Interview mit Barbara Spalinger
SBB und Coronakrise: «Wir sind noch mitten drin»
Das Interview mit SEV-Vizepräsidentin Barbara Spalinger zeigt: Insgesamt arbeiten SEV und SBB bei der Bewältigung der Coronakrise recht gut zusammen.
SEV-Zeitung: Hat das Coronavirus die Art der Zusammenarbeit zwischen SEV und SBB verändert?
Barbara Spalinger: Sie ist zumindest für mich enger geworden. SEV und SBB haben sich dazu von Anfang an regelmässig und eng ausgetauscht. Mitte März gab es die erste Sitzung mit dem SBB-Pandemiestab, bei der wir noch 20 Leute in einem Raum sassen… Danach kamen die Telefonkonferenzen, bis zu drei pro Woche mit Vertretungen aller Divisionen und weiteren Fachpersonen. Wir konnten viele Fragen unserer Mitglieder gebündelt einbringen und Rückmeldungen zur Umsetzung der neuen Situation geben. Dies führte mindestens teilweise zu raschen Lösungen. Aktuell genügt eine Telekonferenz pro Woche, auch weil sich die Zusammenarbeit eingespielt hat.
Wofür musste der SEV vor allem kämpfen?
Höchste Priorität hat für uns der Schutz der Mitarbeitenden. Noch vor dem Lockdown pochten wir zum Beispiel auf die rasche Montage von Plexiglas an den Schaltern und genügend Desinfektionsmittel. Oder die Masken: Da gibt es beim Zugpersonal eine Riesendiskussion zu Maskentypen und wie das Tragen von Masken bei der Arbeit genau gehen soll. In den Konferenzen können wir aber auch Fehler in der Umsetzung der Vorschriften durch einzelne Vorgesetzte ansprechen und so für Korrekturen sorgen. Etwa das Verbot, Masken zu verkaufen, das in einem Bereich zuoberst auf dem Formular stand, in dem Mitarbeitende die Kenntnisnahme der Schutzvorschriften quittieren müssen, war völlig daneben. Es ist wichtig, dass uns die Mitglieder Fragen und Missstände mitteilen, damit wir diese klären und korrigieren können.
Konnte der SEV zu den Schutzkonzepten für den 11. Mai im Voraus Stellung nehmen?
Ja, doch im Moment sind sie noch theoretisch und erst die schwer vorhersehbare Praxis wird zeigen, ob und wie sie taugen. Dies zwangsläufig, wenn vielleicht schon risikoreiche Situationen eingetreten sind, was natürlich Verunsicherung beim Personal schafft. Die Konzepte müssen also sehr dynamisch sein und rasch angepasst werden können, was für die grosse SBB eine Herausforderung sein wird. Denn neben dem Schutz des Personals muss sie ja auch die Kunden davon überzeugen können, dass der öV sicher ist, sonst gibt es ein gröberes Problem.
Weitere Themen, die der SEV bei der SBB einbrachte?
Eine der häufigsten Fragen der Mitglieder ist alles rund um die Arbeitszeit. Hier ist Geduld gefragt, denn während noch Einschränkungen laufen, macht es wenig Sinn, die Zeitabrechnung ständig zu bereinigen. Aber die Klärung wird sicher nicht erst per Ende Jahr definitiv erfolgen, wie einzelne Vorgesetzte ankündigten, sondern dann, wenn wieder Normalzustand ist. Alles andere wäre ungerecht. Ebenfalls viel zu reden gaben die Risikopersonen. Dass das Bundesamt für Gesundheit hier mehrmals die Regeln änderte, hat nicht geholfen. Wohl aus der Logik heraus, dass sie systemrelevante Leute braucht, hat die SBB die Vorgesetzten nicht explizit darüber informiert, dass die Risikopersonen ein Vetorecht haben, wenn sie das Gefühl haben, dass sie nicht sicher arbeiten können. Das haben wir kritisiert. Und die Infrastruktur übernahm den Vorschlag von Urs Huber (Gewerkschaftssekretär SEV), auf den offenen Baustellen Corona-Verantwortliche einzusetzen, die für die Einhaltung der Hygieneregeln sorgen.
Gibt es Dinge, die die SBB auf Anhieb gut gelöst hat?
Ja, sicher. Zum Beispiel hat sie nach der Schliessung der Schulen sofort gesagt, dass Mitarbeitende, die Kinder betreuen müssen, dafür bis zu 20 Tage frei erhalten.
Kann man von einem Zusammenstehen in der Krise sprechen?
Nein und Ja. Nein, weil wir öfters nicht gleicher Meinung sind und dazu auch die Klingen kreuzen. Und ja, weil sich gerade in einer Krise, die so noch niemand erlebt hat, der Wert einer eingespielten Sozialpartnerschaft zeigt. Zum Beispiel, dass der ständige Austausch zur aktuellen Lage nicht erkämpft werden muss, sondern selbstverständlich ist. Oder dass wir uns auf eine zeitlich limitierte Anpassung der bereichsspezifischen Arbeitszeitregelungen für das Zugpersonal ohne grossen Aufwand einigen konnten. Aber auch, dass sich der SEV auf politischer Ebene für den öV einsetzt; aktuell für seine finanzielle Unterstützung. Und ausserhalb des Corona-Austausches haben wir auch im Rahmen des Möglichen die normalen, laufenden Geschäfte weiterverfolgt.
Zum Beispiel?
Trotz Corona beantragten wir bei der SBB Verhandlungen über eine Beteiligung des Personals am Unternehmenserfolg des letzten Jahres. Diese sollen – wenn auch zwangsläufig unter sehr veränderten Voraussetzungen – im Herbst stattfinden. Wir konnten auch klären, wie der Wechsel der Vorruhestandsmodelle bei Reorganisationen vonstatten geht, dazu werden wir die entsprechenden Vereinbarungen anpassen. Ebenfalls werden wir uns demnächst über eine sinnvolle Weiterentwicklung des Leitfadenverfahrens bei Reorganisationen austauschen. Und dann gibt es die vielen kleineren Geschäfte, die nur einzelne Berufskategorien betreffen, aber eben auch wichtig sind. Das ist entscheidend, denn die Corona-Krise ist noch nicht vorbei, wir sind mitten drin und sie wird uns noch lange beschäftigen.
Markus Fischer