SBB
Barbara Spalinger: «Die zweite Jahreshälfte dürfte angespannt werden»
Nach der Sommerpause warten bei der SBB einige gröbere Herausforderungen für den SEV. SEV-Vizepräsidentin Barbara Spalinger, die für die Belange der SBB zuständig ist, greift hier die brisanten Themen auf: das neue Lohnsystem, die Zukunft von SBB Cargo und den Prozess der Konsultation der Gewerkschaften bei Reorganisationen.
Barbara, der SEV hatte ein Spitzengespräch mit der Geschäftsleitung der SBB und SBB Cargo. Wird es ein heisser Sommer werden?
Ja, wir müssen mit einer angespannten zweiten Jahreshälfte rechnen. Die Corona-Krise hat die Situation grundlegend verändert. Noch im Februar konnte die SBB fast 500 Mio. Gewinn ausweisen, der ist nun weg. Die SBB hat bereits während des Lockdowns ein Sparprogramm angekündigt: Sie schätzt, dass sie in der Krise täglich 10 Millionen Franken verloren hat, und da sie kein Recht auf Kurzarbeit hat, macht sich die mangelnde Liquidität langsam bemerkbar.
Ein Sparprogramm: gibt es dazu genauere Informationen?
Ja, einige Massnahmen sind bereits in Kraft, so zum Beispiel ein Einstellungsstopp sowie eine verzögerte Besetzung vakanter Stellen. Dies zum Glück nicht bei Betrieb und Produktion, aber in der Verwaltung. Für den SEV geht es darum, sehr aufmerksam zu bleiben. Auch das Verwaltungspersonal ist für die Qualität der Dienstleistungen sehr wichtig! Und die anstehenden Verhandlungen für die Weiterentwicklung des Lohnsystems werden nun auch mit einer Verhandlung über weitere Sparmassnahmen verknüpft.
Ist es vernünftig, in einem solchen Kontext zu verhandeln?
Es ist in der Tat sehr problematisch. Als Valida saniert werden musste, hat die SBB ihren Beitrag an die Bedingung geknüpft, dass wir beim Lohnsystem zu einem Abschluss kommen – das war allerdings vor der Corona-Krise. Die Situation hat sich nun eindeutig und stark verändert. Aber es gibt einige unveränderte Rahmenbedingungen wie die angespannte Personalsituation, die 10000 Stellen, die in den nächsten Jahren infolge Pensionierungen neubesetzt werden müssen, und der Fachkräftemangel. Diese Herausforderung wird im Zusammenhang mit Finanzproblemen nicht gerade kleiner. Die SBB hat erklärt, sie wolle intelligente Lösungen finden. Wir werden sehen, was sie darunter versteht, aber ich bin skeptisch. Im August werden sie ihre genauen Vorstellungen bekannt geben, die wir an der GAV-Konferenz diskutieren müssen, damit wir ein Verhandlungsmandat haben.
Welche anderen Fragen, abgesehen vom Lohnsystem, stehen an?
Das andere grosse Thema ist SBB Cargo. Bereits bei den letzten GAV-Verhandlungen hatte die SBB angekündigt, über Sonderkonditionen für SBB Cargo sprechen zu wollen, und das wird demnächst Thema werden. Es geht um mehr Flexibilität. Einzelheiten werden wir ebenfalls im August hören, aber jetzt schon klar ist, dass die Arbeitsbedingungen in einem Ausmass in Frage gestellt werden wie nie bisher. Nachdem in den letzten 20 Jahren eine Reorganisation die andere gejagt hat und sich die Situation trotzdem nie verbessert hat, stellen sich hier schon ein paar Grundsatzfragen. Bereits jetzt wollen sie die Arbeitszeitaufarbeitung für die Corona-Phase anders umsetzen als die SBB, was unser Vertrauen nicht gerade gefördert hat.
Zumal Cargo während der Krise gut funktioniert zu haben scheint...
Auf jeden Fall sind ihre Zahlen in der Corona-Krise besser als im Januar und Februar. Das bedeutet aber, dass die Probleme von Cargo fundamentaler sind. Und es bedeutet einen Kulturwandel, der auch mit den neuen Minderheitsaktionären zu tun hat. Wüssten wir, dass diese den Turnaround hinbekommen, wäre es noch eins, aber das ist mehr als fraglich. Und es ist sicher, dass dieser nicht einfach mit flexibilisierten, schlechteren Arbeitsbedingungen hinzubekommen ist. Wir werden uns jedenfalls vehement dagegen wehren, dass das Personal den Preis zahlt, ohne Licht am Ende des Tunnels zu sehen.
Gibt es auch etwas Positives über die Beziehung zur SBB zu berichten?
Es gibt durch die Rückbesinnung der SBB auf ihr Kerngeschäft – den Eisenbahnbetrieb – einige positive Signale. Und dass die SBB begriffen hat, dass unsere Rolle bei den Reorganisationen auch ihr dienen könnte, ist gut. Reorganisationen sind Unternehmensentscheide, bei denen Gewerkschaften nicht viel zu sagen haben. Im Nachgang zum Streik in Bellinzona wurde dazu ein Konsultationsverfahren vereinbart, das die SBB bisher eher als lästige Pflichtübung behandelte. Wir konnten uns zwar zu Reorganisationen äussern, das wurde aber kaum je ernst genommen, sodass wir daran dachten, die Vereinbarung aufzukünden. Mittlerweile hat auch die SBB gemerkt, dass viele unserer Einwände berechtigt waren, weshalb wir uns zusammengesetzt haben, um den Prozess zu diskutieren. Herausgekommen ist, dass wir in einer anderen als der normalen Gewerkschaftsrolle gewisse Punkte spiegeln können, was einen Mehrwert bringt.
Vivian Bologna
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