen und Formularen. Wichtiges und Unwichtiges verschwimmt. Die Situation beeinträchtigt die Aufmerksamkeit, auch für die Sicherheit.
- Ausschreibungen und Vergaben - These: Für viele Mitarbeitende und den SEV sind einige Ausschreibungen und Vergaben gerade unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit nicht nachvollziehbar. Keine Erfahrung und schlecht ausgebildete Leute werden bemängelt.
- Genügend Zeit und Ressourcen für Schulungen - These: Immer mehr Halb- und Nichtwissen bei wichtigen Themen. Wichtige Sicherheits- und Arbeitsvorgaben können nicht einfach der Selbstverantwortung und dem Selbststudium überlassen werden.
- Einbezug Nutzende bei Systementwicklungen - These: Systeme werden zu oft nicht mit genügendem Einbezug der Basismitarbeitenden ausgearbeitet und ausgerollt.
- Stabile Personaldisposition / Schichtplanung - These: Häufige Schichtwechsel in kurzer Zeit sind für Konzentration und Aufmerksamkeit gefährlich. In der Planung entstehen zu viele Friktionen, die kurzfristige Unsicherheit in jeder Hinsicht bringen können.
- Meldewesen - These: Meldungen über fehlbare Handlungen, Beinahe-Unfälle etc. sind offensichtlich sehr wenige vorhanden. Probleme beim Zugang, Umgang damit oder fehlende Reaktionen der SBB-Stellen («Es passiert ja doch nichts!»).
Für Urs Huber, SEV-Gewerkschaftssekretär und Leiter des Bereichs Infrastruktur, ist der offene und rasche Umgang der SBB mit den Forderungen der SEV-Basis positiv: «Bei dieser schlimmen Situation mit den viel zu vielen schweren Unfälle, können wir nun wenigstens hoffen, dass man gemeinsam mit der SBB Verbesserungen und Massnahmen erreichen kann – für mehr Sicherheit aller Kollegen und Kolleginnen im Bahnbereich.»
Nach der Veröffentlichung des Schreibens erhielt der SEV unzählige Hinweise von vielen Mitarbeitenden und Vorgesetzten aus allen Bereichen. Das ist gut, denn es ermöglicht dem SEV, ganz konkret und aktuell vorzugehen. Wie immer ruft Urs Huber alle Mitarbeitenden auf, für sich und ihr Umfeld Sicherheit als oberstes Gebot hochzuhalten. Viele unsichere Handlungen gehen zwar glimpflich aus. Sie sollten aber auch immer ein (letztes) Warnsignal sein.
SEV
Kommentar von Urs Huber: SBB zeigt sich gesprächsbereit
In 18 Jahren SEV habe ich dies so selten erlebt. Der SEV schreibt einen Brief an die SBB Infrastruktur und diese reagiert umgehend. Und nicht etwa negativ, sondern aktiv. Klar, es geht um Sicherheit, und diese schweren Unfälle treffen alle. In nicht weniger als sieben Arbeitsgruppen hat man nun die Arbeit aufgenommen, um verschiedene Thesen zu vertiefen: Warum haben wir solche Probleme? Was können wir verbessern? Ganz wichtig ist mir: «Schön, haben wir darüber geredet», das kann nicht das Ziel sein. Ich bin froh, dass in den bisherigen Treffen meist ein guter Konsens herrscht, nämlich: «Wir wollen gemeinsam mehr Sicherheit.»
Hier zwei persönliche Thesen dazu:
- Die Menschen sind heute generell weniger konzentrationsfähig. Privat sind wir überflutet und lassen uns überfluten von Informationen jeder Art auf allen möglichen Kanälen. Das sollte man einrechnen. Wenn die Unternehmung SBB dann bei der Arbeit nochmals überall und jederzeit mit wichtigen und unwichtigen Informationen einfährt, kann es problematisch werden.
- Keine Führungskräfte bei der SBB schmälern bewusst die Sicherheit. Ob aber allen bewusst ist, was die Vielzahl an Kommunikation, Systemen und Infos bei den Mitarbeitenden auslöst, ist fraglich. Es wäre nötig, sich einmal in die einzelnen Mitarbeitenden hinein zu versetzen. Was da auf diese gesamthaft einprasselt, das ist an einem Büroarbeitsplatz schon schwierig, wie geht es dann wohl Handwerkern und Technikerinnen, Sicherheitswärtern etc.?
Wenn man zum Beispiel weiss, dass bei einem Newsletter zu einem Sicherheitsthema der entscheidende Link von 80 % der Empfänger gar nie geöffnet wird, ist dann die Kenntnis vorhanden? Wohl kaum. Sicherheit ist eine langfristige Aufgabe. Das ist dem SEV sehr bewusst. Aber schon nach den ersten SBB-Treffen sehen wir konkrete Handlungsfelder. Wir bleiben dran.